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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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setz sein? Die Behauptungen, welche die Ansicht stützen sollen, sind ebenso
seltsam, wie die Ansicht über Frankreichs providentielle Stellung als heiliges
römisches Reich gallischer Nation selbst. Rußland wird einfach aus dem euro¬
päischen Staatensystem herausschematisirt; daß die Stellung eines Staates zu
einem System von dem Einfluß abhängt, den derselbe auf das System aus¬
zuüben vermag, kommt weiter nicht in Betracht. In der That verhält es sich
doch vielmehr so, daß jede Steigerung der napoleonischen Macht Nußland, sei
es als Verbündeten Napoleons, sei es als Glied einer gegen ihn gerichteten
Coalition, nur noch fester mit dem europäischen Staatensystem verknüpfen wird.
Wie Frankreich sich mit der Eifersucht Englands abzufinden haben wird, macht
dem Verfasser allerdings einige Bedenken. Die Bemerkung, daß für die eng¬
lische Politik die politische Macht an sich gar kein Interesse hat (!), reicht doch
nicht aus. um den Verfasser zu beruhige"; er ertheilt daher Napoleon den
Nath, sich auf dem Meere möglichst wenig zu schassen zumachen, im Uebrigen
ist es eben Oestreichs Beruf, Frankreich und England mit einander in gutem
Vernehmen zu erhalten.

Nehmen wir nun aber einmal mit dem Verfasser an, Frankreichs Macht
stünde so fest, daß es Thorheit wäre, dies nicht durch Unterwerfung unter das
Unvermeidliche anzuerkennen; nehmen wir ferner an, daß Oestreich, um sich vor
völligem Zerfallen zu sichern, nichts übrig bleibe, als Frankreich seine Freund¬
schaft anzutragen, so fragt es sich doch vor allem, will Napoleon eine Alliance
mit Oestreich? Folgt dies etwa daraus, daß er die Gruppe der Mittclstaatcn
begünstigt? Schwerlich. Es läßt sich allerdings nicht behaupten, daß er unter
gewisse" Umständen nicht auch eine Alliance mit Oestreich für wünschenswerth
halten kann. Mit alle? Zicherheit aber läßt sich behaupten, daß an ein dauern¬
des, principielles Bundesverhältniß zwischen Frankreich und Oestreich für jetzt
nicht zu denken ist. Ist Oestreich bereits in der Lage, seinem Verbündeten die
Vortheile zu sichern, die derselbe von einer dauernden Alliance fordern kann?
Oestreich ist gefährdet, sobald es sich im Gegensatz zu Preußen befindet. Daß
das Verfolgen der Triasidre ihm Preußens Unterstützung unter allen Umständen
entziehen würde, ohne ihm als Ersatz dafür die Kräfte des mittclstaatiichen
Deutschlands zur Verfügung zu stelle", ist denn aber doch einleuchtend. Diese
vielfach drückende Abhängigkeit Oestreichs von den deutschen Verhältnissen kann
natürlich unter Umständen Oestreich zu einem sehr willkommenen Alliirten
Frankreichs machen; würde Oestreich aber in einem solchen Schützlingsverhältnis;
seine Rechnung finden? Würde es nicht vom ersten Tage des Bündnisses an
aus Mittel und Wege sinnen, dasselbe wieder zu lösen? Auch sieht Herr Fröbel
selbst sehr wohl ein, daß Frankreich unter Umständen einem Bündniß mit einer
andern Macht, z. B. mit Rußland, vor dem mit Oestreich den Vorzug geben könnte.
Indessen beruhigt der Versasser sich darüber leicht, da nur die äußerste Bedräng-


setz sein? Die Behauptungen, welche die Ansicht stützen sollen, sind ebenso
seltsam, wie die Ansicht über Frankreichs providentielle Stellung als heiliges
römisches Reich gallischer Nation selbst. Rußland wird einfach aus dem euro¬
päischen Staatensystem herausschematisirt; daß die Stellung eines Staates zu
einem System von dem Einfluß abhängt, den derselbe auf das System aus¬
zuüben vermag, kommt weiter nicht in Betracht. In der That verhält es sich
doch vielmehr so, daß jede Steigerung der napoleonischen Macht Nußland, sei
es als Verbündeten Napoleons, sei es als Glied einer gegen ihn gerichteten
Coalition, nur noch fester mit dem europäischen Staatensystem verknüpfen wird.
Wie Frankreich sich mit der Eifersucht Englands abzufinden haben wird, macht
dem Verfasser allerdings einige Bedenken. Die Bemerkung, daß für die eng¬
lische Politik die politische Macht an sich gar kein Interesse hat (!), reicht doch
nicht aus. um den Verfasser zu beruhige»; er ertheilt daher Napoleon den
Nath, sich auf dem Meere möglichst wenig zu schassen zumachen, im Uebrigen
ist es eben Oestreichs Beruf, Frankreich und England mit einander in gutem
Vernehmen zu erhalten.

Nehmen wir nun aber einmal mit dem Verfasser an, Frankreichs Macht
stünde so fest, daß es Thorheit wäre, dies nicht durch Unterwerfung unter das
Unvermeidliche anzuerkennen; nehmen wir ferner an, daß Oestreich, um sich vor
völligem Zerfallen zu sichern, nichts übrig bleibe, als Frankreich seine Freund¬
schaft anzutragen, so fragt es sich doch vor allem, will Napoleon eine Alliance
mit Oestreich? Folgt dies etwa daraus, daß er die Gruppe der Mittclstaatcn
begünstigt? Schwerlich. Es läßt sich allerdings nicht behaupten, daß er unter
gewisse» Umständen nicht auch eine Alliance mit Oestreich für wünschenswerth
halten kann. Mit alle? Zicherheit aber läßt sich behaupten, daß an ein dauern¬
des, principielles Bundesverhältniß zwischen Frankreich und Oestreich für jetzt
nicht zu denken ist. Ist Oestreich bereits in der Lage, seinem Verbündeten die
Vortheile zu sichern, die derselbe von einer dauernden Alliance fordern kann?
Oestreich ist gefährdet, sobald es sich im Gegensatz zu Preußen befindet. Daß
das Verfolgen der Triasidre ihm Preußens Unterstützung unter allen Umständen
entziehen würde, ohne ihm als Ersatz dafür die Kräfte des mittclstaatiichen
Deutschlands zur Verfügung zu stelle», ist denn aber doch einleuchtend. Diese
vielfach drückende Abhängigkeit Oestreichs von den deutschen Verhältnissen kann
natürlich unter Umständen Oestreich zu einem sehr willkommenen Alliirten
Frankreichs machen; würde Oestreich aber in einem solchen Schützlingsverhältnis;
seine Rechnung finden? Würde es nicht vom ersten Tage des Bündnisses an
aus Mittel und Wege sinnen, dasselbe wieder zu lösen? Auch sieht Herr Fröbel
selbst sehr wohl ein, daß Frankreich unter Umständen einem Bündniß mit einer
andern Macht, z. B. mit Rußland, vor dem mit Oestreich den Vorzug geben könnte.
Indessen beruhigt der Versasser sich darüber leicht, da nur die äußerste Bedräng-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/300>, abgerufen am 22.07.2024.