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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Erst beim Einbrüche der Franzosen in die Schweiz 1798 gerieth dieser Brauch
ins Stocken; am Se. Otmarsabend 1863 hat ihn die junge zofinger Bürger¬
schaft wieder ins Leben gerufen. In den Aargausagen Ur. 303 findet sich die
Erzählung von der Mordnacht zu Zofinge" als die angebliche Ursache dieses
Brauches. Viel reichlicher als hier liefen die Geschenke ab, die man ehemals
zu Basel beim Nikolausfeste vertheilte. Jeder Domherr, der beim Gottesdienste
mitzuhelfen hatte, erhielt ein Quartale Wein, vier aus feinem Mehl gebackene
Bolwecken und zwei Semmeln; jeder ihrer Diener zur Semmel zwei Maß Wein,
ebensoviel alle milfunctionirenden Priester, Schulmeister und Schüler. Drüber
hinaus gab das Domstift jedem besonders einen Bolwcck. ebenso des Peters¬
stift jedem Wein und Semmeln. Selbst die fremden Geistlichen, die auf diesen
Tag u"r besuchsweise zugegen waren, bekamen jeder zwei Maß Wein und eine
Semmel. Das Gleiche erhielt jeder bischöfliche Beamte, jeder Ofsiziant. Notar.
Procurator, bis zu den Boten, Briefträgern und Briefträgerinnen hinab. (Basler
Neujahrsblalt 1830, 29.) Wie man sieht, hatte der zu Basel refidirende Bi¬
schof in dieser Stadt den Anlaß gegeben, daß hier aus dem Nikolausfestc das
Fest des sogenannten Kinderbischofs Gregorius wurde, eine Umänderung, die
dann in andern Orten der Schweiz zu ganz besonderen Prunkaufzügen führte.
In der Stadt Zug z. B. war am Nikolaustage zugleich Jahrmarkt. Während
da der Kinderbischof unter Musketensalven feierlich den Segen ertheilte und sich
dann zu einem pompösen Gastmahle begab, hatte sein Hofnarr das Vorrecht,
in alle Krambuden laufen und sich ein Geschenk erbitten zu dürfen. Das
Erbetene ihm wirklich zu geben, wurde als eine unerläßliche Schuldigkeit an¬
gesehen. Dieser Ortsbrauch hat hier bis zum Jahre 1796 angedauert. Bis
zur Aufhebung der aargauer Abtei Wettingen (Januar 1841) hatte die Knaben¬
schaft des gleichnamigen Dorfes das Vorrecht, daselbst die Mastcngewänder für
den alljcibrlichen Nikvlauszug entlehnen zu dürfen. Jeder einzelne Zugführer
erhielt da die Aide, ein langwallendcs Priesterhemde, nebst Insel und Mitra
und galt in diesem Ornat dann nicht etwa als der heilige Bischof, sondern als
der wirkliche Samichlaus. Ihm gesellten sich die Kameraden bei, vermummt
als polizeiliche Kinderfänger, bärtig und Stöcke schleppend; oder als gräuliche
Schmutzli. mit Roßrollen. Harnisclchletzcu und Milchkeller behängen; oder gar
als Nikvlausesel mit leeren Körben und Flaschen bepackt, in die man die er¬
warteten Gaben einzusammeln gedachte. In verschiedenen Richtungen vertheilte
sich dann das Gefolge durch die Dorfgassen. Vor jedem Hause, in welchem
Kinder waren oder sonst ein hübsches Mädchen, erhoben sie ihr Kettengerassel
Wagcngeknarre und Schellengeklingel, sie wieherten, meckerten, blökten und yahn-
tcn, um damit auszudrücken, daß der mit aller Gattung Vierfüßler bespannte
Nikolauswagcn noch ohne die nöthige Ladung im Dorfe umfahre. Während
der Samichlaus in die Wohnstube eintrat, um die Kinder zu prüfen, wobei ihm


Erst beim Einbrüche der Franzosen in die Schweiz 1798 gerieth dieser Brauch
ins Stocken; am Se. Otmarsabend 1863 hat ihn die junge zofinger Bürger¬
schaft wieder ins Leben gerufen. In den Aargausagen Ur. 303 findet sich die
Erzählung von der Mordnacht zu Zofinge» als die angebliche Ursache dieses
Brauches. Viel reichlicher als hier liefen die Geschenke ab, die man ehemals
zu Basel beim Nikolausfeste vertheilte. Jeder Domherr, der beim Gottesdienste
mitzuhelfen hatte, erhielt ein Quartale Wein, vier aus feinem Mehl gebackene
Bolwecken und zwei Semmeln; jeder ihrer Diener zur Semmel zwei Maß Wein,
ebensoviel alle milfunctionirenden Priester, Schulmeister und Schüler. Drüber
hinaus gab das Domstift jedem besonders einen Bolwcck. ebenso des Peters¬
stift jedem Wein und Semmeln. Selbst die fremden Geistlichen, die auf diesen
Tag u»r besuchsweise zugegen waren, bekamen jeder zwei Maß Wein und eine
Semmel. Das Gleiche erhielt jeder bischöfliche Beamte, jeder Ofsiziant. Notar.
Procurator, bis zu den Boten, Briefträgern und Briefträgerinnen hinab. (Basler
Neujahrsblalt 1830, 29.) Wie man sieht, hatte der zu Basel refidirende Bi¬
schof in dieser Stadt den Anlaß gegeben, daß hier aus dem Nikolausfestc das
Fest des sogenannten Kinderbischofs Gregorius wurde, eine Umänderung, die
dann in andern Orten der Schweiz zu ganz besonderen Prunkaufzügen führte.
In der Stadt Zug z. B. war am Nikolaustage zugleich Jahrmarkt. Während
da der Kinderbischof unter Musketensalven feierlich den Segen ertheilte und sich
dann zu einem pompösen Gastmahle begab, hatte sein Hofnarr das Vorrecht,
in alle Krambuden laufen und sich ein Geschenk erbitten zu dürfen. Das
Erbetene ihm wirklich zu geben, wurde als eine unerläßliche Schuldigkeit an¬
gesehen. Dieser Ortsbrauch hat hier bis zum Jahre 1796 angedauert. Bis
zur Aufhebung der aargauer Abtei Wettingen (Januar 1841) hatte die Knaben¬
schaft des gleichnamigen Dorfes das Vorrecht, daselbst die Mastcngewänder für
den alljcibrlichen Nikvlauszug entlehnen zu dürfen. Jeder einzelne Zugführer
erhielt da die Aide, ein langwallendcs Priesterhemde, nebst Insel und Mitra
und galt in diesem Ornat dann nicht etwa als der heilige Bischof, sondern als
der wirkliche Samichlaus. Ihm gesellten sich die Kameraden bei, vermummt
als polizeiliche Kinderfänger, bärtig und Stöcke schleppend; oder als gräuliche
Schmutzli. mit Roßrollen. Harnisclchletzcu und Milchkeller behängen; oder gar
als Nikvlausesel mit leeren Körben und Flaschen bepackt, in die man die er¬
warteten Gaben einzusammeln gedachte. In verschiedenen Richtungen vertheilte
sich dann das Gefolge durch die Dorfgassen. Vor jedem Hause, in welchem
Kinder waren oder sonst ein hübsches Mädchen, erhoben sie ihr Kettengerassel
Wagcngeknarre und Schellengeklingel, sie wieherten, meckerten, blökten und yahn-
tcn, um damit auszudrücken, daß der mit aller Gattung Vierfüßler bespannte
Nikolauswagcn noch ohne die nöthige Ladung im Dorfe umfahre. Während
der Samichlaus in die Wohnstube eintrat, um die Kinder zu prüfen, wobei ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/388>, abgerufen am 22.07.2024.