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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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rheinischen Campagne von 1672 infolge der Treulosigkeit seiner Bundesgenossen,
Oestreich und Holland voran, genöthigt worden war, wüthete Ludwig der Vier¬
zehnte in der Pfalz und den Rheinländern ungestört. Erst im Mai 1674 raffte sich
der Kaiser dazu auf, seine Schuldigkeit zu thun und erklärte den Franzosen als
Neichsfeind. Frankreichs schlechte Vertragserfüllung entband Friedrich Wilhelm
jeder Rücksicht; er entzog sich daher seinen Verbindlichkeiten als Reichsfürst
nicht und rüstete, nachdem er sich des Beistandes von England, Holland und
Sachsen sowie der Neutralität Polens versichert und mit Schweden schon seit
einiger Zeit ein Defensivbündniß auf zehn Jahre abgeschlossen, seine Hilfs¬
Völker aus.

Nach der Matricularquote war Brandenburg verpflichtet, 16,600 Mann zu
stellen. Friedrich Wilhelm jedoch, dem es darum zuthun war, etwas Ordent¬
liches zu erreichen, sammelte 19,000 zu diesem Zweck und sie waren bereits
Mitte Sommers 1674 marschfertig.

Wir bemerken hier zur Orientirung über die damaligen Militärverhält¬
nisse, das; der große Kurfürst es war, welcher ein ordentliches Wcrbcsystem in
Gang brachte. Die frühere Modalität t>es Aufgebots der Ritterschaft war vor
elf Jahren zum letzte" Male innegehalten worden; der verrottete Lehnsdienst
in iratura hatte lange genug alle militärischen Unternehmungen beeinträchtigt
und ruinirt, das übrige deutsche Reich spürte noch bis in späte Zeit diese mittel¬
alterliche Gicht in seinen Gliedern, litt aber lieber Schand und Brand anstatt
sie durch eine Radicalcur zu beseitigen. Brandenburg und der große Kurfürst
hatte sich witzige" lassen durch die schmachvollen Erlebnisse der Jüngstvergangen-
hcit und wagten es, kurzen Proceß zu machen. Es handelte sich um die
Herbeischaffung eines derben und schnell zu erlangenden Soldatenmatcrials, und
das war auf die neue Weise zu erreichen. Der Uebergang zum Werbesystcm
war eine praktische Nothwendigkeit; es hat unsäglich schlimme Wirkungen im
Gefolge gehabt; die deutsche Vorgeschichte verflucht es Hinterdrei", allein es
trat damals, so sehr es auch selbst ein Uebel war, doch an die Stelle des
größeren Uebels der Erniedrigung des Staats und der Nation. Es gab eben
zu jener Zeit noch keine Staatsbürger in unserem Sinne, solche also, in denen
der Stolz und die Pflicht lebendig gewesen wäre, solidarisch für das Vater-
land einzustehen und zu fordern, daß aufs gesammte Volt der Lehnsanspruch
der Krone und des Reiches ausgedehnt werde, der bis dahin sich nur auf ein¬
zelne Stände im mittelalterlichen Begriff erstreckte.

Jetzt wurde nun die Heerfolgepflicht des Adels in Geldleistung umgewan¬
delt und zwar zahlte jeder für jedes nach früherem Anschlag zu stellende Lehns-
pferd 40 Thlr. Um aber den socialen Brachacker, der durch diese Hinweg"
Räumung des alten Militärwescns entstanden war, neu zu bebauen, verfuhr
Man ähnlich wie es vor Jahrhunderten bei der Besudelung der märkisch-sia-


rheinischen Campagne von 1672 infolge der Treulosigkeit seiner Bundesgenossen,
Oestreich und Holland voran, genöthigt worden war, wüthete Ludwig der Vier¬
zehnte in der Pfalz und den Rheinländern ungestört. Erst im Mai 1674 raffte sich
der Kaiser dazu auf, seine Schuldigkeit zu thun und erklärte den Franzosen als
Neichsfeind. Frankreichs schlechte Vertragserfüllung entband Friedrich Wilhelm
jeder Rücksicht; er entzog sich daher seinen Verbindlichkeiten als Reichsfürst
nicht und rüstete, nachdem er sich des Beistandes von England, Holland und
Sachsen sowie der Neutralität Polens versichert und mit Schweden schon seit
einiger Zeit ein Defensivbündniß auf zehn Jahre abgeschlossen, seine Hilfs¬
Völker aus.

Nach der Matricularquote war Brandenburg verpflichtet, 16,600 Mann zu
stellen. Friedrich Wilhelm jedoch, dem es darum zuthun war, etwas Ordent¬
liches zu erreichen, sammelte 19,000 zu diesem Zweck und sie waren bereits
Mitte Sommers 1674 marschfertig.

Wir bemerken hier zur Orientirung über die damaligen Militärverhält¬
nisse, das; der große Kurfürst es war, welcher ein ordentliches Wcrbcsystem in
Gang brachte. Die frühere Modalität t>es Aufgebots der Ritterschaft war vor
elf Jahren zum letzte» Male innegehalten worden; der verrottete Lehnsdienst
in iratura hatte lange genug alle militärischen Unternehmungen beeinträchtigt
und ruinirt, das übrige deutsche Reich spürte noch bis in späte Zeit diese mittel¬
alterliche Gicht in seinen Gliedern, litt aber lieber Schand und Brand anstatt
sie durch eine Radicalcur zu beseitigen. Brandenburg und der große Kurfürst
hatte sich witzige» lassen durch die schmachvollen Erlebnisse der Jüngstvergangen-
hcit und wagten es, kurzen Proceß zu machen. Es handelte sich um die
Herbeischaffung eines derben und schnell zu erlangenden Soldatenmatcrials, und
das war auf die neue Weise zu erreichen. Der Uebergang zum Werbesystcm
war eine praktische Nothwendigkeit; es hat unsäglich schlimme Wirkungen im
Gefolge gehabt; die deutsche Vorgeschichte verflucht es Hinterdrei», allein es
trat damals, so sehr es auch selbst ein Uebel war, doch an die Stelle des
größeren Uebels der Erniedrigung des Staats und der Nation. Es gab eben
zu jener Zeit noch keine Staatsbürger in unserem Sinne, solche also, in denen
der Stolz und die Pflicht lebendig gewesen wäre, solidarisch für das Vater-
land einzustehen und zu fordern, daß aufs gesammte Volt der Lehnsanspruch
der Krone und des Reiches ausgedehnt werde, der bis dahin sich nur auf ein¬
zelne Stände im mittelalterlichen Begriff erstreckte.

Jetzt wurde nun die Heerfolgepflicht des Adels in Geldleistung umgewan¬
delt und zwar zahlte jeder für jedes nach früherem Anschlag zu stellende Lehns-
pferd 40 Thlr. Um aber den socialen Brachacker, der durch diese Hinweg"
Räumung des alten Militärwescns entstanden war, neu zu bebauen, verfuhr
Man ähnlich wie es vor Jahrhunderten bei der Besudelung der märkisch-sia-


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[0369] rheinischen Campagne von 1672 infolge der Treulosigkeit seiner Bundesgenossen, Oestreich und Holland voran, genöthigt worden war, wüthete Ludwig der Vier¬ zehnte in der Pfalz und den Rheinländern ungestört. Erst im Mai 1674 raffte sich der Kaiser dazu auf, seine Schuldigkeit zu thun und erklärte den Franzosen als Neichsfeind. Frankreichs schlechte Vertragserfüllung entband Friedrich Wilhelm jeder Rücksicht; er entzog sich daher seinen Verbindlichkeiten als Reichsfürst nicht und rüstete, nachdem er sich des Beistandes von England, Holland und Sachsen sowie der Neutralität Polens versichert und mit Schweden schon seit einiger Zeit ein Defensivbündniß auf zehn Jahre abgeschlossen, seine Hilfs¬ Völker aus. Nach der Matricularquote war Brandenburg verpflichtet, 16,600 Mann zu stellen. Friedrich Wilhelm jedoch, dem es darum zuthun war, etwas Ordent¬ liches zu erreichen, sammelte 19,000 zu diesem Zweck und sie waren bereits Mitte Sommers 1674 marschfertig. Wir bemerken hier zur Orientirung über die damaligen Militärverhält¬ nisse, das; der große Kurfürst es war, welcher ein ordentliches Wcrbcsystem in Gang brachte. Die frühere Modalität t>es Aufgebots der Ritterschaft war vor elf Jahren zum letzte» Male innegehalten worden; der verrottete Lehnsdienst in iratura hatte lange genug alle militärischen Unternehmungen beeinträchtigt und ruinirt, das übrige deutsche Reich spürte noch bis in späte Zeit diese mittel¬ alterliche Gicht in seinen Gliedern, litt aber lieber Schand und Brand anstatt sie durch eine Radicalcur zu beseitigen. Brandenburg und der große Kurfürst hatte sich witzige» lassen durch die schmachvollen Erlebnisse der Jüngstvergangen- hcit und wagten es, kurzen Proceß zu machen. Es handelte sich um die Herbeischaffung eines derben und schnell zu erlangenden Soldatenmatcrials, und das war auf die neue Weise zu erreichen. Der Uebergang zum Werbesystcm war eine praktische Nothwendigkeit; es hat unsäglich schlimme Wirkungen im Gefolge gehabt; die deutsche Vorgeschichte verflucht es Hinterdrei», allein es trat damals, so sehr es auch selbst ein Uebel war, doch an die Stelle des größeren Uebels der Erniedrigung des Staats und der Nation. Es gab eben zu jener Zeit noch keine Staatsbürger in unserem Sinne, solche also, in denen der Stolz und die Pflicht lebendig gewesen wäre, solidarisch für das Vater- land einzustehen und zu fordern, daß aufs gesammte Volt der Lehnsanspruch der Krone und des Reiches ausgedehnt werde, der bis dahin sich nur auf ein¬ zelne Stände im mittelalterlichen Begriff erstreckte. Jetzt wurde nun die Heerfolgepflicht des Adels in Geldleistung umgewan¬ delt und zwar zahlte jeder für jedes nach früherem Anschlag zu stellende Lehns- pferd 40 Thlr. Um aber den socialen Brachacker, der durch diese Hinweg" Räumung des alten Militärwescns entstanden war, neu zu bebauen, verfuhr Man ähnlich wie es vor Jahrhunderten bei der Besudelung der märkisch-sia-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/369>, abgerufen am 22.07.2024.