Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aber andrerseits, daß der Kurfürst bei seiner Entscheidung gegen Derfflingers
Rath nicht lediglich dem Zwang der augenblicklichen Lage wich, sondern daß
er der Gelegenheit zur Schlacht sich freute. Hätte der Prinz einen Fehler be¬
gangen, dessen Folgen so verhängnißvoll für ihn werden konnten, wie der
Dichter es schildert', so würde Buch nicht blos darum gewußt, sondern auch
davon berichtet haben. Aber das ist sachlich unwahrscheinlich. Die Schlacht
entwickelte sich aus Bedingungen, welche die Stellung des Feindes gab. Sie
war schwerlich auf einen detaillirten Plan gegründet, sondern es wird dabei der
ganzen Lage der Dinge nach mehr als sonst der Einsicht und dem selbständigen
Entschlüsse der einzelnen Führer überlassen gewesen sein; und wenn Buch nicht
völlig falsch urtheilt, so hat der Prinz in den Gang des Treffens offenbar
höchst zweckmäßig und entscheidend eingegriffen, ohne daß klar würde, er hätte
dadurch seine Pflicht nach andrer Seite verletzt. Es folgt wenigstens nichts,
woraus dies geschlossen werden könnte*).

Noch weniger weiß Buch von der anmuthigen Legende vom "Kind von
Fehrbellin**)," Sie sei hier kurz erwähnt, weil sie zu den anziehendsten Erfin¬
dungen des Volksgemüthes gehört und trotz der modernen Zeit, in der sie ent¬
standen ist, noch einen mittelalterlich frommen Zug enthält. Als der große
Kurfürst durch Hakenberg zur Schlacht ritt, traf er am Ausgange des menschen¬
leeren Ores ein Kind an, das in der Angst vergessen zu sein schien. Es streckte
die Hände nach ihm aus und der Fürst rafft es empor in der Hoffnung, daß
sich wohl jemand finden werde, um es in Sicherheit zu bringen. Die Schlacht
beginnt, der Kurfürst führt das Regiment Mörner gegen den Feind, dessen
Kugeln um sein Haupt sausen; des Kindes aber hat er in der Hitze des Strei¬
tes nicht Acht. Erst als die Schlacht geschlagen ist, gedenkt er des Findlings,
und siehe da: der Knabe hat sich am Riemenwerke des Harnisch festgeklammert
und ist unversehrt. Mehr sagt die Legende nicht, nur andeutend weist sie aus
den großen Fürsten als einen Christophorus den Zweiten hin, der den Schutz¬
geist der Hohenzollern zu seinem Heile auf dem Sattel getragen.

Bei der Verfolgung hatte die Avantgarde, welche die Queu des Feindes




-) Wie wenig er übrigens in der Wirklichkeit dem Phantasiegebilde entspricht, welches
Kleist aus ihm gemacht hat, ist an vielen Zügen, die wir von ihm kennen, offenbar. Schon
eine so derbgeartcte Natur wie die eines ungestüm tapfern Reitcrgenerals paßt wenig zum
Helden der Verwicklungen, in die der traumwandclnde Jüngling des Dramas geräth. Er
war übrigens damals ein Mann von 42 Jahren und bereits zum zweite" Mal verheirathet.
Im Jahre 16S8 hatte er vor Kopenhagen ein Bein verloren und trug seitdem ein silbernes
Gestell, weshalb er den Beinamen "Prinz oder Landgraf mit dem silbernen Beine" führte.
Kleist hat über ihn mit ähnlicher dichterischer Freiheit verfügt, wie Goethe über Egmont. Das
poetische Recht dazu soll durch diese Bemerkungen keinem von beiden verkürzt werden.
") U, a. berichtet von Th, Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg,

aber andrerseits, daß der Kurfürst bei seiner Entscheidung gegen Derfflingers
Rath nicht lediglich dem Zwang der augenblicklichen Lage wich, sondern daß
er der Gelegenheit zur Schlacht sich freute. Hätte der Prinz einen Fehler be¬
gangen, dessen Folgen so verhängnißvoll für ihn werden konnten, wie der
Dichter es schildert', so würde Buch nicht blos darum gewußt, sondern auch
davon berichtet haben. Aber das ist sachlich unwahrscheinlich. Die Schlacht
entwickelte sich aus Bedingungen, welche die Stellung des Feindes gab. Sie
war schwerlich auf einen detaillirten Plan gegründet, sondern es wird dabei der
ganzen Lage der Dinge nach mehr als sonst der Einsicht und dem selbständigen
Entschlüsse der einzelnen Führer überlassen gewesen sein; und wenn Buch nicht
völlig falsch urtheilt, so hat der Prinz in den Gang des Treffens offenbar
höchst zweckmäßig und entscheidend eingegriffen, ohne daß klar würde, er hätte
dadurch seine Pflicht nach andrer Seite verletzt. Es folgt wenigstens nichts,
woraus dies geschlossen werden könnte*).

Noch weniger weiß Buch von der anmuthigen Legende vom „Kind von
Fehrbellin**)," Sie sei hier kurz erwähnt, weil sie zu den anziehendsten Erfin¬
dungen des Volksgemüthes gehört und trotz der modernen Zeit, in der sie ent¬
standen ist, noch einen mittelalterlich frommen Zug enthält. Als der große
Kurfürst durch Hakenberg zur Schlacht ritt, traf er am Ausgange des menschen¬
leeren Ores ein Kind an, das in der Angst vergessen zu sein schien. Es streckte
die Hände nach ihm aus und der Fürst rafft es empor in der Hoffnung, daß
sich wohl jemand finden werde, um es in Sicherheit zu bringen. Die Schlacht
beginnt, der Kurfürst führt das Regiment Mörner gegen den Feind, dessen
Kugeln um sein Haupt sausen; des Kindes aber hat er in der Hitze des Strei¬
tes nicht Acht. Erst als die Schlacht geschlagen ist, gedenkt er des Findlings,
und siehe da: der Knabe hat sich am Riemenwerke des Harnisch festgeklammert
und ist unversehrt. Mehr sagt die Legende nicht, nur andeutend weist sie aus
den großen Fürsten als einen Christophorus den Zweiten hin, der den Schutz¬
geist der Hohenzollern zu seinem Heile auf dem Sattel getragen.

Bei der Verfolgung hatte die Avantgarde, welche die Queu des Feindes




-) Wie wenig er übrigens in der Wirklichkeit dem Phantasiegebilde entspricht, welches
Kleist aus ihm gemacht hat, ist an vielen Zügen, die wir von ihm kennen, offenbar. Schon
eine so derbgeartcte Natur wie die eines ungestüm tapfern Reitcrgenerals paßt wenig zum
Helden der Verwicklungen, in die der traumwandclnde Jüngling des Dramas geräth. Er
war übrigens damals ein Mann von 42 Jahren und bereits zum zweite» Mal verheirathet.
Im Jahre 16S8 hatte er vor Kopenhagen ein Bein verloren und trug seitdem ein silbernes
Gestell, weshalb er den Beinamen „Prinz oder Landgraf mit dem silbernen Beine" führte.
Kleist hat über ihn mit ähnlicher dichterischer Freiheit verfügt, wie Goethe über Egmont. Das
poetische Recht dazu soll durch diese Bemerkungen keinem von beiden verkürzt werden.
") U, a. berichtet von Th, Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190056"/>
          <p xml:id="ID_1470" prev="#ID_1469"> aber andrerseits, daß der Kurfürst bei seiner Entscheidung gegen Derfflingers<lb/>
Rath nicht lediglich dem Zwang der augenblicklichen Lage wich, sondern daß<lb/>
er der Gelegenheit zur Schlacht sich freute. Hätte der Prinz einen Fehler be¬<lb/>
gangen, dessen Folgen so verhängnißvoll für ihn werden konnten, wie der<lb/>
Dichter es schildert', so würde Buch nicht blos darum gewußt, sondern auch<lb/>
davon berichtet haben. Aber das ist sachlich unwahrscheinlich. Die Schlacht<lb/>
entwickelte sich aus Bedingungen, welche die Stellung des Feindes gab. Sie<lb/>
war schwerlich auf einen detaillirten Plan gegründet, sondern es wird dabei der<lb/>
ganzen Lage der Dinge nach mehr als sonst der Einsicht und dem selbständigen<lb/>
Entschlüsse der einzelnen Führer überlassen gewesen sein; und wenn Buch nicht<lb/>
völlig falsch urtheilt, so hat der Prinz in den Gang des Treffens offenbar<lb/>
höchst zweckmäßig und entscheidend eingegriffen, ohne daß klar würde, er hätte<lb/>
dadurch seine Pflicht nach andrer Seite verletzt. Es folgt wenigstens nichts,<lb/>
woraus dies geschlossen werden könnte*).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1471"> Noch weniger weiß Buch von der anmuthigen Legende vom &#x201E;Kind von<lb/>
Fehrbellin**)," Sie sei hier kurz erwähnt, weil sie zu den anziehendsten Erfin¬<lb/>
dungen des Volksgemüthes gehört und trotz der modernen Zeit, in der sie ent¬<lb/>
standen ist, noch einen mittelalterlich frommen Zug enthält. Als der große<lb/>
Kurfürst durch Hakenberg zur Schlacht ritt, traf er am Ausgange des menschen¬<lb/>
leeren Ores ein Kind an, das in der Angst vergessen zu sein schien. Es streckte<lb/>
die Hände nach ihm aus und der Fürst rafft es empor in der Hoffnung, daß<lb/>
sich wohl jemand finden werde, um es in Sicherheit zu bringen. Die Schlacht<lb/>
beginnt, der Kurfürst führt das Regiment Mörner gegen den Feind, dessen<lb/>
Kugeln um sein Haupt sausen; des Kindes aber hat er in der Hitze des Strei¬<lb/>
tes nicht Acht. Erst als die Schlacht geschlagen ist, gedenkt er des Findlings,<lb/>
und siehe da: der Knabe hat sich am Riemenwerke des Harnisch festgeklammert<lb/>
und ist unversehrt. Mehr sagt die Legende nicht, nur andeutend weist sie aus<lb/>
den großen Fürsten als einen Christophorus den Zweiten hin, der den Schutz¬<lb/>
geist der Hohenzollern zu seinem Heile auf dem Sattel getragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1472" next="#ID_1473"> Bei der Verfolgung hatte die Avantgarde, welche die Queu des Feindes</p><lb/>
          <note xml:id="FID_39" place="foot"> -) Wie wenig er übrigens in der Wirklichkeit dem Phantasiegebilde entspricht, welches<lb/>
Kleist aus ihm gemacht hat, ist an vielen Zügen, die wir von ihm kennen, offenbar. Schon<lb/>
eine so derbgeartcte Natur wie die eines ungestüm tapfern Reitcrgenerals paßt wenig zum<lb/>
Helden der Verwicklungen, in die der traumwandclnde Jüngling des Dramas geräth. Er<lb/>
war übrigens damals ein Mann von 42 Jahren und bereits zum zweite» Mal verheirathet.<lb/>
Im Jahre 16S8 hatte er vor Kopenhagen ein Bein verloren und trug seitdem ein silbernes<lb/>
Gestell, weshalb er den Beinamen &#x201E;Prinz oder Landgraf mit dem silbernen Beine" führte.<lb/>
Kleist hat über ihn mit ähnlicher dichterischer Freiheit verfügt, wie Goethe über Egmont. Das<lb/>
poetische Recht dazu soll durch diese Bemerkungen keinem von beiden verkürzt werden.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_40" place="foot"> ") U, a. berichtet von Th, Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0432] aber andrerseits, daß der Kurfürst bei seiner Entscheidung gegen Derfflingers Rath nicht lediglich dem Zwang der augenblicklichen Lage wich, sondern daß er der Gelegenheit zur Schlacht sich freute. Hätte der Prinz einen Fehler be¬ gangen, dessen Folgen so verhängnißvoll für ihn werden konnten, wie der Dichter es schildert', so würde Buch nicht blos darum gewußt, sondern auch davon berichtet haben. Aber das ist sachlich unwahrscheinlich. Die Schlacht entwickelte sich aus Bedingungen, welche die Stellung des Feindes gab. Sie war schwerlich auf einen detaillirten Plan gegründet, sondern es wird dabei der ganzen Lage der Dinge nach mehr als sonst der Einsicht und dem selbständigen Entschlüsse der einzelnen Führer überlassen gewesen sein; und wenn Buch nicht völlig falsch urtheilt, so hat der Prinz in den Gang des Treffens offenbar höchst zweckmäßig und entscheidend eingegriffen, ohne daß klar würde, er hätte dadurch seine Pflicht nach andrer Seite verletzt. Es folgt wenigstens nichts, woraus dies geschlossen werden könnte*). Noch weniger weiß Buch von der anmuthigen Legende vom „Kind von Fehrbellin**)," Sie sei hier kurz erwähnt, weil sie zu den anziehendsten Erfin¬ dungen des Volksgemüthes gehört und trotz der modernen Zeit, in der sie ent¬ standen ist, noch einen mittelalterlich frommen Zug enthält. Als der große Kurfürst durch Hakenberg zur Schlacht ritt, traf er am Ausgange des menschen¬ leeren Ores ein Kind an, das in der Angst vergessen zu sein schien. Es streckte die Hände nach ihm aus und der Fürst rafft es empor in der Hoffnung, daß sich wohl jemand finden werde, um es in Sicherheit zu bringen. Die Schlacht beginnt, der Kurfürst führt das Regiment Mörner gegen den Feind, dessen Kugeln um sein Haupt sausen; des Kindes aber hat er in der Hitze des Strei¬ tes nicht Acht. Erst als die Schlacht geschlagen ist, gedenkt er des Findlings, und siehe da: der Knabe hat sich am Riemenwerke des Harnisch festgeklammert und ist unversehrt. Mehr sagt die Legende nicht, nur andeutend weist sie aus den großen Fürsten als einen Christophorus den Zweiten hin, der den Schutz¬ geist der Hohenzollern zu seinem Heile auf dem Sattel getragen. Bei der Verfolgung hatte die Avantgarde, welche die Queu des Feindes -) Wie wenig er übrigens in der Wirklichkeit dem Phantasiegebilde entspricht, welches Kleist aus ihm gemacht hat, ist an vielen Zügen, die wir von ihm kennen, offenbar. Schon eine so derbgeartcte Natur wie die eines ungestüm tapfern Reitcrgenerals paßt wenig zum Helden der Verwicklungen, in die der traumwandclnde Jüngling des Dramas geräth. Er war übrigens damals ein Mann von 42 Jahren und bereits zum zweite» Mal verheirathet. Im Jahre 16S8 hatte er vor Kopenhagen ein Bein verloren und trug seitdem ein silbernes Gestell, weshalb er den Beinamen „Prinz oder Landgraf mit dem silbernen Beine" führte. Kleist hat über ihn mit ähnlicher dichterischer Freiheit verfügt, wie Goethe über Egmont. Das poetische Recht dazu soll durch diese Bemerkungen keinem von beiden verkürzt werden. ") U, a. berichtet von Th, Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/432
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/432>, abgerufen am 23.07.2024.