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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Geständnisse an Preußen nicht will, oder geht sie gegen den Herzog, weil dem
preußischen Minister diese Zugeständnisse nicht genügen?

Die Meinungen über diese Fragen sind hier zu Lande getheilt, und wir
haben keine Ursache, diejenigen unbedingt zu tadeln, welche sich in Betreff der
Wünsche des Herrn von Bismcuck und seiner Partei schlimmen Befürchtungen
überlassen. Denn gar manches Zeichen ließ sich in den letzten Monaten be¬
merken, welches ernste Bedenken erweckte, und mögen diese Zeichen theilweise
irthümlich gedeutet worden sein, so genügte schon der zweifellos feststehende
Umstand, daß der preußische Premier wenig oder nichts von moralischen Er¬
oberungen hält, verbunden mit einer Politik, die zwar gelegentlich durchblicken
ließ, was sie nicht will, niemals aber, was sie eigentlich und endgiltig will,
Verdacht zu erwecken und selbst sonst Gleichgültiges in ein unheimliches Licht
zu rücken.

Die Extreme in den Ansichten über die bismarcksche Politik in Betreff
"unsrer Angelegenheit betrachten wir als auf Unverstand beruhend nicht. Inner¬
halb des Kreises der Verständigen aber stehen sich die Meinungen ungefähr
folgendermaßen gegenüber. Die von den berliner Anncxivnsgelüstm Ueber¬
zeugten sagen: Kann die fortgesetzte Verschleppung der Entscheidung etwas An¬
deres bedeuten, die stete Anfeindung, Verdächtigung und Verhöhnung des Her¬
zogs Friedrich in den officiösen Blättern Preußens etwas Anderes ahnen lassen,
als daß man die Annexion vorbereitet? Verschiedene Manöver dienten dazu,
Zeit zu gewinnen, bis der Plan gereift war und die rechte Constellation zur
Ausführung sich zeigte. Man schob, einzig um das klare Recht der Augusten-
burger in der öffentlichen Meinung zu verwirren, die angeblichen Ansprüche des
Oldenburgers in Scene, ohne von vornherein auch nur einen Augenblick an
dem Erfolg des von seiner Umgebung und der eignen Neigung nach einem
höhern Thron getäuschten Fürsten zu glauben. Man erfand, obwohl alle irgend
namhaften und anständigen Rechtslehrer der letzten zwanzig Jahre ihr Urtheil
zu Gunsten des Hauses Augustenburg abgegeben hatten, ein Juristencollegium,
welches über die Ansprüche der beiden "Prätendenten" entscheiden sollte, zunächst
weil dadurch die Sache aufs Neue hinausgeschoben und der Entschließung des
zur Anerkennung des Herzogs Friedrich hinneigenden Bundestags entrückt wurde,
dann weil man hoffen konnte, dasselbe werde, nach Preußens Wunsch zusammen¬
gesetzt, keinen der beiden Fürsten das ganze Streitobject zusprechen, und weil
man damit den König Wilhelm vielleicht in seiner Rechtsüberzeugung ebenso er¬
schüttern zu können meinte, wie Peruice der Aeltere in Diensten Manteuffels
dem Bruder und Vorgänger die gegen sein Gewissen streitende Einwilligung
zum londoner Protokoll plausibel machen mußte. Dann folgte, mit Gründen
vertheidigt, die den Dänen abgeborgt waren, die Theorie, daß Preußen und
Oestreich durch den Frieden vom 30. October Rechtsnachfolger des Königs


Grmjboten IV. 1804. 55

Geständnisse an Preußen nicht will, oder geht sie gegen den Herzog, weil dem
preußischen Minister diese Zugeständnisse nicht genügen?

Die Meinungen über diese Fragen sind hier zu Lande getheilt, und wir
haben keine Ursache, diejenigen unbedingt zu tadeln, welche sich in Betreff der
Wünsche des Herrn von Bismcuck und seiner Partei schlimmen Befürchtungen
überlassen. Denn gar manches Zeichen ließ sich in den letzten Monaten be¬
merken, welches ernste Bedenken erweckte, und mögen diese Zeichen theilweise
irthümlich gedeutet worden sein, so genügte schon der zweifellos feststehende
Umstand, daß der preußische Premier wenig oder nichts von moralischen Er¬
oberungen hält, verbunden mit einer Politik, die zwar gelegentlich durchblicken
ließ, was sie nicht will, niemals aber, was sie eigentlich und endgiltig will,
Verdacht zu erwecken und selbst sonst Gleichgültiges in ein unheimliches Licht
zu rücken.

Die Extreme in den Ansichten über die bismarcksche Politik in Betreff
„unsrer Angelegenheit betrachten wir als auf Unverstand beruhend nicht. Inner¬
halb des Kreises der Verständigen aber stehen sich die Meinungen ungefähr
folgendermaßen gegenüber. Die von den berliner Anncxivnsgelüstm Ueber¬
zeugten sagen: Kann die fortgesetzte Verschleppung der Entscheidung etwas An¬
deres bedeuten, die stete Anfeindung, Verdächtigung und Verhöhnung des Her¬
zogs Friedrich in den officiösen Blättern Preußens etwas Anderes ahnen lassen,
als daß man die Annexion vorbereitet? Verschiedene Manöver dienten dazu,
Zeit zu gewinnen, bis der Plan gereift war und die rechte Constellation zur
Ausführung sich zeigte. Man schob, einzig um das klare Recht der Augusten-
burger in der öffentlichen Meinung zu verwirren, die angeblichen Ansprüche des
Oldenburgers in Scene, ohne von vornherein auch nur einen Augenblick an
dem Erfolg des von seiner Umgebung und der eignen Neigung nach einem
höhern Thron getäuschten Fürsten zu glauben. Man erfand, obwohl alle irgend
namhaften und anständigen Rechtslehrer der letzten zwanzig Jahre ihr Urtheil
zu Gunsten des Hauses Augustenburg abgegeben hatten, ein Juristencollegium,
welches über die Ansprüche der beiden „Prätendenten" entscheiden sollte, zunächst
weil dadurch die Sache aufs Neue hinausgeschoben und der Entschließung des
zur Anerkennung des Herzogs Friedrich hinneigenden Bundestags entrückt wurde,
dann weil man hoffen konnte, dasselbe werde, nach Preußens Wunsch zusammen¬
gesetzt, keinen der beiden Fürsten das ganze Streitobject zusprechen, und weil
man damit den König Wilhelm vielleicht in seiner Rechtsüberzeugung ebenso er¬
schüttern zu können meinte, wie Peruice der Aeltere in Diensten Manteuffels
dem Bruder und Vorgänger die gegen sein Gewissen streitende Einwilligung
zum londoner Protokoll plausibel machen mußte. Dann folgte, mit Gründen
vertheidigt, die den Dänen abgeborgt waren, die Theorie, daß Preußen und
Oestreich durch den Frieden vom 30. October Rechtsnachfolger des Königs


Grmjboten IV. 1804. 55
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[0437] Geständnisse an Preußen nicht will, oder geht sie gegen den Herzog, weil dem preußischen Minister diese Zugeständnisse nicht genügen? Die Meinungen über diese Fragen sind hier zu Lande getheilt, und wir haben keine Ursache, diejenigen unbedingt zu tadeln, welche sich in Betreff der Wünsche des Herrn von Bismcuck und seiner Partei schlimmen Befürchtungen überlassen. Denn gar manches Zeichen ließ sich in den letzten Monaten be¬ merken, welches ernste Bedenken erweckte, und mögen diese Zeichen theilweise irthümlich gedeutet worden sein, so genügte schon der zweifellos feststehende Umstand, daß der preußische Premier wenig oder nichts von moralischen Er¬ oberungen hält, verbunden mit einer Politik, die zwar gelegentlich durchblicken ließ, was sie nicht will, niemals aber, was sie eigentlich und endgiltig will, Verdacht zu erwecken und selbst sonst Gleichgültiges in ein unheimliches Licht zu rücken. Die Extreme in den Ansichten über die bismarcksche Politik in Betreff „unsrer Angelegenheit betrachten wir als auf Unverstand beruhend nicht. Inner¬ halb des Kreises der Verständigen aber stehen sich die Meinungen ungefähr folgendermaßen gegenüber. Die von den berliner Anncxivnsgelüstm Ueber¬ zeugten sagen: Kann die fortgesetzte Verschleppung der Entscheidung etwas An¬ deres bedeuten, die stete Anfeindung, Verdächtigung und Verhöhnung des Her¬ zogs Friedrich in den officiösen Blättern Preußens etwas Anderes ahnen lassen, als daß man die Annexion vorbereitet? Verschiedene Manöver dienten dazu, Zeit zu gewinnen, bis der Plan gereift war und die rechte Constellation zur Ausführung sich zeigte. Man schob, einzig um das klare Recht der Augusten- burger in der öffentlichen Meinung zu verwirren, die angeblichen Ansprüche des Oldenburgers in Scene, ohne von vornherein auch nur einen Augenblick an dem Erfolg des von seiner Umgebung und der eignen Neigung nach einem höhern Thron getäuschten Fürsten zu glauben. Man erfand, obwohl alle irgend namhaften und anständigen Rechtslehrer der letzten zwanzig Jahre ihr Urtheil zu Gunsten des Hauses Augustenburg abgegeben hatten, ein Juristencollegium, welches über die Ansprüche der beiden „Prätendenten" entscheiden sollte, zunächst weil dadurch die Sache aufs Neue hinausgeschoben und der Entschließung des zur Anerkennung des Herzogs Friedrich hinneigenden Bundestags entrückt wurde, dann weil man hoffen konnte, dasselbe werde, nach Preußens Wunsch zusammen¬ gesetzt, keinen der beiden Fürsten das ganze Streitobject zusprechen, und weil man damit den König Wilhelm vielleicht in seiner Rechtsüberzeugung ebenso er¬ schüttern zu können meinte, wie Peruice der Aeltere in Diensten Manteuffels dem Bruder und Vorgänger die gegen sein Gewissen streitende Einwilligung zum londoner Protokoll plausibel machen mußte. Dann folgte, mit Gründen vertheidigt, die den Dänen abgeborgt waren, die Theorie, daß Preußen und Oestreich durch den Frieden vom 30. October Rechtsnachfolger des Königs Grmjboten IV. 1804. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/437>, abgerufen am 23.07.2024.