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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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that er sich zu einer Konföderation mit der Hauptstadt Montgomery in Ala¬
bama zusammen und setzte Jefferson Davis j;u seinem Präsidenten. Unterdeß
erörterte der Norden, ob der Süden berechtigt sei, aus der Republik auszuschei¬
den. Er konnte offenbar auf dasselbe Recht pochen, was die vereinigten Staa¬
ten proclamirt haben, als sie einst den Engländern erklärten, daß sie sich allein
regieren wollten. -- In einem Staate, in welchem das Individuum bis dahin
allein als Basis aller staatlichen Einrichtungen galt und höchstens den Einzel¬
staaten noch das Recht eines Individuums gewährt wurde, wird die freie Selbst¬
bestimmung der Staaten in der Frage, ob sie der Republik angehören wollen
oder nicht, durchaus als Rechtens angesehen werden müssen. Wo soll das Recht
der Revolution, das als das beste Mittel gegen einseitige Staatsentwicklung
anerkannt ist, frei zur Anwendung komme", wenn nicht in den Vereinigten
Staaten? Vor 1860 war man in Beantwortung dieser Frage auch kaum zwei¬
felhaft, nur der Parteibah hat das ruhige Urtheil zum Schweigen gebracht und
den Krieg der friedlichen Scheidung vorgezogen. Die Herrschaft des Südens
hatte lange und zuletzt schwer aus dem Norden gelastet, jahrelange Wahlkämpfe
hatten es ihm erst ermöglicht, die Zügel der Regierung zu ergreisen und dem
Süden seinen Willen zu dictiren. Diesen Triumph wollte aber der Süden nicht
über sich ergehen lassen und deshalb erklärte er die Secession. Der Sieger
sollte sich selbst genügen; das war zu viel verlangt für Parteiführer. Verge¬
waltigung wurde die Losung der Republikaner. Der Haß der beiden Parteien
gedieh zu einer Schärfe, welche jede ruhige Erörterung unmöglich machte und
welche ein Volk, das in seiner ganzen Existenz dem Kriege fremd ist, blind in
denselben hineintrieb. Jeder der Theile glaubte vom andern, wenn er nur
Ernst zeige, würde der Gegner nachgeben. So demonstrirte man sich in eine
Machtentwicklung hinein, welche den ersten Absichten ganz fern lag. -- Der
Norte!, hielt seinen Gegner wegen der Sklaven zu einem Widerstande ganz un¬
fähig und der Süden setzte voraus, Handel und Industrie habe dem Norden
seine Thatkraft genommen. Trotz allen Geschreis glaubte niemand an einen
Krieg, nur allerwenigsten Lincoln, der den Antritt seiner Negierung in Illinois
abgewartet hatte und rechtzeitig abreisend zunächst überall mit Enthusiasmus
begrüßt wird, aus allen Stationen Reden über die Gewißheit und Nothwendig¬
keit des Friedens hält; je näher er aber dem Ziele seiner Reise kam, desto kühler
empfangen wurde und es endlich nicht wagen durfte, offen durch Baltimore
hindurchzufahren. Verkleidet und versteckt gelangte er in seine Residenz.

Er wollte den Frieden unter allen Umständen erhalten und gleichzeitig die
Loslösung des Südens verhindern. Das war nach Lage der Dinge unmöglich,
zumal wenn man sich den Ereignissen gegenüber nur auf Reden beschränkte und
dem Gegner volle Freiheit zur Entwicklung seiner Streitkräfte gab. Lincoln
ließ die Ereignisse für sich handeln und so kam es dahin, daß der Süden die


that er sich zu einer Konföderation mit der Hauptstadt Montgomery in Ala¬
bama zusammen und setzte Jefferson Davis j;u seinem Präsidenten. Unterdeß
erörterte der Norden, ob der Süden berechtigt sei, aus der Republik auszuschei¬
den. Er konnte offenbar auf dasselbe Recht pochen, was die vereinigten Staa¬
ten proclamirt haben, als sie einst den Engländern erklärten, daß sie sich allein
regieren wollten. — In einem Staate, in welchem das Individuum bis dahin
allein als Basis aller staatlichen Einrichtungen galt und höchstens den Einzel¬
staaten noch das Recht eines Individuums gewährt wurde, wird die freie Selbst¬
bestimmung der Staaten in der Frage, ob sie der Republik angehören wollen
oder nicht, durchaus als Rechtens angesehen werden müssen. Wo soll das Recht
der Revolution, das als das beste Mittel gegen einseitige Staatsentwicklung
anerkannt ist, frei zur Anwendung komme», wenn nicht in den Vereinigten
Staaten? Vor 1860 war man in Beantwortung dieser Frage auch kaum zwei¬
felhaft, nur der Parteibah hat das ruhige Urtheil zum Schweigen gebracht und
den Krieg der friedlichen Scheidung vorgezogen. Die Herrschaft des Südens
hatte lange und zuletzt schwer aus dem Norden gelastet, jahrelange Wahlkämpfe
hatten es ihm erst ermöglicht, die Zügel der Regierung zu ergreisen und dem
Süden seinen Willen zu dictiren. Diesen Triumph wollte aber der Süden nicht
über sich ergehen lassen und deshalb erklärte er die Secession. Der Sieger
sollte sich selbst genügen; das war zu viel verlangt für Parteiführer. Verge¬
waltigung wurde die Losung der Republikaner. Der Haß der beiden Parteien
gedieh zu einer Schärfe, welche jede ruhige Erörterung unmöglich machte und
welche ein Volk, das in seiner ganzen Existenz dem Kriege fremd ist, blind in
denselben hineintrieb. Jeder der Theile glaubte vom andern, wenn er nur
Ernst zeige, würde der Gegner nachgeben. So demonstrirte man sich in eine
Machtentwicklung hinein, welche den ersten Absichten ganz fern lag. — Der
Norte!, hielt seinen Gegner wegen der Sklaven zu einem Widerstande ganz un¬
fähig und der Süden setzte voraus, Handel und Industrie habe dem Norden
seine Thatkraft genommen. Trotz allen Geschreis glaubte niemand an einen
Krieg, nur allerwenigsten Lincoln, der den Antritt seiner Negierung in Illinois
abgewartet hatte und rechtzeitig abreisend zunächst überall mit Enthusiasmus
begrüßt wird, aus allen Stationen Reden über die Gewißheit und Nothwendig¬
keit des Friedens hält; je näher er aber dem Ziele seiner Reise kam, desto kühler
empfangen wurde und es endlich nicht wagen durfte, offen durch Baltimore
hindurchzufahren. Verkleidet und versteckt gelangte er in seine Residenz.

Er wollte den Frieden unter allen Umständen erhalten und gleichzeitig die
Loslösung des Südens verhindern. Das war nach Lage der Dinge unmöglich,
zumal wenn man sich den Ereignissen gegenüber nur auf Reden beschränkte und
dem Gegner volle Freiheit zur Entwicklung seiner Streitkräfte gab. Lincoln
ließ die Ereignisse für sich handeln und so kam es dahin, daß der Süden die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/395>, abgerufen am 03.07.2024.