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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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und zu letzterer würde auch die uur zu sehr ein moderne Virtuosenmanieren
erinnernde rechte Hand nicht stimmen, welche sie eben auf die Tasten nieder¬
zulassen begriffen ist. So erzeugt das dabei sehr tüchtig in klarem, mildem
Lichte gemalte Bild einen etwas zwiespältigen Eindruck. Die h. Barbara von
A. v. Heyden errang in dem vorjährigen Salon zu Paris einen höchst ehren¬
vollen Erfolg. Als Zeugniß einer seltenen malerischen Potenz, eines kühnen
und energischen Machwerks und einer nicht gewöhnlichen Phantasie verdiente
ihn das Bild. Einem vom Einsturz der Grube über Trümmer und Ge¬
röll blutend und verscheidend zu Boden geschmetterten Bergmann erscheint die
heilige Patronin seines Berufes und bringt ihm den Kelch und das Brot der
Versöhnung dorthin, wo kein Priester sich nahen kann. Mit einem imposanten
Realismus ist der Sterbende gemalt, der Himmelsglanz, der plötzlich die dunkle
Grube erfüllt, mit mächtiger Wirkung. Die Hoheit der Heiligen aber ist gar
zu bewußt, pathetisch und trotz ihres majestätischen Kopfes ist ihre ganze Ge¬
stalt so derb körperlich, daß man kaum auf einen Wesensunterschicd zwischen
ihr und den sterblichen Menschen schließen möchte. Unser Respect vor dem
Talent wächst übrigens noch, wenn wir hören, daß dieser Künstler bis vor
etwa vier Jahren selbst den Schutzbefohlenen dieser Heiligen angehörte: vom
Bergdirector wurde er zum Eleven des stcffeckschen und dann des couturcschen
Ateliers. In einer "Trauer um den vom Kreuz genommenen Heiland" von
v. Dörnbe,rg wird man/ wenn man erst über die ziemlich harte und trockne
Malweise hinweggekommen ist, eine innige, tiefe Empfindung und edlen er¬
greifenden Ausdruck nicht verkennen.

Die classische Mythe findet bei uns noch weniger Darsteller, als die histo¬
rische. Ist es eine bürgerliche Scheu vor dem Nackten, welche unsre Maler
abhält, oder ist uns der Sinn für die heitre Welt der heidnische" Schönheit,
ist uns Muth und Lust abhanden gekommen, uns in sie zu versenken? Gleich¬
viel; wenn man den modern französischen künstlerischen Cultus des Nackten,
der antiken Göttinnen, Nymphen und Heroinen im Gedächtniß hat, so ist die
völlige Abwesenheit von etwas dem Aehnlichen bei uns sehr auffallend. Nur
zwei Aussteller wagen sich in diese fast vermiedene Richtung und einer von
ihnen ist ein Franzose: Boutib omne. Seine widerwärtig süßliche, lolettirende,
in Form und Farbe jedes Markes baare Leda ist freilich nicht dazu angethan,
ihrem Genre bei uns Freunde zu gewinnen. Und noch viel weniger Victor
Müllers Waldnymphe. Die kolossale Geschmacklosigkeit dieses verwunderlichen
Productes ist schwer zu beschreiben und um so mehr zu beklage", als sie sich
mit einem schönen Wissen der Zeichnung und einer eminenten Begabung für
die Farbe verbindet. So ist dieser lebensgroße nackte Körper, der sich hier auf
dem mosigen Boden eines das ganze hohe Bild mit seinen völlig unmöglichen
Stämmen füllenden Waldes wälzt, in seinen kühnen Verkürzungen aufs Treff-


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und zu letzterer würde auch die uur zu sehr ein moderne Virtuosenmanieren
erinnernde rechte Hand nicht stimmen, welche sie eben auf die Tasten nieder¬
zulassen begriffen ist. So erzeugt das dabei sehr tüchtig in klarem, mildem
Lichte gemalte Bild einen etwas zwiespältigen Eindruck. Die h. Barbara von
A. v. Heyden errang in dem vorjährigen Salon zu Paris einen höchst ehren¬
vollen Erfolg. Als Zeugniß einer seltenen malerischen Potenz, eines kühnen
und energischen Machwerks und einer nicht gewöhnlichen Phantasie verdiente
ihn das Bild. Einem vom Einsturz der Grube über Trümmer und Ge¬
röll blutend und verscheidend zu Boden geschmetterten Bergmann erscheint die
heilige Patronin seines Berufes und bringt ihm den Kelch und das Brot der
Versöhnung dorthin, wo kein Priester sich nahen kann. Mit einem imposanten
Realismus ist der Sterbende gemalt, der Himmelsglanz, der plötzlich die dunkle
Grube erfüllt, mit mächtiger Wirkung. Die Hoheit der Heiligen aber ist gar
zu bewußt, pathetisch und trotz ihres majestätischen Kopfes ist ihre ganze Ge¬
stalt so derb körperlich, daß man kaum auf einen Wesensunterschicd zwischen
ihr und den sterblichen Menschen schließen möchte. Unser Respect vor dem
Talent wächst übrigens noch, wenn wir hören, daß dieser Künstler bis vor
etwa vier Jahren selbst den Schutzbefohlenen dieser Heiligen angehörte: vom
Bergdirector wurde er zum Eleven des stcffeckschen und dann des couturcschen
Ateliers. In einer „Trauer um den vom Kreuz genommenen Heiland" von
v. Dörnbe,rg wird man/ wenn man erst über die ziemlich harte und trockne
Malweise hinweggekommen ist, eine innige, tiefe Empfindung und edlen er¬
greifenden Ausdruck nicht verkennen.

Die classische Mythe findet bei uns noch weniger Darsteller, als die histo¬
rische. Ist es eine bürgerliche Scheu vor dem Nackten, welche unsre Maler
abhält, oder ist uns der Sinn für die heitre Welt der heidnische» Schönheit,
ist uns Muth und Lust abhanden gekommen, uns in sie zu versenken? Gleich¬
viel; wenn man den modern französischen künstlerischen Cultus des Nackten,
der antiken Göttinnen, Nymphen und Heroinen im Gedächtniß hat, so ist die
völlige Abwesenheit von etwas dem Aehnlichen bei uns sehr auffallend. Nur
zwei Aussteller wagen sich in diese fast vermiedene Richtung und einer von
ihnen ist ein Franzose: Boutib omne. Seine widerwärtig süßliche, lolettirende,
in Form und Farbe jedes Markes baare Leda ist freilich nicht dazu angethan,
ihrem Genre bei uns Freunde zu gewinnen. Und noch viel weniger Victor
Müllers Waldnymphe. Die kolossale Geschmacklosigkeit dieses verwunderlichen
Productes ist schwer zu beschreiben und um so mehr zu beklage», als sie sich
mit einem schönen Wissen der Zeichnung und einer eminenten Begabung für
die Farbe verbindet. So ist dieser lebensgroße nackte Körper, der sich hier auf
dem mosigen Boden eines das ganze hohe Bild mit seinen völlig unmöglichen
Stämmen füllenden Waldes wälzt, in seinen kühnen Verkürzungen aufs Treff-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/279>, abgerufen am 01.10.2024.