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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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die innere Kante des Reifes frei hingesetzt, mit aller Geschwindigkeit über den
Kopf und durch die Beine zu schwingen, ohne eines dabei zu verschütten. Fügt
man noch bei, daß ihr örtlicher Zunftmeister stabil der Himmelsscheffler genannt
wird, so wird man auch in diesen althergebrachten Tänzen ungezwungen ein
Abbild der am Himmel eingetretenen Bewegungen erblicken dürfen.

Wie alt wird nun schon das Knabenspiel des Ncistreibens ,bei uns sein;
wie altherkömmlich erweist sich der Brauch, ein Wagenrad auf den bestimmten
Zieltag im Walde fertig zu hauen und es noch vor Sonnenuntergang in den
Ort hereinzurollen. Und obschon von dem einen unsre ältesten Holzschnitte
Darstellungen geben, und von dem andern schon die Kloster- und Stiftschroniken
besondere Meldung thun, so hätte es vor Kurzem doch noch bloße Vcrstiegen-
heit geheißen, in dem einen noch anderes als ein bloßes Kinderspiel, und in
dem anderen mehr erblicken zu wollen als ein Wagnerkunststück. Wer dann
vollends gar noch unter der Form unserer Bremen, Kringeln, Eierringe und
Brodrädchen das gesehen hätte, was sie ursprünglich wirklich waren, gesalzene
oder gezuckerte, braune oder farbige Gcbildbrode der Svnnenwendzeit, der wäre
ein ausgemachter Hinterstzuvörderst gewesen. Man hätte ihn mit einem Spncb-
wort verhöhnen zu können gemeint, dessen wirklicher Sinn doch ebensowenig
wie diese beschriebenen Feste begriffen war: Sei kein Leckermaul, wie Hans,
der kaute an einem Pflugrade und meinte, es sei ein Butterkringel. --

Die Vorbereitungen zur festlichen Feier der mitternächtlichen Glücksstunde, in
der des Heilandes Geburt begangen wird, können in einem Bauernhause beinahe
ebenso vielfältig als die übrigen Hausgeschäfte zusammen sein; denn dies eben
ist der Wunsch der Frömmigkeit, daß auch auf das Allergeringste diesmal ein
Schimmer und Abglanz der himmlischen Gnaden falle. Bis zur heiligen Zeit
hat das Gesinde neben anderer Lichtarbeit die Abende mit dem Flechten von
Strvhbanden zugebracht, die zur künftigen Feldbestellung bestimmt sind. Je
näher man damit dem Weihnachtsabend rückt, um so größeren Halt und kräf¬
tigere Wirkuug legt man diesem geflochtenen Widstroh bei. Reihe man die
Kühe im Stalle damit, so nx-rden sie kälbern, die Obstbäume, so werden sie
tragen und ihre Frucht nicht unzeitig abfallen lassen; füllt man den Strohsack
damit auf, so giebts lauter Brautschaftsträume. Bevor es aus der Gesinde-
stube hinausgekehrt wird, halten die Mädchen und Buben noch einen scherz¬
haften Ringkampf auf der Streue, und was dabei noch von Körnern heraus¬
getreten wird und auf dem Stubenboden sich vorfindet, das läßt je nach der
Körnergattung eine in eben dieser Frucht reichlich ausfallende nächste Ernte be°
stimmen. Und so meint man auch die Hausdirne, das Stallthier und den
Fruchtbaum der Reihe uack, darauf hinweisen zu müssen, daß nun jener Tag
Wiederkehre, da der Heiland den Stall zum Obdach und das Stroh zum Bette


die innere Kante des Reifes frei hingesetzt, mit aller Geschwindigkeit über den
Kopf und durch die Beine zu schwingen, ohne eines dabei zu verschütten. Fügt
man noch bei, daß ihr örtlicher Zunftmeister stabil der Himmelsscheffler genannt
wird, so wird man auch in diesen althergebrachten Tänzen ungezwungen ein
Abbild der am Himmel eingetretenen Bewegungen erblicken dürfen.

Wie alt wird nun schon das Knabenspiel des Ncistreibens ,bei uns sein;
wie altherkömmlich erweist sich der Brauch, ein Wagenrad auf den bestimmten
Zieltag im Walde fertig zu hauen und es noch vor Sonnenuntergang in den
Ort hereinzurollen. Und obschon von dem einen unsre ältesten Holzschnitte
Darstellungen geben, und von dem andern schon die Kloster- und Stiftschroniken
besondere Meldung thun, so hätte es vor Kurzem doch noch bloße Vcrstiegen-
heit geheißen, in dem einen noch anderes als ein bloßes Kinderspiel, und in
dem anderen mehr erblicken zu wollen als ein Wagnerkunststück. Wer dann
vollends gar noch unter der Form unserer Bremen, Kringeln, Eierringe und
Brodrädchen das gesehen hätte, was sie ursprünglich wirklich waren, gesalzene
oder gezuckerte, braune oder farbige Gcbildbrode der Svnnenwendzeit, der wäre
ein ausgemachter Hinterstzuvörderst gewesen. Man hätte ihn mit einem Spncb-
wort verhöhnen zu können gemeint, dessen wirklicher Sinn doch ebensowenig
wie diese beschriebenen Feste begriffen war: Sei kein Leckermaul, wie Hans,
der kaute an einem Pflugrade und meinte, es sei ein Butterkringel. —

Die Vorbereitungen zur festlichen Feier der mitternächtlichen Glücksstunde, in
der des Heilandes Geburt begangen wird, können in einem Bauernhause beinahe
ebenso vielfältig als die übrigen Hausgeschäfte zusammen sein; denn dies eben
ist der Wunsch der Frömmigkeit, daß auch auf das Allergeringste diesmal ein
Schimmer und Abglanz der himmlischen Gnaden falle. Bis zur heiligen Zeit
hat das Gesinde neben anderer Lichtarbeit die Abende mit dem Flechten von
Strvhbanden zugebracht, die zur künftigen Feldbestellung bestimmt sind. Je
näher man damit dem Weihnachtsabend rückt, um so größeren Halt und kräf¬
tigere Wirkuug legt man diesem geflochtenen Widstroh bei. Reihe man die
Kühe im Stalle damit, so nx-rden sie kälbern, die Obstbäume, so werden sie
tragen und ihre Frucht nicht unzeitig abfallen lassen; füllt man den Strohsack
damit auf, so giebts lauter Brautschaftsträume. Bevor es aus der Gesinde-
stube hinausgekehrt wird, halten die Mädchen und Buben noch einen scherz¬
haften Ringkampf auf der Streue, und was dabei noch von Körnern heraus¬
getreten wird und auf dem Stubenboden sich vorfindet, das läßt je nach der
Körnergattung eine in eben dieser Frucht reichlich ausfallende nächste Ernte be°
stimmen. Und so meint man auch die Hausdirne, das Stallthier und den
Fruchtbaum der Reihe uack, darauf hinweisen zu müssen, daß nun jener Tag
Wiederkehre, da der Heiland den Stall zum Obdach und das Stroh zum Bette


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/505>, abgerufen am 03.07.2024.