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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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tige Schimmer einer ganz unberechtigten, jeder soliden Grundlage entbehrenden
Popularität als Hebel zu einer geistreichen Improvisation in der deutschen
Frage gebraucht wurde, läßt sich nur aus der maßlosesten Ueberschätzung des
eignen Vermögens, sowie aus einem fast unglaublichen Verkennen aller in Be¬
tracht zu ziehenden Verhältnisse, Stimmungen und Personen erklären. Man
rechnete wohl daraus, daß Preußen, um den Gefahren seiner Isolirung zu ent-
gehn, in der Zoll- wie in der Neformangelegcnhcit allen von der östreichisch-
würzburgischen Koalition dictirten Bedingungen willenlos sich unterwerfen
müsse; und that es dies nicht, um so besser; dann war ja ein östreichisches
Kleindeutschland fertig. Weder das Eine noch das Andere geschah. Nachdem
die Hoffnung, daß der Gegner sich beim ersten Anlauf auf die schmählichste
Weise werde überrumpeln lassen, sich als nichtig bewiesen hatte, war der ganze
Plan gescheitert.

Das luftige Gebäude brach zusammen, ohne daß sich eine Hand dagegen
zu erheben brauchte. In der polnischen Frage mußte Oestreich auf andere
Wege einlenken; das Nesormproject siel nicht blos weil es für Preußen un¬
annehmbar war, sondern auch weil es nicht einmal die Mittclstaaten, weil es
nur Oestreich befriedigte*). Der Zollverein ging langsam seiner Neconstruction
entgegen. Oestreich hatte seine Unfähigkeit bewiesen, in Gemeinschaft mit den
Mittelstaaten gegen den Willen Preußens die nationale Frage zu losen.

Daß dies Resultat, wenn nicht in handelspolitischer, doch in politischer
Beziehung, für Preußen zunächst ein rein negatives bleiben mußte, hatte seinen
Grund vorzugsweise in der innern Situation Preußens, die eine augenblickliche
Ausbeutung der Niederlage Oestreichs und der Mittelstaaren hinderte. Man
kann der auswärtigen preußischen Politik, auch wenn man keineswegs mit
allen Zielpunkten derselben übereinstimmt, die Anerkennung einer großen Rührig¬
keit und Gewandtheit un Einzelnen nicht versagen; namentlich in dem glück¬
lichen Erfassen des Momentes, der flüchtigen Gelegenheit, spricht sich eine
frische Thatkraft aus, die wir seit langer Zeit in der Leitung der auswärtigen
Beziehungen Preußens vermißt haben. Der volle Gewinn des Handelns aber
wurde verkümmert, nicht blos, weil die unvermeidlichen Rücksichten auf die
seltsamen Anschauungen der Kreuzzeitungspartei einer freien Entwickelung der
echt preußischen Interessen hemmend im Wege standen, sondern ganz besonders
auch deshalb, weil unter den bestehenden Verhältnissen kein Erfolg im Stande
war, den Aufschwung des Nationalgefühls in Preußen und Deutschland hervor¬
zurufen, der allein die Regierung in den Stand hätte setzen können, mit einem
positiven, grundlegenden Programm vorzugehen. Das Einschreiten in Kassel
konnte nach aller politischen Logik nur der erste Schritt auf der Bahn einer



') Herr Fröbel hat ganz recht: es war nicht "triadisch" genug,

tige Schimmer einer ganz unberechtigten, jeder soliden Grundlage entbehrenden
Popularität als Hebel zu einer geistreichen Improvisation in der deutschen
Frage gebraucht wurde, läßt sich nur aus der maßlosesten Ueberschätzung des
eignen Vermögens, sowie aus einem fast unglaublichen Verkennen aller in Be¬
tracht zu ziehenden Verhältnisse, Stimmungen und Personen erklären. Man
rechnete wohl daraus, daß Preußen, um den Gefahren seiner Isolirung zu ent-
gehn, in der Zoll- wie in der Neformangelegcnhcit allen von der östreichisch-
würzburgischen Koalition dictirten Bedingungen willenlos sich unterwerfen
müsse; und that es dies nicht, um so besser; dann war ja ein östreichisches
Kleindeutschland fertig. Weder das Eine noch das Andere geschah. Nachdem
die Hoffnung, daß der Gegner sich beim ersten Anlauf auf die schmählichste
Weise werde überrumpeln lassen, sich als nichtig bewiesen hatte, war der ganze
Plan gescheitert.

Das luftige Gebäude brach zusammen, ohne daß sich eine Hand dagegen
zu erheben brauchte. In der polnischen Frage mußte Oestreich auf andere
Wege einlenken; das Nesormproject siel nicht blos weil es für Preußen un¬
annehmbar war, sondern auch weil es nicht einmal die Mittclstaaten, weil es
nur Oestreich befriedigte*). Der Zollverein ging langsam seiner Neconstruction
entgegen. Oestreich hatte seine Unfähigkeit bewiesen, in Gemeinschaft mit den
Mittelstaaten gegen den Willen Preußens die nationale Frage zu losen.

Daß dies Resultat, wenn nicht in handelspolitischer, doch in politischer
Beziehung, für Preußen zunächst ein rein negatives bleiben mußte, hatte seinen
Grund vorzugsweise in der innern Situation Preußens, die eine augenblickliche
Ausbeutung der Niederlage Oestreichs und der Mittelstaaren hinderte. Man
kann der auswärtigen preußischen Politik, auch wenn man keineswegs mit
allen Zielpunkten derselben übereinstimmt, die Anerkennung einer großen Rührig¬
keit und Gewandtheit un Einzelnen nicht versagen; namentlich in dem glück¬
lichen Erfassen des Momentes, der flüchtigen Gelegenheit, spricht sich eine
frische Thatkraft aus, die wir seit langer Zeit in der Leitung der auswärtigen
Beziehungen Preußens vermißt haben. Der volle Gewinn des Handelns aber
wurde verkümmert, nicht blos, weil die unvermeidlichen Rücksichten auf die
seltsamen Anschauungen der Kreuzzeitungspartei einer freien Entwickelung der
echt preußischen Interessen hemmend im Wege standen, sondern ganz besonders
auch deshalb, weil unter den bestehenden Verhältnissen kein Erfolg im Stande
war, den Aufschwung des Nationalgefühls in Preußen und Deutschland hervor¬
zurufen, der allein die Regierung in den Stand hätte setzen können, mit einem
positiven, grundlegenden Programm vorzugehen. Das Einschreiten in Kassel
konnte nach aller politischen Logik nur der erste Schritt auf der Bahn einer



') Herr Fröbel hat ganz recht: es war nicht „triadisch" genug,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/446>, abgerufen am 01.07.2024.