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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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schlecht angebracht. Ins Deutsche übersetzt, würde die Ansicht Gladstones dahin
lauten müssen, daß der Zollverein trotz seiner bisherigen verkehrten Schutzpolitik,
aber nicht durch dieselbe wohlthätig gewirkt habe. Wir wollen nicht darüber
streiten, wie lange sich unser Tarif etwa schon überlebt habe, und ob die neuen
mit Frankreich vereinbarten Zollsätze schon hätten früher eintreten können. Nur
das wollen wir geltend machen, daß, wer colbertsche Grundsätze zum Kinder-
spott zu machen gedenkt, entweder ein sehr feiner Diplomat im Solde Englands
oder ein Freund der Ideologie sein muß. -- Gesetzt, zwei ihrer Natur nach
auf die Freihandelspolitik angewiesene Staaten concurrirten in der Leitung und
indirecten Beherrschung einer weniger entwickelten Nation, so könnte ein be¬
friedigender Austrag der sonst unvermeidlichen Verwicklungen nur dadurch er¬
reicht werden, daß beide Staaten, anstatt den dritten gemeinschaftlich oder
einseitig zu ruiniren, die industrielle Selbständigkeit desselben eifersüchtig be¬
wachten und sich gegenseitig keine Uebergriffe gestatteten. Doch mit solchen
Andeutungen, die wir hier nicht auszuführen vermögen, gerathen wir am Ende
selbst in den Verdacht der Ideologie. Bedenken wir daher lieber, daß es noch
verhältnißmäßig zurückgebliebene Staaten genug giebt, für die der Name Colbert
noch sehr praktische Bedeutung hat. Vielleicht möchte sich die östreichische
Handelspolitik besser begreifen und einfacher stellen und auch von ihren heutigen
Gegnern anders aufgefaßt werden, wenn sie offen eingestände, daß ihr mancher
colbertsche Grundsatz in einigen Richtungen gerade nicht schädlich sein würde.
Unsern Handelsvertrag mit Frankreich würde gerade eine solche Wendung ganz
genehm finden müssen; denn die Zollcinigung liegt nicht einmal im eigenen
Interesse Oestreichs, so viel sich seine Diplomaten auch um dieselbe bemüht haben.

Das System Colberts ist noch für manche Völker ein Schutzgeist, und
man sollte es auch schon um des Verständnisses der gegenwärtigen Politik willen
studiren. Es ist überdies die Grundlage einer streng wissenschaftlichen Theorie,
welche die materielle Handelsfreiheit anstatt des bloßen formalen Scheines der¬
selben im Auge hat. In dieser theoretischen Beziehung müssen wir schließlich
wiederum aus Carey und seine große Reform der gewöhnlichen Auffassung
Dg. verweisen.




schlecht angebracht. Ins Deutsche übersetzt, würde die Ansicht Gladstones dahin
lauten müssen, daß der Zollverein trotz seiner bisherigen verkehrten Schutzpolitik,
aber nicht durch dieselbe wohlthätig gewirkt habe. Wir wollen nicht darüber
streiten, wie lange sich unser Tarif etwa schon überlebt habe, und ob die neuen
mit Frankreich vereinbarten Zollsätze schon hätten früher eintreten können. Nur
das wollen wir geltend machen, daß, wer colbertsche Grundsätze zum Kinder-
spott zu machen gedenkt, entweder ein sehr feiner Diplomat im Solde Englands
oder ein Freund der Ideologie sein muß. — Gesetzt, zwei ihrer Natur nach
auf die Freihandelspolitik angewiesene Staaten concurrirten in der Leitung und
indirecten Beherrschung einer weniger entwickelten Nation, so könnte ein be¬
friedigender Austrag der sonst unvermeidlichen Verwicklungen nur dadurch er¬
reicht werden, daß beide Staaten, anstatt den dritten gemeinschaftlich oder
einseitig zu ruiniren, die industrielle Selbständigkeit desselben eifersüchtig be¬
wachten und sich gegenseitig keine Uebergriffe gestatteten. Doch mit solchen
Andeutungen, die wir hier nicht auszuführen vermögen, gerathen wir am Ende
selbst in den Verdacht der Ideologie. Bedenken wir daher lieber, daß es noch
verhältnißmäßig zurückgebliebene Staaten genug giebt, für die der Name Colbert
noch sehr praktische Bedeutung hat. Vielleicht möchte sich die östreichische
Handelspolitik besser begreifen und einfacher stellen und auch von ihren heutigen
Gegnern anders aufgefaßt werden, wenn sie offen eingestände, daß ihr mancher
colbertsche Grundsatz in einigen Richtungen gerade nicht schädlich sein würde.
Unsern Handelsvertrag mit Frankreich würde gerade eine solche Wendung ganz
genehm finden müssen; denn die Zollcinigung liegt nicht einmal im eigenen
Interesse Oestreichs, so viel sich seine Diplomaten auch um dieselbe bemüht haben.

Das System Colberts ist noch für manche Völker ein Schutzgeist, und
man sollte es auch schon um des Verständnisses der gegenwärtigen Politik willen
studiren. Es ist überdies die Grundlage einer streng wissenschaftlichen Theorie,
welche die materielle Handelsfreiheit anstatt des bloßen formalen Scheines der¬
selben im Auge hat. In dieser theoretischen Beziehung müssen wir schließlich
wiederum aus Carey und seine große Reform der gewöhnlichen Auffassung
Dg. verweisen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/422>, abgerufen am 01.07.2024.