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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Größe der Arbeit, die Vortrefflichkeit so manches Theiles der Leistung täuscht
uns nicht mehr über die Schwächen, welche die der ganzen Richtung jener älte¬
ren düsseldorfer Geschichtsmalerei sind, als deren reifste und vollendetste
Frucht dies große Werk sich darstellt. Der Größe seines Gegenstandes entspricht
es nicht, darüber kann man nicht mehr streiten und schwer begreiflich ist es,
daß man es überhaupt einmal konnte. Der Triumph des Geistes über die
Schrecken des Todes, über die Qualen, mit welchen ihn die brutale Natur zu
vernichten meint, ist das künstlerische Sujet, das unsere Mitleidenschaft schon
an sich stets am sichersten und aufs tiefste erregt, mag der Triumphator nun
Sokrates und Christus. Huß oder ein Opfer der großen politischen Kämpfe sein.
Aber wie solcher Gegenstand, solches Ereigniß in der Schilderung schon unser Herz
im Innersten packt und erregt, so wird jede künstlerische Behandlung und Dar¬
stellung desselben uns die Menschen, die solche Thaten thun, leiden oder mit¬
erleben, auch vor allem in der vollen Energie der Empfindungen zeigen müssen,
welche unmittelbare handelnde oder passive Mitwirkung an so furchtbaren, gewal¬
tigen und erhabenen Dingen nothwendig hervorrufen wird, ja überhaupt nur
ihr Geschehen begreiflich macht. Daß Lessing dies nicbt gethan, oder nicht ver¬
mocht, das ist der Grund der Schwäche in seinem Bilde, aus dem das Uebrige
sich von selbst erklärt. Sein Huß. der, vor die Stadt hinausgeführt, auf dem
niedern Hügel, wo in geringer Ferne der Scheiterhaufen sich erhebt und die
Brandkncchte ihres edlen Opfers harren, noch einmal i" heißem Gebet nieder¬
kniee, ist ein liebenswürdiger, fein gebildeter, guter und trefflicher Manu, von
frommer Andacht, aber keineswegs von jener Extase beseelt, welche, nahe dem
Entsetzlichsten, alle Bande irdischer Angst zersprengt und aus befreiter Seele
ihren Triumph jauchzt: "Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?"
Zunächst hinter dem Knienden, tiefer im Bilde, die Gruppe der Stadtwachen,
die ihn geleiteten und nun als Ketzer verhöhnen, weist manche tüchtige Gestalt
auf, in der die Brutalität und der plumpe Hohn gemeinen Gesindels über das,
was es nicht begreift, energisch aber auch cynisch zum Ausdruck kommt. Desto
matter die großen gestaltenreichen Gruppen des ganzen Vorgrunds, zur Rech¬
ten die den Zug geleitenden fürstlichen und geistlichen Herrn; zur Linken das
dem gräulichen Schauspiel zusehende Volk. Solche Männer wie jene statt¬
lichen buntgeputztcn Cavaliere verdammten und führten nicht zum Feuertode,
und solch eine wohlgesittete, gut bürgerliche Gesellschaft von braven Männern
und hübschen sittigen Frauen und Mädchen drängen und drängten sich nie zu
solcher Scene; zumal die es im fünfzehnten Jahrhundert thaten, haben anders
ausgesehen. Die Energie der Liebe und des Hasses fehlt ihnen. Ueber eine
anständige Theilnahme, ein wehmüthiges Mitgefühl bringt es keiner darin,
es ist eine freundliche und angenehme Gesellschaft an Mienen, Stellungen
und Tracht. Und letztere erinnert ebenso lebhaft an die Garderobe gewisser


Größe der Arbeit, die Vortrefflichkeit so manches Theiles der Leistung täuscht
uns nicht mehr über die Schwächen, welche die der ganzen Richtung jener älte¬
ren düsseldorfer Geschichtsmalerei sind, als deren reifste und vollendetste
Frucht dies große Werk sich darstellt. Der Größe seines Gegenstandes entspricht
es nicht, darüber kann man nicht mehr streiten und schwer begreiflich ist es,
daß man es überhaupt einmal konnte. Der Triumph des Geistes über die
Schrecken des Todes, über die Qualen, mit welchen ihn die brutale Natur zu
vernichten meint, ist das künstlerische Sujet, das unsere Mitleidenschaft schon
an sich stets am sichersten und aufs tiefste erregt, mag der Triumphator nun
Sokrates und Christus. Huß oder ein Opfer der großen politischen Kämpfe sein.
Aber wie solcher Gegenstand, solches Ereigniß in der Schilderung schon unser Herz
im Innersten packt und erregt, so wird jede künstlerische Behandlung und Dar¬
stellung desselben uns die Menschen, die solche Thaten thun, leiden oder mit¬
erleben, auch vor allem in der vollen Energie der Empfindungen zeigen müssen,
welche unmittelbare handelnde oder passive Mitwirkung an so furchtbaren, gewal¬
tigen und erhabenen Dingen nothwendig hervorrufen wird, ja überhaupt nur
ihr Geschehen begreiflich macht. Daß Lessing dies nicbt gethan, oder nicht ver¬
mocht, das ist der Grund der Schwäche in seinem Bilde, aus dem das Uebrige
sich von selbst erklärt. Sein Huß. der, vor die Stadt hinausgeführt, auf dem
niedern Hügel, wo in geringer Ferne der Scheiterhaufen sich erhebt und die
Brandkncchte ihres edlen Opfers harren, noch einmal i» heißem Gebet nieder¬
kniee, ist ein liebenswürdiger, fein gebildeter, guter und trefflicher Manu, von
frommer Andacht, aber keineswegs von jener Extase beseelt, welche, nahe dem
Entsetzlichsten, alle Bande irdischer Angst zersprengt und aus befreiter Seele
ihren Triumph jauchzt: „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?"
Zunächst hinter dem Knienden, tiefer im Bilde, die Gruppe der Stadtwachen,
die ihn geleiteten und nun als Ketzer verhöhnen, weist manche tüchtige Gestalt
auf, in der die Brutalität und der plumpe Hohn gemeinen Gesindels über das,
was es nicht begreift, energisch aber auch cynisch zum Ausdruck kommt. Desto
matter die großen gestaltenreichen Gruppen des ganzen Vorgrunds, zur Rech¬
ten die den Zug geleitenden fürstlichen und geistlichen Herrn; zur Linken das
dem gräulichen Schauspiel zusehende Volk. Solche Männer wie jene statt¬
lichen buntgeputztcn Cavaliere verdammten und führten nicht zum Feuertode,
und solch eine wohlgesittete, gut bürgerliche Gesellschaft von braven Männern
und hübschen sittigen Frauen und Mädchen drängen und drängten sich nie zu
solcher Scene; zumal die es im fünfzehnten Jahrhundert thaten, haben anders
ausgesehen. Die Energie der Liebe und des Hasses fehlt ihnen. Ueber eine
anständige Theilnahme, ein wehmüthiges Mitgefühl bringt es keiner darin,
es ist eine freundliche und angenehme Gesellschaft an Mienen, Stellungen
und Tracht. Und letztere erinnert ebenso lebhaft an die Garderobe gewisser


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[0281] Größe der Arbeit, die Vortrefflichkeit so manches Theiles der Leistung täuscht uns nicht mehr über die Schwächen, welche die der ganzen Richtung jener älte¬ ren düsseldorfer Geschichtsmalerei sind, als deren reifste und vollendetste Frucht dies große Werk sich darstellt. Der Größe seines Gegenstandes entspricht es nicht, darüber kann man nicht mehr streiten und schwer begreiflich ist es, daß man es überhaupt einmal konnte. Der Triumph des Geistes über die Schrecken des Todes, über die Qualen, mit welchen ihn die brutale Natur zu vernichten meint, ist das künstlerische Sujet, das unsere Mitleidenschaft schon an sich stets am sichersten und aufs tiefste erregt, mag der Triumphator nun Sokrates und Christus. Huß oder ein Opfer der großen politischen Kämpfe sein. Aber wie solcher Gegenstand, solches Ereigniß in der Schilderung schon unser Herz im Innersten packt und erregt, so wird jede künstlerische Behandlung und Dar¬ stellung desselben uns die Menschen, die solche Thaten thun, leiden oder mit¬ erleben, auch vor allem in der vollen Energie der Empfindungen zeigen müssen, welche unmittelbare handelnde oder passive Mitwirkung an so furchtbaren, gewal¬ tigen und erhabenen Dingen nothwendig hervorrufen wird, ja überhaupt nur ihr Geschehen begreiflich macht. Daß Lessing dies nicbt gethan, oder nicht ver¬ mocht, das ist der Grund der Schwäche in seinem Bilde, aus dem das Uebrige sich von selbst erklärt. Sein Huß. der, vor die Stadt hinausgeführt, auf dem niedern Hügel, wo in geringer Ferne der Scheiterhaufen sich erhebt und die Brandkncchte ihres edlen Opfers harren, noch einmal i» heißem Gebet nieder¬ kniee, ist ein liebenswürdiger, fein gebildeter, guter und trefflicher Manu, von frommer Andacht, aber keineswegs von jener Extase beseelt, welche, nahe dem Entsetzlichsten, alle Bande irdischer Angst zersprengt und aus befreiter Seele ihren Triumph jauchzt: „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?" Zunächst hinter dem Knienden, tiefer im Bilde, die Gruppe der Stadtwachen, die ihn geleiteten und nun als Ketzer verhöhnen, weist manche tüchtige Gestalt auf, in der die Brutalität und der plumpe Hohn gemeinen Gesindels über das, was es nicht begreift, energisch aber auch cynisch zum Ausdruck kommt. Desto matter die großen gestaltenreichen Gruppen des ganzen Vorgrunds, zur Rech¬ ten die den Zug geleitenden fürstlichen und geistlichen Herrn; zur Linken das dem gräulichen Schauspiel zusehende Volk. Solche Männer wie jene statt¬ lichen buntgeputztcn Cavaliere verdammten und führten nicht zum Feuertode, und solch eine wohlgesittete, gut bürgerliche Gesellschaft von braven Männern und hübschen sittigen Frauen und Mädchen drängen und drängten sich nie zu solcher Scene; zumal die es im fünfzehnten Jahrhundert thaten, haben anders ausgesehen. Die Energie der Liebe und des Hasses fehlt ihnen. Ueber eine anständige Theilnahme, ein wehmüthiges Mitgefühl bringt es keiner darin, es ist eine freundliche und angenehme Gesellschaft an Mienen, Stellungen und Tracht. Und letztere erinnert ebenso lebhaft an die Garderobe gewisser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/281>, abgerufen am 06.02.2025.