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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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diesen kleinen Seltsamkeiten, die sich bei jeder Erwähnung Preußens wieder¬
holen, gelegentlich mit Variationen, die nicht ganz zu den obigen Vorwürfen
passen, wie z. B. bei Erwähnung der "frivolen" Kriege Friedrichs des Zwei¬
ten die Erfolge der allerdings aufs Böse gerichteten Thätigkeit Preußens an¬
erkannt werden, und wie auch noch sonst gelegentlich eine gewisse Tüchtigkeit
im Bösen Preußen nicht völlig abgesprochen wird. Auch der Zollverein dürfte
vom Standpunkte des Verfassers wohl eher zu den Ergebnissen der bösartigen
als der unfruchtbaren Seite der Politik zu rechnen sein.

Ausführlicher müssen wir auf die Betrachtungen über die gegenwärtige
Lage des Staatensystems, insbesondere über die deutschen und östreichischen Ver¬
hältnisse eingehen. Es ist dies eine Specialität des Verfassers; er vertritt die
Triasidee, die nach ihm als die neueste Manifestation des nach einer nationalen
Gestaltung ringenden Deutschlands anzusehen ist. Diese Idee ist mit solchem
Aplomb auf der Bühne des öffentlichen Lebens erschienen, sie hat seit ihrem
ersten Auftauchen eine so große Rührigkeit, man könnte sagen no/^^et/^o^,/
bewährt, daß es von besonderem Interesse ist, sich von der Neconstruction des
europäischen Staatensystems auf Grundlage der deutschen Trias einen Begriff
zu machen.

Für die Gestaltung der deutschen Verhältnisse ist nach Fröbel von entschei¬
dender Bedeutung das Uebergewicht Frankreichs im Staatensystem. Amerika
und Nußland nämlich gehören dem europäischen Staatensystem gar nicht an^),
und die große Frage der Zukunft ist also, ob es dem europäischen Abendland
o. h. dem ganzen Europa außer Rußland gelingen wird, sich zu dem Bewußt¬
sein seiner Zusammengehörigkeit, ähnlich wie im christlichen Mittelalter, zu er¬
heben. In den Mittelpunkt des ganzen politischen Weltgebäudes, in dem Europa
zwischen Amerika und Nußland gestellt ist, ist aber Frankreich gerückt; den ein¬
zelnen europäischen Nationen und Staaten ist nur noch die Bedeutung unter¬
geordneter Glieder eines größern politischen Körpers übrig geblieben. Der
Einsicht in dies Verhältniß hat Napoleon der Dritte in den Worten Ausdruck
gegeben: Ein europäischer Krieg ist ein Bürgerkrieg. Der Krimkrieg, der Ver¬
such, Polen wieder dem abendländischen Machtgebiete, dem es angehört, zu ge¬
winnen^), der Gedanke des europäischen Kongresses,^ alle diese Schritte und Pläne
sind correcte Folgerungen aus einer correcten Anschauung der Weltlage. Und
wenn es Napoleon gelingt, in Bezug auf Amerika ebenso genau die richtige




Wohl aber Polen. Daher die polnische Frage im Großen nichts ist, als eine "Grcnz-
srage zwischen dem eigentlich europäischen und dem slawo-tartarischen Machtgebietc."
") Wie diese Ansicht des Verfassers zu der S, 2W "Musterten stimmt, es könne Frank¬
reich mit einer Wiederherstellung Polens nicht Ernst sein, vermögen wir "ichs zu ermitteln,
wenn wir auch die Tendenz derselben wohl begreifen.

diesen kleinen Seltsamkeiten, die sich bei jeder Erwähnung Preußens wieder¬
holen, gelegentlich mit Variationen, die nicht ganz zu den obigen Vorwürfen
passen, wie z. B. bei Erwähnung der „frivolen" Kriege Friedrichs des Zwei¬
ten die Erfolge der allerdings aufs Böse gerichteten Thätigkeit Preußens an¬
erkannt werden, und wie auch noch sonst gelegentlich eine gewisse Tüchtigkeit
im Bösen Preußen nicht völlig abgesprochen wird. Auch der Zollverein dürfte
vom Standpunkte des Verfassers wohl eher zu den Ergebnissen der bösartigen
als der unfruchtbaren Seite der Politik zu rechnen sein.

Ausführlicher müssen wir auf die Betrachtungen über die gegenwärtige
Lage des Staatensystems, insbesondere über die deutschen und östreichischen Ver¬
hältnisse eingehen. Es ist dies eine Specialität des Verfassers; er vertritt die
Triasidee, die nach ihm als die neueste Manifestation des nach einer nationalen
Gestaltung ringenden Deutschlands anzusehen ist. Diese Idee ist mit solchem
Aplomb auf der Bühne des öffentlichen Lebens erschienen, sie hat seit ihrem
ersten Auftauchen eine so große Rührigkeit, man könnte sagen no/^^et/^o^,/
bewährt, daß es von besonderem Interesse ist, sich von der Neconstruction des
europäischen Staatensystems auf Grundlage der deutschen Trias einen Begriff
zu machen.

Für die Gestaltung der deutschen Verhältnisse ist nach Fröbel von entschei¬
dender Bedeutung das Uebergewicht Frankreichs im Staatensystem. Amerika
und Nußland nämlich gehören dem europäischen Staatensystem gar nicht an^),
und die große Frage der Zukunft ist also, ob es dem europäischen Abendland
o. h. dem ganzen Europa außer Rußland gelingen wird, sich zu dem Bewußt¬
sein seiner Zusammengehörigkeit, ähnlich wie im christlichen Mittelalter, zu er¬
heben. In den Mittelpunkt des ganzen politischen Weltgebäudes, in dem Europa
zwischen Amerika und Nußland gestellt ist, ist aber Frankreich gerückt; den ein¬
zelnen europäischen Nationen und Staaten ist nur noch die Bedeutung unter¬
geordneter Glieder eines größern politischen Körpers übrig geblieben. Der
Einsicht in dies Verhältniß hat Napoleon der Dritte in den Worten Ausdruck
gegeben: Ein europäischer Krieg ist ein Bürgerkrieg. Der Krimkrieg, der Ver¬
such, Polen wieder dem abendländischen Machtgebiete, dem es angehört, zu ge¬
winnen^), der Gedanke des europäischen Kongresses,^ alle diese Schritte und Pläne
sind correcte Folgerungen aus einer correcten Anschauung der Weltlage. Und
wenn es Napoleon gelingt, in Bezug auf Amerika ebenso genau die richtige




Wohl aber Polen. Daher die polnische Frage im Großen nichts ist, als eine „Grcnz-
srage zwischen dem eigentlich europäischen und dem slawo-tartarischen Machtgebietc."
") Wie diese Ansicht des Verfassers zu der S, 2W «Musterten stimmt, es könne Frank¬
reich mit einer Wiederherstellung Polens nicht Ernst sein, vermögen wir »ichs zu ermitteln,
wenn wir auch die Tendenz derselben wohl begreifen.
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[0296] diesen kleinen Seltsamkeiten, die sich bei jeder Erwähnung Preußens wieder¬ holen, gelegentlich mit Variationen, die nicht ganz zu den obigen Vorwürfen passen, wie z. B. bei Erwähnung der „frivolen" Kriege Friedrichs des Zwei¬ ten die Erfolge der allerdings aufs Böse gerichteten Thätigkeit Preußens an¬ erkannt werden, und wie auch noch sonst gelegentlich eine gewisse Tüchtigkeit im Bösen Preußen nicht völlig abgesprochen wird. Auch der Zollverein dürfte vom Standpunkte des Verfassers wohl eher zu den Ergebnissen der bösartigen als der unfruchtbaren Seite der Politik zu rechnen sein. Ausführlicher müssen wir auf die Betrachtungen über die gegenwärtige Lage des Staatensystems, insbesondere über die deutschen und östreichischen Ver¬ hältnisse eingehen. Es ist dies eine Specialität des Verfassers; er vertritt die Triasidee, die nach ihm als die neueste Manifestation des nach einer nationalen Gestaltung ringenden Deutschlands anzusehen ist. Diese Idee ist mit solchem Aplomb auf der Bühne des öffentlichen Lebens erschienen, sie hat seit ihrem ersten Auftauchen eine so große Rührigkeit, man könnte sagen no/^^et/^o^,/ bewährt, daß es von besonderem Interesse ist, sich von der Neconstruction des europäischen Staatensystems auf Grundlage der deutschen Trias einen Begriff zu machen. Für die Gestaltung der deutschen Verhältnisse ist nach Fröbel von entschei¬ dender Bedeutung das Uebergewicht Frankreichs im Staatensystem. Amerika und Nußland nämlich gehören dem europäischen Staatensystem gar nicht an^), und die große Frage der Zukunft ist also, ob es dem europäischen Abendland o. h. dem ganzen Europa außer Rußland gelingen wird, sich zu dem Bewußt¬ sein seiner Zusammengehörigkeit, ähnlich wie im christlichen Mittelalter, zu er¬ heben. In den Mittelpunkt des ganzen politischen Weltgebäudes, in dem Europa zwischen Amerika und Nußland gestellt ist, ist aber Frankreich gerückt; den ein¬ zelnen europäischen Nationen und Staaten ist nur noch die Bedeutung unter¬ geordneter Glieder eines größern politischen Körpers übrig geblieben. Der Einsicht in dies Verhältniß hat Napoleon der Dritte in den Worten Ausdruck gegeben: Ein europäischer Krieg ist ein Bürgerkrieg. Der Krimkrieg, der Ver¬ such, Polen wieder dem abendländischen Machtgebiete, dem es angehört, zu ge¬ winnen^), der Gedanke des europäischen Kongresses,^ alle diese Schritte und Pläne sind correcte Folgerungen aus einer correcten Anschauung der Weltlage. Und wenn es Napoleon gelingt, in Bezug auf Amerika ebenso genau die richtige Wohl aber Polen. Daher die polnische Frage im Großen nichts ist, als eine „Grcnz- srage zwischen dem eigentlich europäischen und dem slawo-tartarischen Machtgebietc." ") Wie diese Ansicht des Verfassers zu der S, 2W «Musterten stimmt, es könne Frank¬ reich mit einer Wiederherstellung Polens nicht Ernst sein, vermögen wir »ichs zu ermitteln, wenn wir auch die Tendenz derselben wohl begreifen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/296>, abgerufen am 25.08.2024.