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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Es liegt hier weniger in unserer Absicht, das Detail der einzelnen Ma߬
regeln anzuführen, durch welches Colbert, als er 1661 an die Spitze der Geschäfte
trat, den vorgefundenen elenden Zustand der französischen Volkswirthschaft nach
und nach umgestaltet?. Uns find die Grundzüge des jetzt im Allgemeinen so
überaus wenig gekannten oder noch häufiger mißkannten Systems die Haupt¬
sachen. Wir wollen von dem Geiste und den Hauptpunkten der colbertschen
Handelspolitik einen Begriff zu geben versuchen, aber nicht die umständliche
Geschichte seines Ministeriums erzählen. Wer sich für die Einzelnheiten jener
Maßregeln iiiteressnt, dem erlauben wir uns "Olenrign"-. KiKtoire as ig. ol<z "t
as 1'aäministration as volbsrt, ?^ris 1846" zu empfehlen. -- Für uns ist
Colbert der Name eines Systems, welches zur Gegenwart in einer doppelten
Beziehung steht. Erstens ist es von bedeutenden praktischen Folgen für die Ge¬
staltung der französischen Industrie gewesen, und zweitens schließt es diejenige
Theorie der Handelspolitik ein, welche einzig und allein einer wirthschaftlich
zurückstehender Nation heilsam sein und zur Ausbildung einer nationalen In¬
dustrie führen kann. Einerseits weist der gegenwärtige Stand der Seiden- und
Wollenmanufacturen Frankreichs geradezu auf Colbert als auf seinen Begründer
zurück. Andererseits haben alle Staaten, die sich in Ermangelung einer wahren
praktischen Theorie an das Vorbild der colbertschen Maßregeln hielten, hierdurch
ihrer Handelspolitik eine feste und gedeihliche Haltung gegeben. So hat z. B.
der Zollverein bis auf seinen noch giltigen Tarif stets das Princip des Schutzes
verfolgt, und es ist nicht wShr, daß sein Wesen vornehmlich in der Aushebung
der innern Zollschranken bestanden habe. Der Zollverein wurde ganz wie die
colbertsche Reform von einem doppelten Gedanken getragen, was uns übrigens
nicht Wunder nehmen darf>. da der wirthschaftliche Zustand Deutschlands im
Anfange dieses Jahrhunderts mit demjenigen Frankreichs, wie ihn die colbert¬
sche Verwaltung vorfand, einige Aehnlichl'eit hatte. Hier wie dort existirten
lästige innere Zolllinien. Gegen diese verfuhr Colbert so viel es ihm über¬
haupt möglich war, und gegen solche richtete auch Deutschland seinen Zollbund.
Allein der Schwerpunkt beider Reformen fiel in den nach außen gerichteten
Schutz, über den man heute bei Besprechung des Zollvereins so leicht hinweg¬
zugehen pflegt.

Colbert konnte sich offenbar nicht auf die bloße Einführung des Jndustrie-
schutzes d. h. gleichsam auf die Sicherung des internationalen Rechts der in¬
dustriellen Arbeit beschränken. Er mußte und zwar in allen Richtungen auch
positiv vorgehen. Mit der größten Betriebsamkeit zog er geschickte Arbeiter ins
Land und sorgte für die Beschaffung besserer Werkzeuge und Maschinen. Im
Innern hob er den Verkehr direct durch Beförderung der Transportanstalten;
die Kanäle von Orleans und Languedoc sind noch heute Zeugen seines ener¬
gischen Bestrebens. Auch führte er. was man ihm später zum Vorwurf ge.


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Es liegt hier weniger in unserer Absicht, das Detail der einzelnen Ma߬
regeln anzuführen, durch welches Colbert, als er 1661 an die Spitze der Geschäfte
trat, den vorgefundenen elenden Zustand der französischen Volkswirthschaft nach
und nach umgestaltet?. Uns find die Grundzüge des jetzt im Allgemeinen so
überaus wenig gekannten oder noch häufiger mißkannten Systems die Haupt¬
sachen. Wir wollen von dem Geiste und den Hauptpunkten der colbertschen
Handelspolitik einen Begriff zu geben versuchen, aber nicht die umständliche
Geschichte seines Ministeriums erzählen. Wer sich für die Einzelnheiten jener
Maßregeln iiiteressnt, dem erlauben wir uns „Olenrign»-. KiKtoire as ig. ol<z «t
as 1'aäministration as volbsrt, ?^ris 1846" zu empfehlen. — Für uns ist
Colbert der Name eines Systems, welches zur Gegenwart in einer doppelten
Beziehung steht. Erstens ist es von bedeutenden praktischen Folgen für die Ge¬
staltung der französischen Industrie gewesen, und zweitens schließt es diejenige
Theorie der Handelspolitik ein, welche einzig und allein einer wirthschaftlich
zurückstehender Nation heilsam sein und zur Ausbildung einer nationalen In¬
dustrie führen kann. Einerseits weist der gegenwärtige Stand der Seiden- und
Wollenmanufacturen Frankreichs geradezu auf Colbert als auf seinen Begründer
zurück. Andererseits haben alle Staaten, die sich in Ermangelung einer wahren
praktischen Theorie an das Vorbild der colbertschen Maßregeln hielten, hierdurch
ihrer Handelspolitik eine feste und gedeihliche Haltung gegeben. So hat z. B.
der Zollverein bis auf seinen noch giltigen Tarif stets das Princip des Schutzes
verfolgt, und es ist nicht wShr, daß sein Wesen vornehmlich in der Aushebung
der innern Zollschranken bestanden habe. Der Zollverein wurde ganz wie die
colbertsche Reform von einem doppelten Gedanken getragen, was uns übrigens
nicht Wunder nehmen darf>. da der wirthschaftliche Zustand Deutschlands im
Anfange dieses Jahrhunderts mit demjenigen Frankreichs, wie ihn die colbert¬
sche Verwaltung vorfand, einige Aehnlichl'eit hatte. Hier wie dort existirten
lästige innere Zolllinien. Gegen diese verfuhr Colbert so viel es ihm über¬
haupt möglich war, und gegen solche richtete auch Deutschland seinen Zollbund.
Allein der Schwerpunkt beider Reformen fiel in den nach außen gerichteten
Schutz, über den man heute bei Besprechung des Zollvereins so leicht hinweg¬
zugehen pflegt.

Colbert konnte sich offenbar nicht auf die bloße Einführung des Jndustrie-
schutzes d. h. gleichsam auf die Sicherung des internationalen Rechts der in¬
dustriellen Arbeit beschränken. Er mußte und zwar in allen Richtungen auch
positiv vorgehen. Mit der größten Betriebsamkeit zog er geschickte Arbeiter ins
Land und sorgte für die Beschaffung besserer Werkzeuge und Maschinen. Im
Innern hob er den Verkehr direct durch Beförderung der Transportanstalten;
die Kanäle von Orleans und Languedoc sind noch heute Zeugen seines ener¬
gischen Bestrebens. Auch führte er. was man ihm später zum Vorwurf ge.


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[0415] Es liegt hier weniger in unserer Absicht, das Detail der einzelnen Ma߬ regeln anzuführen, durch welches Colbert, als er 1661 an die Spitze der Geschäfte trat, den vorgefundenen elenden Zustand der französischen Volkswirthschaft nach und nach umgestaltet?. Uns find die Grundzüge des jetzt im Allgemeinen so überaus wenig gekannten oder noch häufiger mißkannten Systems die Haupt¬ sachen. Wir wollen von dem Geiste und den Hauptpunkten der colbertschen Handelspolitik einen Begriff zu geben versuchen, aber nicht die umständliche Geschichte seines Ministeriums erzählen. Wer sich für die Einzelnheiten jener Maßregeln iiiteressnt, dem erlauben wir uns „Olenrign»-. KiKtoire as ig. ol<z «t as 1'aäministration as volbsrt, ?^ris 1846" zu empfehlen. — Für uns ist Colbert der Name eines Systems, welches zur Gegenwart in einer doppelten Beziehung steht. Erstens ist es von bedeutenden praktischen Folgen für die Ge¬ staltung der französischen Industrie gewesen, und zweitens schließt es diejenige Theorie der Handelspolitik ein, welche einzig und allein einer wirthschaftlich zurückstehender Nation heilsam sein und zur Ausbildung einer nationalen In¬ dustrie führen kann. Einerseits weist der gegenwärtige Stand der Seiden- und Wollenmanufacturen Frankreichs geradezu auf Colbert als auf seinen Begründer zurück. Andererseits haben alle Staaten, die sich in Ermangelung einer wahren praktischen Theorie an das Vorbild der colbertschen Maßregeln hielten, hierdurch ihrer Handelspolitik eine feste und gedeihliche Haltung gegeben. So hat z. B. der Zollverein bis auf seinen noch giltigen Tarif stets das Princip des Schutzes verfolgt, und es ist nicht wShr, daß sein Wesen vornehmlich in der Aushebung der innern Zollschranken bestanden habe. Der Zollverein wurde ganz wie die colbertsche Reform von einem doppelten Gedanken getragen, was uns übrigens nicht Wunder nehmen darf>. da der wirthschaftliche Zustand Deutschlands im Anfange dieses Jahrhunderts mit demjenigen Frankreichs, wie ihn die colbert¬ sche Verwaltung vorfand, einige Aehnlichl'eit hatte. Hier wie dort existirten lästige innere Zolllinien. Gegen diese verfuhr Colbert so viel es ihm über¬ haupt möglich war, und gegen solche richtete auch Deutschland seinen Zollbund. Allein der Schwerpunkt beider Reformen fiel in den nach außen gerichteten Schutz, über den man heute bei Besprechung des Zollvereins so leicht hinweg¬ zugehen pflegt. Colbert konnte sich offenbar nicht auf die bloße Einführung des Jndustrie- schutzes d. h. gleichsam auf die Sicherung des internationalen Rechts der in¬ dustriellen Arbeit beschränken. Er mußte und zwar in allen Richtungen auch positiv vorgehen. Mit der größten Betriebsamkeit zog er geschickte Arbeiter ins Land und sorgte für die Beschaffung besserer Werkzeuge und Maschinen. Im Innern hob er den Verkehr direct durch Beförderung der Transportanstalten; die Kanäle von Orleans und Languedoc sind noch heute Zeugen seines ener¬ gischen Bestrebens. Auch führte er. was man ihm später zum Vorwurf ge. 52*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/415>, abgerufen am 22.07.2024.