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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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riß einer vorübergehenden Loge eine vorübergehende Verständigung zwischen
Rußland und Frankreich für ein politisches Ziel bewirken könne. In das Ver¬
derben, welches eine derartige Chimäre über die Welt bringen müßte, würden
doch gewiß Frankreich und Rußland mitstürzen. Diese Behauptung ist so ge¬
wagt, daß man ungern eine Begründung derselben vermißt. An der ganzen
Argumentation des Verfassers ist das richtig, daß, wenn Frankreich in einer
engen Verbindung mit Oestreich seine legitime Mission, das Centrum des Abend¬
landes zu sein, durchführen kann, es nicht nöthig hat, sich nach einer andern
Alliance umzusehen. Man braucht den Gedanken aber nur so ciuszuspiechen,
um klar zu sehen, daß Oestreich damit eine Resignation zugemuthet wnd, die
sehr schlecht zu der oft ausgesprochenen Behauptung von der europäischen Noth¬
wendigkeit Oestreichs stimmt. Nach unsrer Ansicht, in der wir durch Frvvels
Argumentation nur noch bestärkt worden sind, würde ein Versuch Oestreichs,
in Frankreich einen Stützpunkt für seine Existenz zu suchen, nur die Schwäche
des Kaiscrstaats offen darlegen, und denselben, falls Frankreich augenblicklich
auf östreichische Freundschaftsanträge einzugehen geneigt sein sollte, in die boden¬
losesten Abwege führen, aus denen der Rückweg schwer zu finden sein möchte.
Doch für jetzt genug hiervon, da wir die gegenwärtige Stellung Oestreichs
nächstens zum Gegenstande einer besonderen Besprechung zu machen gedenken.

Indessen setzen wir einmal den Fall, daß Oestreich auf Grundlage der Trias¬
idee sich mit Frankreich verständigen könnte, nehmen wir ferner an, daß eine
derartige Verständigung Oestreich den einzigen Ausweg aus den Schwierigkeiten
seiner Lage böte, so fragt sich doch (und dies ist für uns doch wohl der ent¬
scheidende Punkt): ist Deutschland mit einer solchen Lösung der nationalen Frage
geholfen, und hat ferner die triadische Gestaltung Deutschlands Aussicht, von
der Nation und den einzelnen Staaten angenommen zu werden, wovon doch
ihre Durchführbarkeit allein abhängig ist? Was die erste Frage betrifft, so er¬
leichtert uns Fröbel selbst die Antwort. Er spricht es nämlich (S. 266) mit
aller Entschiedenheit aus, daß Oestreich gar nicht daran denken könne, seine
Interessen ganz und vollständig mit denen Deutschlands zu verschmelzen,
und daß es. so lange wir nicht seine Stellung als europäische Großmacht mit
der eines wiederhergestellten und verbesserten deutschen Reiches (eine Beendung
der Dinge, an die Fröbel selbst gar nicht glaubt) vertauscht sehen, die Be¬
dingungen seiner eigenen besonderen Macht immer über den Vortheil Deutsch¬
lands stellen wird. Es ist höchst erfreulich, daß dieser Gedanke, der, so oft er
von kleindeutscher Seite her ausgesprochen wird, stets einen Sturm der Ent-
rüstung im gegnerischen Lager erregt, endlich auch bei den wärmsten Anhängern
Oestreichs die gebührende Anerkennung gefunden hat. Was folgt nun aber
aus diesem Zugeständniß? Doch nichts anderes, als daß das nach Herrn Frö-
bels Ideen neugestaltete Deutschland von vorn herein darauf zu verzichten ha-


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riß einer vorübergehenden Loge eine vorübergehende Verständigung zwischen
Rußland und Frankreich für ein politisches Ziel bewirken könne. In das Ver¬
derben, welches eine derartige Chimäre über die Welt bringen müßte, würden
doch gewiß Frankreich und Rußland mitstürzen. Diese Behauptung ist so ge¬
wagt, daß man ungern eine Begründung derselben vermißt. An der ganzen
Argumentation des Verfassers ist das richtig, daß, wenn Frankreich in einer
engen Verbindung mit Oestreich seine legitime Mission, das Centrum des Abend¬
landes zu sein, durchführen kann, es nicht nöthig hat, sich nach einer andern
Alliance umzusehen. Man braucht den Gedanken aber nur so ciuszuspiechen,
um klar zu sehen, daß Oestreich damit eine Resignation zugemuthet wnd, die
sehr schlecht zu der oft ausgesprochenen Behauptung von der europäischen Noth¬
wendigkeit Oestreichs stimmt. Nach unsrer Ansicht, in der wir durch Frvvels
Argumentation nur noch bestärkt worden sind, würde ein Versuch Oestreichs,
in Frankreich einen Stützpunkt für seine Existenz zu suchen, nur die Schwäche
des Kaiscrstaats offen darlegen, und denselben, falls Frankreich augenblicklich
auf östreichische Freundschaftsanträge einzugehen geneigt sein sollte, in die boden¬
losesten Abwege führen, aus denen der Rückweg schwer zu finden sein möchte.
Doch für jetzt genug hiervon, da wir die gegenwärtige Stellung Oestreichs
nächstens zum Gegenstande einer besonderen Besprechung zu machen gedenken.

Indessen setzen wir einmal den Fall, daß Oestreich auf Grundlage der Trias¬
idee sich mit Frankreich verständigen könnte, nehmen wir ferner an, daß eine
derartige Verständigung Oestreich den einzigen Ausweg aus den Schwierigkeiten
seiner Lage böte, so fragt sich doch (und dies ist für uns doch wohl der ent¬
scheidende Punkt): ist Deutschland mit einer solchen Lösung der nationalen Frage
geholfen, und hat ferner die triadische Gestaltung Deutschlands Aussicht, von
der Nation und den einzelnen Staaten angenommen zu werden, wovon doch
ihre Durchführbarkeit allein abhängig ist? Was die erste Frage betrifft, so er¬
leichtert uns Fröbel selbst die Antwort. Er spricht es nämlich (S. 266) mit
aller Entschiedenheit aus, daß Oestreich gar nicht daran denken könne, seine
Interessen ganz und vollständig mit denen Deutschlands zu verschmelzen,
und daß es. so lange wir nicht seine Stellung als europäische Großmacht mit
der eines wiederhergestellten und verbesserten deutschen Reiches (eine Beendung
der Dinge, an die Fröbel selbst gar nicht glaubt) vertauscht sehen, die Be¬
dingungen seiner eigenen besonderen Macht immer über den Vortheil Deutsch¬
lands stellen wird. Es ist höchst erfreulich, daß dieser Gedanke, der, so oft er
von kleindeutscher Seite her ausgesprochen wird, stets einen Sturm der Ent-
rüstung im gegnerischen Lager erregt, endlich auch bei den wärmsten Anhängern
Oestreichs die gebührende Anerkennung gefunden hat. Was folgt nun aber
aus diesem Zugeständniß? Doch nichts anderes, als daß das nach Herrn Frö-
bels Ideen neugestaltete Deutschland von vorn herein darauf zu verzichten ha-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/301>, abgerufen am 22.07.2024.