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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Herr v. Bismarck kann nicht gründlicher die liberale Partei Verachten, als
Friedrich der Große die deutsche Literatur verachtet hat.

Und dann -- ist Herr v. Bismarck der preußische Staat? Das ist der
entscheidende Punkt. Ursprünglich begann der Nationalvcrein mit der Hin-
weisung auf König Wilhelm und die neue Aera; als die zufälligen preußischen
Verhältnisse sich geändert hatten, trat das preußische Volk in seinen Abgeord¬
neten an die Stelle: jetzt war eine Regeneration des Vereins nur noch möglich,
wenn man kurzweg "den preußischen Staat" setzte. Das ist eine naturgemäße
Consequenz, man mag noch so sehr dagegen sich sträuben wollen. Oder wäre
es polnischer Verstand gewesen, wenn man zur Zeit Schwerin-Auerswalds
an ein wandelbares Ministerium in Berlin die ganze Zukunft Deutschlands
geknüpft hätte? Man gründete sie auf einen festeren Grund! auf einen historisch
gewordenen, organisch gegliederten, machtvollen Staat. Man streiche ihn doch
aus, wenn man kann; kann man es aber nicht, so rechne man mit ihm.

Wohl wissen wir, daß Männer, die wir mit Stolz und Freude die unsern
nennen, dieser selben Auffassung im Verein Ausdruck gegeben haben; aber
schließlich haben sie sich doch einer nichtssagenden Formel anbequemt. Wir em¬
pfinden mit ihnen den innigen Zusammenhang freiheitlicher und einheitlicher
Bestrebungen, mit ihnen kämpfen wir im innern Kampf, der dem jungen preu¬
ßischen Verfassungsleben beschieden ist, unter demselben Banner. Aber wir
meinen, daß unsern deutschen Zuständen und dem Ziele, dem wir auf diesem
Gebiet nachstreben, der Particularismus ein weit schlimmerer Feind ist al? die
Reaction. Und gerade in solcher Pause der nationalen Bestrebungen, wie sie
jetzt beliebt wird, wächst dieser ärgste Feind der deutschen Einheit unter der
Maske der Freisinnigkeit. Wenn Einer berufen war, diesen Gesichtspunkt ins
Auge zu fassen, so war es der Nationalverein. Statt dessen hat er den Verzicht
auf diesen Beruf proclamirt.

Daß diejenigen radicalen Elemente -- und es giebt deren auch im Bereich
des Nationalvereins --, die den gegenwärtigen preußischen Staat am liebsten
vorerst zertrümmerten, um das Kunstwerk der Zukunft daraus hervorzuzaubern,
daß diese mit der Abwendung des Vereins von Preußen zufrieden sind, ist er¬
klärlich. Ebenso erklärlich ist es von der großen Schaar derer, die da sagen
oder glauben, die deutsche Kaiserkrone werde schließlich als "Prämie für Wohl-
Verhalten" ertheilt, und alle deutschen Staaten seien zum Stangenklettern nach
diesem Preise aufzufordern. Daß aber auch die. welche mit uns meinen, daß
für die Entwicklung der deutschen Frage am preußischen Staat unabänderlich
festzuhalten, den Beschlüssen beistimmen, erklärt sich nur aus Nützlichkeitsgründen
und politischen Rücksichten, die wir nicht anerkennen können. Die Fahne
Preußens flattert hoch genug, daß man auch unter ungünstigen Zeitverhältnissen
sich zu ihr bekennen darf; und die, um deretwillen man das Bekenntniß ver.


Herr v. Bismarck kann nicht gründlicher die liberale Partei Verachten, als
Friedrich der Große die deutsche Literatur verachtet hat.

Und dann — ist Herr v. Bismarck der preußische Staat? Das ist der
entscheidende Punkt. Ursprünglich begann der Nationalvcrein mit der Hin-
weisung auf König Wilhelm und die neue Aera; als die zufälligen preußischen
Verhältnisse sich geändert hatten, trat das preußische Volk in seinen Abgeord¬
neten an die Stelle: jetzt war eine Regeneration des Vereins nur noch möglich,
wenn man kurzweg „den preußischen Staat" setzte. Das ist eine naturgemäße
Consequenz, man mag noch so sehr dagegen sich sträuben wollen. Oder wäre
es polnischer Verstand gewesen, wenn man zur Zeit Schwerin-Auerswalds
an ein wandelbares Ministerium in Berlin die ganze Zukunft Deutschlands
geknüpft hätte? Man gründete sie auf einen festeren Grund! auf einen historisch
gewordenen, organisch gegliederten, machtvollen Staat. Man streiche ihn doch
aus, wenn man kann; kann man es aber nicht, so rechne man mit ihm.

Wohl wissen wir, daß Männer, die wir mit Stolz und Freude die unsern
nennen, dieser selben Auffassung im Verein Ausdruck gegeben haben; aber
schließlich haben sie sich doch einer nichtssagenden Formel anbequemt. Wir em¬
pfinden mit ihnen den innigen Zusammenhang freiheitlicher und einheitlicher
Bestrebungen, mit ihnen kämpfen wir im innern Kampf, der dem jungen preu¬
ßischen Verfassungsleben beschieden ist, unter demselben Banner. Aber wir
meinen, daß unsern deutschen Zuständen und dem Ziele, dem wir auf diesem
Gebiet nachstreben, der Particularismus ein weit schlimmerer Feind ist al? die
Reaction. Und gerade in solcher Pause der nationalen Bestrebungen, wie sie
jetzt beliebt wird, wächst dieser ärgste Feind der deutschen Einheit unter der
Maske der Freisinnigkeit. Wenn Einer berufen war, diesen Gesichtspunkt ins
Auge zu fassen, so war es der Nationalverein. Statt dessen hat er den Verzicht
auf diesen Beruf proclamirt.

Daß diejenigen radicalen Elemente — und es giebt deren auch im Bereich
des Nationalvereins —, die den gegenwärtigen preußischen Staat am liebsten
vorerst zertrümmerten, um das Kunstwerk der Zukunft daraus hervorzuzaubern,
daß diese mit der Abwendung des Vereins von Preußen zufrieden sind, ist er¬
klärlich. Ebenso erklärlich ist es von der großen Schaar derer, die da sagen
oder glauben, die deutsche Kaiserkrone werde schließlich als „Prämie für Wohl-
Verhalten" ertheilt, und alle deutschen Staaten seien zum Stangenklettern nach
diesem Preise aufzufordern. Daß aber auch die. welche mit uns meinen, daß
für die Entwicklung der deutschen Frage am preußischen Staat unabänderlich
festzuhalten, den Beschlüssen beistimmen, erklärt sich nur aus Nützlichkeitsgründen
und politischen Rücksichten, die wir nicht anerkennen können. Die Fahne
Preußens flattert hoch genug, daß man auch unter ungünstigen Zeitverhältnissen
sich zu ihr bekennen darf; und die, um deretwillen man das Bekenntniß ver.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/321>, abgerufen am 03.07.2024.