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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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schöpferischen Bundespolitik sein; weil die weiteren Schritte unterblieben, wurde
er der Ausgangspunkt für alle antipreußischen und particularistischen Bestre¬
bungen. So hat auch das Scheitern des östreichischen Reformprojectes zunächst
kein anderes als das allerdings nicht zu unterschätzende Resultat gehabt, die
Schwäche der östreichisch-mittclstaatlichcn Entente klar darzulegen und fürs Erste
jedem Versuch einer Reform von dieser Seite her einen Damm entgegenzusetzen;
ob für immer, das wird allein davon abhängen, ob Preußen aus der neuesten
Entwickelung der Dinge den Muth und die Fähigkeit zu einer schöpferischen
Initiative gewinnen wird.

Diese neueste Entwicklungsphase, die wir als ersten Versuch einer östreichisch-
preußischen Politik in der deutschen Frage bezeichnen können, hat aber ihren
Ausgangspunkt in der dänisch-deutschen Frage. Der Thronwechsel in Däne¬
mark brachte die Wirkuug hervor, daß die öffentliche Meinung in Deutschland
sich rasch über einen Punkt einigte: in der Forderung der völligen Trennung
der Herzogthümer von Dänemark begegneten sich, die äußerste Fraction der
preußischen Feudalen ausgenommen, alle Parteien. Ja die öffentliche Meinung
ging mit ziemlicher Einstimmigkeit noch einen Schritt weiter, indem sie die
Anerkennung der Rechte des Herzogs von Augustenburg zu einer nationalen
Forderung machte. Es war nicbt gering anzuschlagen, daß auf diese Weise
die nationalen Bestrebungen sofort einen legitimen Rechtstitel gewannen. einen
Rechtstitel, der infolge des thatsächlichen Bruches der londoner Verabredungen
durch Dänemark einen vortrefflichen Stützpunkt dem Ausland gegenüber bildete,
und der zugleich auch geeignet schien, den Parteien, welche ihren Grundsätzen
gemäß einer Forderung des Nativnalitätsprincips nicht hätten nachgeben können,
die Theilnahme an der allgemeinen deutschen Erhebung zu erleichtern oder viel¬
mehr zu ermöglichen. Auch darüber herrschte kein Zweifel, daß es Preußens
natürlicher Beruf sei, in dieser Angelegenheit die Führung der Nation zu über¬
nehmen und daß es in Ausübung dieses Berufes wohl manchen widerwilligen
Bundesgenossen, aber wenigstens leinen Gegner finden würde, da selbst diejenigen
Staaten und Stämme, deren Politik seit Jahren kein anderes Ziel gehabt hatte,
als sich dem preußischen Einfluß zu entziehen, durch die gewaltige Strömung
der nationalen Begeisterung gezwungen werden würden, sich der Führerschaft
Preußens zu unterwerfen. Diese Wendung der Dinge hatten wir im Sinne,
als wir bereits im Sommer des vorigen Jahres, zu einer Zeit, wo an eine
rasche Entscheidung dieser Angelegenheit noch gar nicht gedacht werden konnte,
in einer Befreiung Schleswig-Holsteins unter Preußens Führung die Lösung
der deutschen Frage sahen. Oestreich blieb in diesem Falle nur die Wahl, sich
bedingungslos der Preußisch-deutschen Action anzuschließen oder offen seine Un¬
fähigkeit zu einer deutsche" Politik zu bekennen.

Preußen hat diesen Weg nicht eingeschlagen; es hat vielmehr das Einver-


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schöpferischen Bundespolitik sein; weil die weiteren Schritte unterblieben, wurde
er der Ausgangspunkt für alle antipreußischen und particularistischen Bestre¬
bungen. So hat auch das Scheitern des östreichischen Reformprojectes zunächst
kein anderes als das allerdings nicht zu unterschätzende Resultat gehabt, die
Schwäche der östreichisch-mittclstaatlichcn Entente klar darzulegen und fürs Erste
jedem Versuch einer Reform von dieser Seite her einen Damm entgegenzusetzen;
ob für immer, das wird allein davon abhängen, ob Preußen aus der neuesten
Entwickelung der Dinge den Muth und die Fähigkeit zu einer schöpferischen
Initiative gewinnen wird.

Diese neueste Entwicklungsphase, die wir als ersten Versuch einer östreichisch-
preußischen Politik in der deutschen Frage bezeichnen können, hat aber ihren
Ausgangspunkt in der dänisch-deutschen Frage. Der Thronwechsel in Däne¬
mark brachte die Wirkuug hervor, daß die öffentliche Meinung in Deutschland
sich rasch über einen Punkt einigte: in der Forderung der völligen Trennung
der Herzogthümer von Dänemark begegneten sich, die äußerste Fraction der
preußischen Feudalen ausgenommen, alle Parteien. Ja die öffentliche Meinung
ging mit ziemlicher Einstimmigkeit noch einen Schritt weiter, indem sie die
Anerkennung der Rechte des Herzogs von Augustenburg zu einer nationalen
Forderung machte. Es war nicbt gering anzuschlagen, daß auf diese Weise
die nationalen Bestrebungen sofort einen legitimen Rechtstitel gewannen. einen
Rechtstitel, der infolge des thatsächlichen Bruches der londoner Verabredungen
durch Dänemark einen vortrefflichen Stützpunkt dem Ausland gegenüber bildete,
und der zugleich auch geeignet schien, den Parteien, welche ihren Grundsätzen
gemäß einer Forderung des Nativnalitätsprincips nicht hätten nachgeben können,
die Theilnahme an der allgemeinen deutschen Erhebung zu erleichtern oder viel¬
mehr zu ermöglichen. Auch darüber herrschte kein Zweifel, daß es Preußens
natürlicher Beruf sei, in dieser Angelegenheit die Führung der Nation zu über¬
nehmen und daß es in Ausübung dieses Berufes wohl manchen widerwilligen
Bundesgenossen, aber wenigstens leinen Gegner finden würde, da selbst diejenigen
Staaten und Stämme, deren Politik seit Jahren kein anderes Ziel gehabt hatte,
als sich dem preußischen Einfluß zu entziehen, durch die gewaltige Strömung
der nationalen Begeisterung gezwungen werden würden, sich der Führerschaft
Preußens zu unterwerfen. Diese Wendung der Dinge hatten wir im Sinne,
als wir bereits im Sommer des vorigen Jahres, zu einer Zeit, wo an eine
rasche Entscheidung dieser Angelegenheit noch gar nicht gedacht werden konnte,
in einer Befreiung Schleswig-Holsteins unter Preußens Führung die Lösung
der deutschen Frage sahen. Oestreich blieb in diesem Falle nur die Wahl, sich
bedingungslos der Preußisch-deutschen Action anzuschließen oder offen seine Un¬
fähigkeit zu einer deutsche» Politik zu bekennen.

Preußen hat diesen Weg nicht eingeschlagen; es hat vielmehr das Einver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/447>, abgerufen am 03.07.2024.