Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dürften, "Man hat uns vorgeworfen," meint der britische Finanzminister,
"wir würfen die Leiter, auf der wir zur Größe aufgestiegen, jetzt fort, damit
andere uns nicht nachfolgen könnten; allein wir sind trotz unserer verkehrten
Schutzpolitik, aber nicht durch dieselbe mächtig geworden." -- Dies ist das
alte Argument, mit dem Huskisson, als dessen Nacheiferer sich Gladstone auch
in der That bekennt, Europa und Amerika zu düpiren suchte. Der einfachste
Verstand begreift die Wirkung richtig bemessener Schutzzölle für ein in indu¬
strieller Jugend stehendes Volk. Mit vollem Recht hat man diese Logik der
Manchestermänner mit der Frage beantwortet, ob denn auch vielleicht das
schwache Stämmchen der Baumschule trotz des Stützpfahls und nicht vermöge
desselben den Stürmen widerstehe. Alles wäre noch weit besser gegangen, meint
Gladstone, wenn England das Schutzsystem nicht befolgt hätte. Gegen diese
Behauptung läßt sich allerdings nichts thun; denn sie bleibt zu sehr im All-
gemeinen, um uns sehen zu lassen, wie sich denn die ursprünglich hinter den
Ländern des Kontinents sehr weit zurückgebliebene englische Industrie rein natur¬
wüchsig hätte aufhelfen sollen. Es wäre daher besser, die Natur nicht in dem
Verzicht auf den Verstand, sondern in der Kunst des politischen Instinctes selbst
zu suchen. Doch können wir hier nicht eine geschichtliche Darstellung der Wir¬
kungen des Schutzsystems geben. Nur so viel muß der Kenner der englischen
und französischen Handels- und Industriegeschichte zugeben, daß ohne die künst¬
lichen Maßregeln keiner der beiden Staaten Kraft gewonnen haben würde.
Colberts System ist daher nicht die unvernünftige Marotte, für die es heute
häufig genug ausgegeben wird. Es ist allerdings ein allgemein anerkannter
Fehlgriff, daß Colbert die Ausfuhr der Rohproducte zu Gunsten der einheimischen
Industrie beschränken zu dürfen glaubte. Dieser Punkt ist der Hauptfehler des
Mercantilsystems. Der Kreislauf der Rohstoffe und Lebensmittel kann und muß
völlig frei sein; denn er hat mit der Verletzung der einheimischen Industrie
nichts zu schaffen. In dieser Hinsicht leitet das Princip der industriellen Er¬
ziehung wirklich irre, und man wird gewahr, wie der von uns in erster Linie
geltend gemachte Gesichtspunkt der Gerechtigkeit auch die Grenze der positiven
Maßregeln anzeige. -- Für die gegenwärtige Praxis der vorgerückten Nationen
ist das Schutzprincip gleichgiltig; der Starke braucht keinen Schutz, und die
gleich Starken halten einander die Wage, die hierzugleich die natürliche Wage
der wirthschaftlichen Gerechtigkeit ist. Das wirthschaftliche Gleichgewicht ist die
Vorbedingung der Handelsfreiheit, während das Uebergewicht stets nach den
Grundsätzen Colberts unschädlich gemacht weiden muß. Den Briten muß jetzt
die Theorie der Handelsfreiheit sehr einleuchtend scheinen; für England wären
Schutzzölle auch wirklich eine Thorheit, und die stämmigen Eichen, die wie das
Inselreich dem Sturme trotzen, werden ebenfalls der Stützpfählchen ihrer Kind¬
heit und Jugend entrathen können. Doch ist die Renommisterei und der Spott


Wrcnzboten IV. 18K4, 53

dürften, „Man hat uns vorgeworfen," meint der britische Finanzminister,
„wir würfen die Leiter, auf der wir zur Größe aufgestiegen, jetzt fort, damit
andere uns nicht nachfolgen könnten; allein wir sind trotz unserer verkehrten
Schutzpolitik, aber nicht durch dieselbe mächtig geworden." — Dies ist das
alte Argument, mit dem Huskisson, als dessen Nacheiferer sich Gladstone auch
in der That bekennt, Europa und Amerika zu düpiren suchte. Der einfachste
Verstand begreift die Wirkung richtig bemessener Schutzzölle für ein in indu¬
strieller Jugend stehendes Volk. Mit vollem Recht hat man diese Logik der
Manchestermänner mit der Frage beantwortet, ob denn auch vielleicht das
schwache Stämmchen der Baumschule trotz des Stützpfahls und nicht vermöge
desselben den Stürmen widerstehe. Alles wäre noch weit besser gegangen, meint
Gladstone, wenn England das Schutzsystem nicht befolgt hätte. Gegen diese
Behauptung läßt sich allerdings nichts thun; denn sie bleibt zu sehr im All-
gemeinen, um uns sehen zu lassen, wie sich denn die ursprünglich hinter den
Ländern des Kontinents sehr weit zurückgebliebene englische Industrie rein natur¬
wüchsig hätte aufhelfen sollen. Es wäre daher besser, die Natur nicht in dem
Verzicht auf den Verstand, sondern in der Kunst des politischen Instinctes selbst
zu suchen. Doch können wir hier nicht eine geschichtliche Darstellung der Wir¬
kungen des Schutzsystems geben. Nur so viel muß der Kenner der englischen
und französischen Handels- und Industriegeschichte zugeben, daß ohne die künst¬
lichen Maßregeln keiner der beiden Staaten Kraft gewonnen haben würde.
Colberts System ist daher nicht die unvernünftige Marotte, für die es heute
häufig genug ausgegeben wird. Es ist allerdings ein allgemein anerkannter
Fehlgriff, daß Colbert die Ausfuhr der Rohproducte zu Gunsten der einheimischen
Industrie beschränken zu dürfen glaubte. Dieser Punkt ist der Hauptfehler des
Mercantilsystems. Der Kreislauf der Rohstoffe und Lebensmittel kann und muß
völlig frei sein; denn er hat mit der Verletzung der einheimischen Industrie
nichts zu schaffen. In dieser Hinsicht leitet das Princip der industriellen Er¬
ziehung wirklich irre, und man wird gewahr, wie der von uns in erster Linie
geltend gemachte Gesichtspunkt der Gerechtigkeit auch die Grenze der positiven
Maßregeln anzeige. — Für die gegenwärtige Praxis der vorgerückten Nationen
ist das Schutzprincip gleichgiltig; der Starke braucht keinen Schutz, und die
gleich Starken halten einander die Wage, die hierzugleich die natürliche Wage
der wirthschaftlichen Gerechtigkeit ist. Das wirthschaftliche Gleichgewicht ist die
Vorbedingung der Handelsfreiheit, während das Uebergewicht stets nach den
Grundsätzen Colberts unschädlich gemacht weiden muß. Den Briten muß jetzt
die Theorie der Handelsfreiheit sehr einleuchtend scheinen; für England wären
Schutzzölle auch wirklich eine Thorheit, und die stämmigen Eichen, die wie das
Inselreich dem Sturme trotzen, werden ebenfalls der Stützpfählchen ihrer Kind¬
heit und Jugend entrathen können. Doch ist die Renommisterei und der Spott


Wrcnzboten IV. 18K4, 53
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190045"/>
          <p xml:id="ID_1436" prev="#ID_1435" next="#ID_1437"> dürften,  &#x201E;Man hat uns vorgeworfen," meint der britische Finanzminister,<lb/>
&#x201E;wir würfen die Leiter, auf der wir zur Größe aufgestiegen, jetzt fort, damit<lb/>
andere uns nicht nachfolgen könnten; allein wir sind trotz unserer verkehrten<lb/>
Schutzpolitik, aber nicht durch dieselbe mächtig geworden." &#x2014; Dies ist das<lb/>
alte Argument, mit dem Huskisson, als dessen Nacheiferer sich Gladstone auch<lb/>
in der That bekennt, Europa und Amerika zu düpiren suchte.  Der einfachste<lb/>
Verstand begreift die Wirkung richtig bemessener Schutzzölle für ein in indu¬<lb/>
strieller Jugend stehendes Volk.  Mit vollem Recht hat man diese Logik der<lb/>
Manchestermänner mit der Frage beantwortet, ob denn auch vielleicht das<lb/>
schwache Stämmchen der Baumschule trotz des Stützpfahls und nicht vermöge<lb/>
desselben den Stürmen widerstehe.  Alles wäre noch weit besser gegangen, meint<lb/>
Gladstone, wenn England das Schutzsystem nicht befolgt hätte.  Gegen diese<lb/>
Behauptung läßt sich allerdings nichts thun; denn sie bleibt zu sehr im All-<lb/>
gemeinen, um uns sehen zu lassen, wie sich denn die ursprünglich hinter den<lb/>
Ländern des Kontinents sehr weit zurückgebliebene englische Industrie rein natur¬<lb/>
wüchsig hätte aufhelfen sollen.  Es wäre daher besser, die Natur nicht in dem<lb/>
Verzicht auf den Verstand, sondern in der Kunst des politischen Instinctes selbst<lb/>
zu suchen.  Doch können wir hier nicht eine geschichtliche Darstellung der Wir¬<lb/>
kungen des Schutzsystems geben.  Nur so viel muß der Kenner der englischen<lb/>
und französischen Handels- und Industriegeschichte zugeben, daß ohne die künst¬<lb/>
lichen Maßregeln keiner der beiden Staaten Kraft gewonnen haben würde.<lb/>
Colberts System ist daher nicht die unvernünftige Marotte, für die es heute<lb/>
häufig genug ausgegeben wird.  Es ist allerdings ein allgemein anerkannter<lb/>
Fehlgriff, daß Colbert die Ausfuhr der Rohproducte zu Gunsten der einheimischen<lb/>
Industrie beschränken zu dürfen glaubte.  Dieser Punkt ist der Hauptfehler des<lb/>
Mercantilsystems.  Der Kreislauf der Rohstoffe und Lebensmittel kann und muß<lb/>
völlig frei sein; denn er hat mit der Verletzung der einheimischen Industrie<lb/>
nichts zu schaffen.  In dieser Hinsicht leitet das Princip der industriellen Er¬<lb/>
ziehung wirklich irre, und man wird gewahr, wie der von uns in erster Linie<lb/>
geltend gemachte Gesichtspunkt der Gerechtigkeit auch die Grenze der positiven<lb/>
Maßregeln anzeige. &#x2014; Für die gegenwärtige Praxis der vorgerückten Nationen<lb/>
ist das Schutzprincip gleichgiltig; der Starke braucht keinen Schutz, und die<lb/>
gleich Starken halten einander die Wage, die hierzugleich die natürliche Wage<lb/>
der wirthschaftlichen Gerechtigkeit ist.  Das wirthschaftliche Gleichgewicht ist die<lb/>
Vorbedingung der Handelsfreiheit, während das Uebergewicht stets nach den<lb/>
Grundsätzen Colberts unschädlich gemacht weiden muß.  Den Briten muß jetzt<lb/>
die Theorie der Handelsfreiheit sehr einleuchtend scheinen; für England wären<lb/>
Schutzzölle auch wirklich eine Thorheit, und die stämmigen Eichen, die wie das<lb/>
Inselreich dem Sturme trotzen, werden ebenfalls der Stützpfählchen ihrer Kind¬<lb/>
heit und Jugend entrathen können.  Doch ist die Renommisterei und der Spott</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Wrcnzboten IV. 18K4, 53</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] dürften, „Man hat uns vorgeworfen," meint der britische Finanzminister, „wir würfen die Leiter, auf der wir zur Größe aufgestiegen, jetzt fort, damit andere uns nicht nachfolgen könnten; allein wir sind trotz unserer verkehrten Schutzpolitik, aber nicht durch dieselbe mächtig geworden." — Dies ist das alte Argument, mit dem Huskisson, als dessen Nacheiferer sich Gladstone auch in der That bekennt, Europa und Amerika zu düpiren suchte. Der einfachste Verstand begreift die Wirkung richtig bemessener Schutzzölle für ein in indu¬ strieller Jugend stehendes Volk. Mit vollem Recht hat man diese Logik der Manchestermänner mit der Frage beantwortet, ob denn auch vielleicht das schwache Stämmchen der Baumschule trotz des Stützpfahls und nicht vermöge desselben den Stürmen widerstehe. Alles wäre noch weit besser gegangen, meint Gladstone, wenn England das Schutzsystem nicht befolgt hätte. Gegen diese Behauptung läßt sich allerdings nichts thun; denn sie bleibt zu sehr im All- gemeinen, um uns sehen zu lassen, wie sich denn die ursprünglich hinter den Ländern des Kontinents sehr weit zurückgebliebene englische Industrie rein natur¬ wüchsig hätte aufhelfen sollen. Es wäre daher besser, die Natur nicht in dem Verzicht auf den Verstand, sondern in der Kunst des politischen Instinctes selbst zu suchen. Doch können wir hier nicht eine geschichtliche Darstellung der Wir¬ kungen des Schutzsystems geben. Nur so viel muß der Kenner der englischen und französischen Handels- und Industriegeschichte zugeben, daß ohne die künst¬ lichen Maßregeln keiner der beiden Staaten Kraft gewonnen haben würde. Colberts System ist daher nicht die unvernünftige Marotte, für die es heute häufig genug ausgegeben wird. Es ist allerdings ein allgemein anerkannter Fehlgriff, daß Colbert die Ausfuhr der Rohproducte zu Gunsten der einheimischen Industrie beschränken zu dürfen glaubte. Dieser Punkt ist der Hauptfehler des Mercantilsystems. Der Kreislauf der Rohstoffe und Lebensmittel kann und muß völlig frei sein; denn er hat mit der Verletzung der einheimischen Industrie nichts zu schaffen. In dieser Hinsicht leitet das Princip der industriellen Er¬ ziehung wirklich irre, und man wird gewahr, wie der von uns in erster Linie geltend gemachte Gesichtspunkt der Gerechtigkeit auch die Grenze der positiven Maßregeln anzeige. — Für die gegenwärtige Praxis der vorgerückten Nationen ist das Schutzprincip gleichgiltig; der Starke braucht keinen Schutz, und die gleich Starken halten einander die Wage, die hierzugleich die natürliche Wage der wirthschaftlichen Gerechtigkeit ist. Das wirthschaftliche Gleichgewicht ist die Vorbedingung der Handelsfreiheit, während das Uebergewicht stets nach den Grundsätzen Colberts unschädlich gemacht weiden muß. Den Briten muß jetzt die Theorie der Handelsfreiheit sehr einleuchtend scheinen; für England wären Schutzzölle auch wirklich eine Thorheit, und die stämmigen Eichen, die wie das Inselreich dem Sturme trotzen, werden ebenfalls der Stützpfählchen ihrer Kind¬ heit und Jugend entrathen können. Doch ist die Renommisterei und der Spott Wrcnzboten IV. 18K4, 53

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/421>, abgerufen am 03.07.2024.