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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Marsche herbeiliehen, da der Herzog von Celle diesen nicht einseitig antreten zu
können erklärte. Da wagte Buch, der die Gefahr der Lage erkannte, einen Genie^
streich; aus eigene Faust eilte er zu Bournonville, fingirte mit dreister Stirn
einen mündlichen Befehl des Kurfürsten, den er sodann angesichts der Generali¬
tät des östreichischen Hauptquartiers wiederholte, so daß Bournonville, obgleich
aufs äußerste gereizt, unter heftigen Grobheiten gegen den Junker trotz
seines schlechten Willens in der Weise parirte, wie es erforderlich schien. In
den ersten Nachmittagsstunden war das Gefecht vollständig engagirt. Der Kur¬
fürst und sein Generalstab beobachtete es aus größter Nähe, vergebens drangen
die Seinigen in ihn, wider Gewohnheit einen Küraß anzulegen. Die Kugeln
schlugen dicht neben und vor ihm ein. Er wehrte sich dagegen: die andern
Soldaten trügen ja auch keinen Panzer. Die Manoeuvres des Feuergefechts
wurden höchst exact ausgeführt. Man schlug sich in der Distance, die der Fluß
angab, bis zur Dunkelheit herum, und die Brandenburger hatten unverhältniß-
mäßig geringen Verlust. Dennoch war nichts erreicht. Bournonville hatte unge¬
achtet des gemessensten Befehles Türkheim nicht gehalten, sondernden Ort preis¬
gegeben, der nicht blos den Flußübergang beherrschte und deshalb einen Flanken¬
angriff Seitens der Franzosen ermöglichte, sondern von welchem her es auch ein
Leichtes war, den Verbündeten ihren Succurs von Straßburg abzuschneiden.

Dies und die Einsicht, daß die Ernährung der Armee in Colmar auf die
Dauer nicht zu erreichen war, bestimmte den Entschluß, das Lager abzubrechen.
Die Bagage sollte während der Nacht vorausgehn, die Truppen bei vollem
Tage folgen. Im Uebermaß des Mißtrauens schickt der Kurfürst noch zu Bour¬
nonville und läßt ihm das Versprechen abnehmen die Instruction genau inne
zu halten. Dieser erklärt, daß er morgen sogar noch auf ausdrücklichen Be¬
fehl zum Abmarsch warten werde. Und in derselben Stunde, wo er dies gelobt,
ist seine ganze Artillerie bereits aufgebrochen, ohne daß er dem vor ihm stehen¬
den General Dönhoff ein Wort gemeldet hätte. Buch versichert, daß 500
feindliche Reiter, welche diese Lücke wahrgenommen hätten, genügt haben wür¬
den, die ganze brandenburgische Infanterie über den Haufen zu rennen, die im
Gefühl der Deckung sichs bequem gemacht hatte. Den Kaiserlichen waren
in gutem Glauben die Lüneburger gefolgt. Glücklicherweise inspicirt deren
Generallieutenant Chauvet noch die Vorposten, trifft die Feuer leer, aber
dahinter die Dönhoffschen. Der Graf selbst, den er erstaunt fragt, was
er noch dort mache, wird nun erst inne, daß er aufs unverantwortlichste
im Stich gelassen ist und zieht sich an das brandenburgische Hauptcorps heran.
Vor Tagesgrauen am 27. December wird der Kurfürst in der verfallenen Mühle,
in der er quartirt war, von dem Sachverhalt unterrichtet, will nichts von
allem glauben, bis er durch eigenen Augenschein von der Richtigkeit belehrt wird,
und leitet nun mit höchster Vorsicht persönlich den Abzug, von dessen glück-


Marsche herbeiliehen, da der Herzog von Celle diesen nicht einseitig antreten zu
können erklärte. Da wagte Buch, der die Gefahr der Lage erkannte, einen Genie^
streich; aus eigene Faust eilte er zu Bournonville, fingirte mit dreister Stirn
einen mündlichen Befehl des Kurfürsten, den er sodann angesichts der Generali¬
tät des östreichischen Hauptquartiers wiederholte, so daß Bournonville, obgleich
aufs äußerste gereizt, unter heftigen Grobheiten gegen den Junker trotz
seines schlechten Willens in der Weise parirte, wie es erforderlich schien. In
den ersten Nachmittagsstunden war das Gefecht vollständig engagirt. Der Kur¬
fürst und sein Generalstab beobachtete es aus größter Nähe, vergebens drangen
die Seinigen in ihn, wider Gewohnheit einen Küraß anzulegen. Die Kugeln
schlugen dicht neben und vor ihm ein. Er wehrte sich dagegen: die andern
Soldaten trügen ja auch keinen Panzer. Die Manoeuvres des Feuergefechts
wurden höchst exact ausgeführt. Man schlug sich in der Distance, die der Fluß
angab, bis zur Dunkelheit herum, und die Brandenburger hatten unverhältniß-
mäßig geringen Verlust. Dennoch war nichts erreicht. Bournonville hatte unge¬
achtet des gemessensten Befehles Türkheim nicht gehalten, sondernden Ort preis¬
gegeben, der nicht blos den Flußübergang beherrschte und deshalb einen Flanken¬
angriff Seitens der Franzosen ermöglichte, sondern von welchem her es auch ein
Leichtes war, den Verbündeten ihren Succurs von Straßburg abzuschneiden.

Dies und die Einsicht, daß die Ernährung der Armee in Colmar auf die
Dauer nicht zu erreichen war, bestimmte den Entschluß, das Lager abzubrechen.
Die Bagage sollte während der Nacht vorausgehn, die Truppen bei vollem
Tage folgen. Im Uebermaß des Mißtrauens schickt der Kurfürst noch zu Bour¬
nonville und läßt ihm das Versprechen abnehmen die Instruction genau inne
zu halten. Dieser erklärt, daß er morgen sogar noch auf ausdrücklichen Be¬
fehl zum Abmarsch warten werde. Und in derselben Stunde, wo er dies gelobt,
ist seine ganze Artillerie bereits aufgebrochen, ohne daß er dem vor ihm stehen¬
den General Dönhoff ein Wort gemeldet hätte. Buch versichert, daß 500
feindliche Reiter, welche diese Lücke wahrgenommen hätten, genügt haben wür¬
den, die ganze brandenburgische Infanterie über den Haufen zu rennen, die im
Gefühl der Deckung sichs bequem gemacht hatte. Den Kaiserlichen waren
in gutem Glauben die Lüneburger gefolgt. Glücklicherweise inspicirt deren
Generallieutenant Chauvet noch die Vorposten, trifft die Feuer leer, aber
dahinter die Dönhoffschen. Der Graf selbst, den er erstaunt fragt, was
er noch dort mache, wird nun erst inne, daß er aufs unverantwortlichste
im Stich gelassen ist und zieht sich an das brandenburgische Hauptcorps heran.
Vor Tagesgrauen am 27. December wird der Kurfürst in der verfallenen Mühle,
in der er quartirt war, von dem Sachverhalt unterrichtet, will nichts von
allem glauben, bis er durch eigenen Augenschein von der Richtigkeit belehrt wird,
und leitet nun mit höchster Vorsicht persönlich den Abzug, von dessen glück-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/378>, abgerufen am 22.07.2024.