Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dunklen Thälern und Abgründen mit "in der Tiefe schlafenden" blaugrünen
Alpenseen sehen doch im Ganzen weit mehr nach anspruchvollen Decorationen
von ziemlich allgemeiner Schönheit, als nach Bildern rechten Naturlebens aus.
Doch das eine derselben will ja auch nicht als solches gelten: diese ganze
prcicbtvolle Alpenscencric ist nur das Local für das "Schloß des heiligen
Gral", das dort auf steiler Felsenhöhe mit seinen Zinnen und Kuppeln sich er¬
hebt. War aber dessen Darstellung die eigentliche Aufgabe, -- warum wurde
es nicht weit mehr zur Hauptsache gemacht, statt hier von den Ungeheuerlich¬
keiten seiner Umgebung fast gänzlich erdrückt zu werden, welche doch auch wieder
nichts von jener mährchenhaft romantischen Poesie hat, von der man diesen Sitz
des höchsten dichterischen Mysteriums des Mittelalters umwebt meinen sollte.

Dies Bild leitet uns zu den landschaftlichen Idealisten hinüber, den beiden
Schirm er (von denen einer, der karlsruher, nun auch seit einem Jahre be¬
reits der deutschen Kunst geraubt ist). Auf sie beschränkt sich so ziemlich die
ganze Zahl. Wilhelm Schirm er, der Lebende, in Berlin, hat nie eine
Schöpfung Von holderer poetischer Schönheit aus seiner ideal gestimmten Seele
erzeugt wie sein diesmal ausgestelltes Bild "ein Morgen im Golf von Nea¬
pel". An die Wirklichkeit lehnt es nur ganz im Allgemeinen an. Zwischen
Felsklippen, die sich im Vorgrund zu einer hohen Grotte zusammenzufügen
scheinen, erglänzt das Meer in schimmerndem Silberlicht, da den Strahl der
frühen Morgensonne, der sich über diese entzückende Scene ergießt, zarter wei߬
licher Nebel "och leicht umhüllt, der ihre goldne Gluth dämpft und mäßigt.
Die ganze Landschaft ist wie getaucht und gelöst in diesen Lichtäther und un¬
willkürlich ruft der Anblick dieses Kunstwerks die Erinnerung des großen Land¬
schaftsdichters wach, dem sein Urheber hier so geiht- und kunstverwandt erscheint:
Claude Lorrains. Von Schirmers Beispiel und früherer directer Lehre ersicht¬
lich influirt zeigen sich zwei Künstler von schöner Begabung: A. Dreßler und
Be hrendsen.

Von I. W. Schirm er ist ein Hauptwerk seines thätigen Lebens aus¬
gestellt, die farbig ausgeführten "biblischen Landschaften". Das Wesentliche
dieser schon seit Jahren lange und viel besprochenen Schöpfungen kann als be¬
kannt vorausgesetzt werden. Man mag darüber streiten, ob der Künstler be¬
rechtigt, ob es der Aufgabe landschaftlicher Kunst entsprechend ist. menschliche
Stimmungen, oder den allgemeinen poetischen Charakter von Scenen und
Handlungen in der umgebenden Landschaft, in der Komposition ihrer Formen,
ihren Lufttönen. Beleuchtungsarten, Wetter- und Tageszeiten gleichsam zu re-
flectiren; zweifellos hat in diesen Gebilden der Meister doch das erreicht, was
er beabsichtigte. Wie nebensächlich und schwach auch die figürlichen Gruppen
darin sind, durch den Ernst, die Schönheit, die Großartigkeit der idealen Land¬
schaft, die ihnen als Local dient, zieht er uns jedesmal in die gewollte sein-


dunklen Thälern und Abgründen mit „in der Tiefe schlafenden" blaugrünen
Alpenseen sehen doch im Ganzen weit mehr nach anspruchvollen Decorationen
von ziemlich allgemeiner Schönheit, als nach Bildern rechten Naturlebens aus.
Doch das eine derselben will ja auch nicht als solches gelten: diese ganze
prcicbtvolle Alpenscencric ist nur das Local für das „Schloß des heiligen
Gral", das dort auf steiler Felsenhöhe mit seinen Zinnen und Kuppeln sich er¬
hebt. War aber dessen Darstellung die eigentliche Aufgabe, — warum wurde
es nicht weit mehr zur Hauptsache gemacht, statt hier von den Ungeheuerlich¬
keiten seiner Umgebung fast gänzlich erdrückt zu werden, welche doch auch wieder
nichts von jener mährchenhaft romantischen Poesie hat, von der man diesen Sitz
des höchsten dichterischen Mysteriums des Mittelalters umwebt meinen sollte.

Dies Bild leitet uns zu den landschaftlichen Idealisten hinüber, den beiden
Schirm er (von denen einer, der karlsruher, nun auch seit einem Jahre be¬
reits der deutschen Kunst geraubt ist). Auf sie beschränkt sich so ziemlich die
ganze Zahl. Wilhelm Schirm er, der Lebende, in Berlin, hat nie eine
Schöpfung Von holderer poetischer Schönheit aus seiner ideal gestimmten Seele
erzeugt wie sein diesmal ausgestelltes Bild „ein Morgen im Golf von Nea¬
pel". An die Wirklichkeit lehnt es nur ganz im Allgemeinen an. Zwischen
Felsklippen, die sich im Vorgrund zu einer hohen Grotte zusammenzufügen
scheinen, erglänzt das Meer in schimmerndem Silberlicht, da den Strahl der
frühen Morgensonne, der sich über diese entzückende Scene ergießt, zarter wei߬
licher Nebel »och leicht umhüllt, der ihre goldne Gluth dämpft und mäßigt.
Die ganze Landschaft ist wie getaucht und gelöst in diesen Lichtäther und un¬
willkürlich ruft der Anblick dieses Kunstwerks die Erinnerung des großen Land¬
schaftsdichters wach, dem sein Urheber hier so geiht- und kunstverwandt erscheint:
Claude Lorrains. Von Schirmers Beispiel und früherer directer Lehre ersicht¬
lich influirt zeigen sich zwei Künstler von schöner Begabung: A. Dreßler und
Be hrendsen.

Von I. W. Schirm er ist ein Hauptwerk seines thätigen Lebens aus¬
gestellt, die farbig ausgeführten „biblischen Landschaften". Das Wesentliche
dieser schon seit Jahren lange und viel besprochenen Schöpfungen kann als be¬
kannt vorausgesetzt werden. Man mag darüber streiten, ob der Künstler be¬
rechtigt, ob es der Aufgabe landschaftlicher Kunst entsprechend ist. menschliche
Stimmungen, oder den allgemeinen poetischen Charakter von Scenen und
Handlungen in der umgebenden Landschaft, in der Komposition ihrer Formen,
ihren Lufttönen. Beleuchtungsarten, Wetter- und Tageszeiten gleichsam zu re-
flectiren; zweifellos hat in diesen Gebilden der Meister doch das erreicht, was
er beabsichtigte. Wie nebensächlich und schwach auch die figürlichen Gruppen
darin sind, durch den Ernst, die Schönheit, die Großartigkeit der idealen Land¬
schaft, die ihnen als Local dient, zieht er uns jedesmal in die gewollte sein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189978"/>
          <p xml:id="ID_1234" prev="#ID_1233"> dunklen Thälern und Abgründen mit &#x201E;in der Tiefe schlafenden" blaugrünen<lb/>
Alpenseen sehen doch im Ganzen weit mehr nach anspruchvollen Decorationen<lb/>
von ziemlich allgemeiner Schönheit, als nach Bildern rechten Naturlebens aus.<lb/>
Doch das eine derselben will ja auch nicht als solches gelten: diese ganze<lb/>
prcicbtvolle Alpenscencric ist nur das Local für das &#x201E;Schloß des heiligen<lb/>
Gral", das dort auf steiler Felsenhöhe mit seinen Zinnen und Kuppeln sich er¬<lb/>
hebt. War aber dessen Darstellung die eigentliche Aufgabe, &#x2014; warum wurde<lb/>
es nicht weit mehr zur Hauptsache gemacht, statt hier von den Ungeheuerlich¬<lb/>
keiten seiner Umgebung fast gänzlich erdrückt zu werden, welche doch auch wieder<lb/>
nichts von jener mährchenhaft romantischen Poesie hat, von der man diesen Sitz<lb/>
des höchsten dichterischen Mysteriums des Mittelalters umwebt meinen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1235"> Dies Bild leitet uns zu den landschaftlichen Idealisten hinüber, den beiden<lb/>
Schirm er (von denen einer, der karlsruher, nun auch seit einem Jahre be¬<lb/>
reits der deutschen Kunst geraubt ist). Auf sie beschränkt sich so ziemlich die<lb/>
ganze Zahl. Wilhelm Schirm er, der Lebende, in Berlin, hat nie eine<lb/>
Schöpfung Von holderer poetischer Schönheit aus seiner ideal gestimmten Seele<lb/>
erzeugt wie sein diesmal ausgestelltes Bild &#x201E;ein Morgen im Golf von Nea¬<lb/>
pel". An die Wirklichkeit lehnt es nur ganz im Allgemeinen an. Zwischen<lb/>
Felsklippen, die sich im Vorgrund zu einer hohen Grotte zusammenzufügen<lb/>
scheinen, erglänzt das Meer in schimmerndem Silberlicht, da den Strahl der<lb/>
frühen Morgensonne, der sich über diese entzückende Scene ergießt, zarter wei߬<lb/>
licher Nebel »och leicht umhüllt, der ihre goldne Gluth dämpft und mäßigt.<lb/>
Die ganze Landschaft ist wie getaucht und gelöst in diesen Lichtäther und un¬<lb/>
willkürlich ruft der Anblick dieses Kunstwerks die Erinnerung des großen Land¬<lb/>
schaftsdichters wach, dem sein Urheber hier so geiht- und kunstverwandt erscheint:<lb/>
Claude Lorrains. Von Schirmers Beispiel und früherer directer Lehre ersicht¬<lb/>
lich influirt zeigen sich zwei Künstler von schöner Begabung: A. Dreßler und<lb/>
Be hrendsen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1236" next="#ID_1237"> Von I. W. Schirm er ist ein Hauptwerk seines thätigen Lebens aus¬<lb/>
gestellt, die farbig ausgeführten &#x201E;biblischen Landschaften". Das Wesentliche<lb/>
dieser schon seit Jahren lange und viel besprochenen Schöpfungen kann als be¬<lb/>
kannt vorausgesetzt werden. Man mag darüber streiten, ob der Künstler be¬<lb/>
rechtigt, ob es der Aufgabe landschaftlicher Kunst entsprechend ist. menschliche<lb/>
Stimmungen, oder den allgemeinen poetischen Charakter von Scenen und<lb/>
Handlungen in der umgebenden Landschaft, in der Komposition ihrer Formen,<lb/>
ihren Lufttönen. Beleuchtungsarten, Wetter- und Tageszeiten gleichsam zu re-<lb/>
flectiren; zweifellos hat in diesen Gebilden der Meister doch das erreicht, was<lb/>
er beabsichtigte. Wie nebensächlich und schwach auch die figürlichen Gruppen<lb/>
darin sind, durch den Ernst, die Schönheit, die Großartigkeit der idealen Land¬<lb/>
schaft, die ihnen als Local dient, zieht er uns jedesmal in die gewollte sein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0354] dunklen Thälern und Abgründen mit „in der Tiefe schlafenden" blaugrünen Alpenseen sehen doch im Ganzen weit mehr nach anspruchvollen Decorationen von ziemlich allgemeiner Schönheit, als nach Bildern rechten Naturlebens aus. Doch das eine derselben will ja auch nicht als solches gelten: diese ganze prcicbtvolle Alpenscencric ist nur das Local für das „Schloß des heiligen Gral", das dort auf steiler Felsenhöhe mit seinen Zinnen und Kuppeln sich er¬ hebt. War aber dessen Darstellung die eigentliche Aufgabe, — warum wurde es nicht weit mehr zur Hauptsache gemacht, statt hier von den Ungeheuerlich¬ keiten seiner Umgebung fast gänzlich erdrückt zu werden, welche doch auch wieder nichts von jener mährchenhaft romantischen Poesie hat, von der man diesen Sitz des höchsten dichterischen Mysteriums des Mittelalters umwebt meinen sollte. Dies Bild leitet uns zu den landschaftlichen Idealisten hinüber, den beiden Schirm er (von denen einer, der karlsruher, nun auch seit einem Jahre be¬ reits der deutschen Kunst geraubt ist). Auf sie beschränkt sich so ziemlich die ganze Zahl. Wilhelm Schirm er, der Lebende, in Berlin, hat nie eine Schöpfung Von holderer poetischer Schönheit aus seiner ideal gestimmten Seele erzeugt wie sein diesmal ausgestelltes Bild „ein Morgen im Golf von Nea¬ pel". An die Wirklichkeit lehnt es nur ganz im Allgemeinen an. Zwischen Felsklippen, die sich im Vorgrund zu einer hohen Grotte zusammenzufügen scheinen, erglänzt das Meer in schimmerndem Silberlicht, da den Strahl der frühen Morgensonne, der sich über diese entzückende Scene ergießt, zarter wei߬ licher Nebel »och leicht umhüllt, der ihre goldne Gluth dämpft und mäßigt. Die ganze Landschaft ist wie getaucht und gelöst in diesen Lichtäther und un¬ willkürlich ruft der Anblick dieses Kunstwerks die Erinnerung des großen Land¬ schaftsdichters wach, dem sein Urheber hier so geiht- und kunstverwandt erscheint: Claude Lorrains. Von Schirmers Beispiel und früherer directer Lehre ersicht¬ lich influirt zeigen sich zwei Künstler von schöner Begabung: A. Dreßler und Be hrendsen. Von I. W. Schirm er ist ein Hauptwerk seines thätigen Lebens aus¬ gestellt, die farbig ausgeführten „biblischen Landschaften". Das Wesentliche dieser schon seit Jahren lange und viel besprochenen Schöpfungen kann als be¬ kannt vorausgesetzt werden. Man mag darüber streiten, ob der Künstler be¬ rechtigt, ob es der Aufgabe landschaftlicher Kunst entsprechend ist. menschliche Stimmungen, oder den allgemeinen poetischen Charakter von Scenen und Handlungen in der umgebenden Landschaft, in der Komposition ihrer Formen, ihren Lufttönen. Beleuchtungsarten, Wetter- und Tageszeiten gleichsam zu re- flectiren; zweifellos hat in diesen Gebilden der Meister doch das erreicht, was er beabsichtigte. Wie nebensächlich und schwach auch die figürlichen Gruppen darin sind, durch den Ernst, die Schönheit, die Großartigkeit der idealen Land¬ schaft, die ihnen als Local dient, zieht er uns jedesmal in die gewollte sein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/354
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/354>, abgerufen am 22.07.2024.