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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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die Machtverhältnisse in den Vereinigten Staaten dadurch verschoben haben,
indem sie der Balance zwischen Nord und Süd ein freies Gewicht hinzu¬
fügten.

Im Jahr 1800 existirte der Westen noch nicht, im folgenden Decennium
hat er bei dem Wahlcensus 1 Stimme (Ohio), 1820 hat er bereits 8 Stimmen,
1830 aber 32, 1840 schon 32, 1850 37 gewonnen und wird 1860 mit 73 Stim¬
men oder mit 32 Procent der ganzen Vertretung berechnet. Genau ebensoviel
hat der Süden; den eigentlichen Nordstaaten gehören 36 Procent an. -- Die
Wahlschlacht 1860 wurde ausgefochten in diesen 36 Procent des Nordens und
zwar durch die Abstimmungen in den Hauptorten; West und Süd standen sich
in gleicher Zahl ziemlich einstimmig gegenüber. Dieser Gegensatz zwischen West
und Süd hatte sich im letzten Decennium durchaus feindlich entwickelt, indem
beide in dem Bedürfniß, gegen Westen ihre Gewalt auszudehnen und neues
Land zu cultiviren, sich am Mississippi begegneten und in Kansas sogar zu blu¬
tigen Schlachten kamen. Hierbei blieben die freien Arbeiter des Westens mit
vorwiegend deutschem Element überall Sieger und dieser Sieg war so vollstän¬
dig, daß bei der Berührung der Sklaverei und der freien Arbeit die erstere überall
zurückzuckte und den Sklavenhaltern sich die Ueberzeugung aufdrängte, daß sie hier
nicht nur die Herrschaft verloren hatten, sondern daß sie sich gegen jene Freiheit
scharf abgrenzen müßten, wenn sie die Sklaverei bei sich aufrecht erhalten wollten.

Diese Ueberzeugung führte zur Loslösung der Südstaaten. Als sie 1860
bei der Präsidentenwahl die Herrschaft unwiederbringlich verloren sahen und
ihnen nunmehr die Mittel der Regierung fehlten, um sich vor jenen Einflüssen
der Freiheit zu schützen, mußten sie eigene Barrieren gegen diese ziehen. Der
fernere Zusammenhang zwischen Süd und West bedrohte die Existenz der Sklaverei
und deshalb kam es zum Kriege. -- Die Erhaltung der Sklaverei, nicht
deren Unterdrückung war Zweck des Krieges, nicht die Nordstaaten sind es,
welche die Feindseligkeiten eröffneten, sondern der Süden, nicht der Norden,
sondern der Westen ist es, der den Krieg führt und die Früchte desselben ernten
wird. -- Der Süden hatte den Krieg schon Jahre vorher vorbereitet, schuf so¬
fort eine Armee und rückte gerüstet gegen den Norden vor. Die neue Negie¬
rung Lincolns war zusammengesetzt aus Neu-Englands Elementen und fühlte
durchaus keinen Widerwillen gegen den Süden, nur mit Widerstreben rüstete
sie sich und die Gegensätze am MissisiPPi waren schon blutig aneinander ge¬
rathen, ehe man in Washington mit sich einig war, was man wollte. So hat
-- im Ganzen betrachtet -- der Westen den Krieg veranlaßt, hat ihn ange¬
fangen und durchgeführt, während der Norden nur die Entschiedenheit des We¬
stens duldete und ihm halb widerwillig in den leitenden Principien sowohl, als
auch in den kriegerischen Handlungen folgte. Der ganze bisherige Verlauf des
Krieges trägt den Stempel seines Ursprungs: entschiedenes Handeln und große


Grenzboten IV. 1864. 37

die Machtverhältnisse in den Vereinigten Staaten dadurch verschoben haben,
indem sie der Balance zwischen Nord und Süd ein freies Gewicht hinzu¬
fügten.

Im Jahr 1800 existirte der Westen noch nicht, im folgenden Decennium
hat er bei dem Wahlcensus 1 Stimme (Ohio), 1820 hat er bereits 8 Stimmen,
1830 aber 32, 1840 schon 32, 1850 37 gewonnen und wird 1860 mit 73 Stim¬
men oder mit 32 Procent der ganzen Vertretung berechnet. Genau ebensoviel
hat der Süden; den eigentlichen Nordstaaten gehören 36 Procent an. — Die
Wahlschlacht 1860 wurde ausgefochten in diesen 36 Procent des Nordens und
zwar durch die Abstimmungen in den Hauptorten; West und Süd standen sich
in gleicher Zahl ziemlich einstimmig gegenüber. Dieser Gegensatz zwischen West
und Süd hatte sich im letzten Decennium durchaus feindlich entwickelt, indem
beide in dem Bedürfniß, gegen Westen ihre Gewalt auszudehnen und neues
Land zu cultiviren, sich am Mississippi begegneten und in Kansas sogar zu blu¬
tigen Schlachten kamen. Hierbei blieben die freien Arbeiter des Westens mit
vorwiegend deutschem Element überall Sieger und dieser Sieg war so vollstän¬
dig, daß bei der Berührung der Sklaverei und der freien Arbeit die erstere überall
zurückzuckte und den Sklavenhaltern sich die Ueberzeugung aufdrängte, daß sie hier
nicht nur die Herrschaft verloren hatten, sondern daß sie sich gegen jene Freiheit
scharf abgrenzen müßten, wenn sie die Sklaverei bei sich aufrecht erhalten wollten.

Diese Ueberzeugung führte zur Loslösung der Südstaaten. Als sie 1860
bei der Präsidentenwahl die Herrschaft unwiederbringlich verloren sahen und
ihnen nunmehr die Mittel der Regierung fehlten, um sich vor jenen Einflüssen
der Freiheit zu schützen, mußten sie eigene Barrieren gegen diese ziehen. Der
fernere Zusammenhang zwischen Süd und West bedrohte die Existenz der Sklaverei
und deshalb kam es zum Kriege. — Die Erhaltung der Sklaverei, nicht
deren Unterdrückung war Zweck des Krieges, nicht die Nordstaaten sind es,
welche die Feindseligkeiten eröffneten, sondern der Süden, nicht der Norden,
sondern der Westen ist es, der den Krieg führt und die Früchte desselben ernten
wird. — Der Süden hatte den Krieg schon Jahre vorher vorbereitet, schuf so¬
fort eine Armee und rückte gerüstet gegen den Norden vor. Die neue Negie¬
rung Lincolns war zusammengesetzt aus Neu-Englands Elementen und fühlte
durchaus keinen Widerwillen gegen den Süden, nur mit Widerstreben rüstete
sie sich und die Gegensätze am MissisiPPi waren schon blutig aneinander ge¬
rathen, ehe man in Washington mit sich einig war, was man wollte. So hat
— im Ganzen betrachtet — der Westen den Krieg veranlaßt, hat ihn ange¬
fangen und durchgeführt, während der Norden nur die Entschiedenheit des We¬
stens duldete und ihm halb widerwillig in den leitenden Principien sowohl, als
auch in den kriegerischen Handlungen folgte. Der ganze bisherige Verlauf des
Krieges trägt den Stempel seines Ursprungs: entschiedenes Handeln und große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/293>, abgerufen am 25.08.2024.