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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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karischen Bestrebungen huldigenden Gesichtspunkten keinen Haß der gerade that¬
sächlich mächtigen Parteien. Auch seine wissenschaftlichen Angriffe gegen gewisse
Richtungen in den strengen Disciplinen schufen ihm keine Gegnerschaft, der son¬
derlich an seiner Unschädlichmachung gelegen gewesen wäre. Man scheint ihn
als einen Philosophen angesehen zu haben, der, augenblicklich ohne Einfluß,
auch nicht einmal einer Maßregelung gewürdigt zu werden verdiente. Doch
hat man sich in diesem Punkte, wie die Erfahrung bereits gezeigt hat, gar
sehr getäuscht. Ist auch bis jetzt in Deutschland, welches mit seiner eigenen
Philosophie genug zu thun hat, kein für die Propaganda comtescher Ideen
geeigneter Boden aufgefunden worden, und läßt man sich auch bei uns lieber
aus Stuart Mills Logik belehren, daß es einen allenfalls erwcihnenswerthen
französischen Denker Namens Comte gebe, als daß man seine Schriften selbst
einmal zur Hand nähme, so ist doch die Leistung des Franzosen für diesen
Verlust des deutschen naturwissenschaftlichen Publicums (denn das theologisch-
metaphysische wird ihn aus gutem Grunde nie schmackhaft finden) durch trans¬
atlantische Beachtung entschädigt worven. Ich führe hier nur zwei Beispiele
an, von denen sich das eine auf England, das andere auf Amerika bezieht.
Der Verfasser der Geschichte der Civilisation, der leider zu früh gestorbene
Buele, bekundet durch zahlreiche Citate seine Kenntniß und Achtung des franzö¬
sischen Denkers. Aber noch mehr Würdigung widerfährt ihm in einem epoche¬
machenden amerikanischen Werke über Volkswirthschaft. Der auch in diesen
Blattern erst jüngst besprochene Carey beehrt Comte mit Seitenlängen Abdrücken.
Man sieht also, wie selbst der einsame und von äußeren Mitteln, mit denen
er sonst für die Verbreitung seines Systems hätte eintreten können, fast ganz
entblößte Denker dennoch seinen Weg in die Welt und zwar in eine sehr an¬
ständige Gesellschaft gefunden hat. Allerdings scheinen seine auf die Politik
bezüglichen Ideen bis jetzt am wenigsten beachtet worden zu sein; man hat in
ihm mehr den Aussteller einer Art Wissenschaftslehre als den politischen und
socialen Denker gesucht. Offenbar haben Viele nicht daran glauben wollen,
daß ein vorherrschend über die Philosophie der Mathematik und Mechanik spe-
culirender Kopf auch gesunde Gedanken über geschichtliche und politische Ver¬
hältnisse zu Tage fördern könne. Wir werden nun aber sogleich sehen, daß
gerade die originellste Conception Comtes auf geschichtsphilosophischem Felde
und im Gebiet der Politik zu suchen ist.

Der Hauptgedanke, in welchem sich Comtes metaphysische und politische
Grundanschauung ausdrückt, ist ein sehr einfaches Philosophem. welches zunächst
über den Gang der Ideen aufgestellt und dann auf die Abfolge der politischen
Zustände angewendet wird. Es ist eine wenn auch nicht in allen Beziehungen
wahre, so doch jedenfalls geistreiche Parallele, durch welche er die Stadien
der geistigen Gesammtaufsassung und die Zeitalter der verschiedenen Grund-


Grenzboten IV. 18V4. 34

karischen Bestrebungen huldigenden Gesichtspunkten keinen Haß der gerade that¬
sächlich mächtigen Parteien. Auch seine wissenschaftlichen Angriffe gegen gewisse
Richtungen in den strengen Disciplinen schufen ihm keine Gegnerschaft, der son¬
derlich an seiner Unschädlichmachung gelegen gewesen wäre. Man scheint ihn
als einen Philosophen angesehen zu haben, der, augenblicklich ohne Einfluß,
auch nicht einmal einer Maßregelung gewürdigt zu werden verdiente. Doch
hat man sich in diesem Punkte, wie die Erfahrung bereits gezeigt hat, gar
sehr getäuscht. Ist auch bis jetzt in Deutschland, welches mit seiner eigenen
Philosophie genug zu thun hat, kein für die Propaganda comtescher Ideen
geeigneter Boden aufgefunden worden, und läßt man sich auch bei uns lieber
aus Stuart Mills Logik belehren, daß es einen allenfalls erwcihnenswerthen
französischen Denker Namens Comte gebe, als daß man seine Schriften selbst
einmal zur Hand nähme, so ist doch die Leistung des Franzosen für diesen
Verlust des deutschen naturwissenschaftlichen Publicums (denn das theologisch-
metaphysische wird ihn aus gutem Grunde nie schmackhaft finden) durch trans¬
atlantische Beachtung entschädigt worven. Ich führe hier nur zwei Beispiele
an, von denen sich das eine auf England, das andere auf Amerika bezieht.
Der Verfasser der Geschichte der Civilisation, der leider zu früh gestorbene
Buele, bekundet durch zahlreiche Citate seine Kenntniß und Achtung des franzö¬
sischen Denkers. Aber noch mehr Würdigung widerfährt ihm in einem epoche¬
machenden amerikanischen Werke über Volkswirthschaft. Der auch in diesen
Blattern erst jüngst besprochene Carey beehrt Comte mit Seitenlängen Abdrücken.
Man sieht also, wie selbst der einsame und von äußeren Mitteln, mit denen
er sonst für die Verbreitung seines Systems hätte eintreten können, fast ganz
entblößte Denker dennoch seinen Weg in die Welt und zwar in eine sehr an¬
ständige Gesellschaft gefunden hat. Allerdings scheinen seine auf die Politik
bezüglichen Ideen bis jetzt am wenigsten beachtet worden zu sein; man hat in
ihm mehr den Aussteller einer Art Wissenschaftslehre als den politischen und
socialen Denker gesucht. Offenbar haben Viele nicht daran glauben wollen,
daß ein vorherrschend über die Philosophie der Mathematik und Mechanik spe-
culirender Kopf auch gesunde Gedanken über geschichtliche und politische Ver¬
hältnisse zu Tage fördern könne. Wir werden nun aber sogleich sehen, daß
gerade die originellste Conception Comtes auf geschichtsphilosophischem Felde
und im Gebiet der Politik zu suchen ist.

Der Hauptgedanke, in welchem sich Comtes metaphysische und politische
Grundanschauung ausdrückt, ist ein sehr einfaches Philosophem. welches zunächst
über den Gang der Ideen aufgestellt und dann auf die Abfolge der politischen
Zustände angewendet wird. Es ist eine wenn auch nicht in allen Beziehungen
wahre, so doch jedenfalls geistreiche Parallele, durch welche er die Stadien
der geistigen Gesammtaufsassung und die Zeitalter der verschiedenen Grund-


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[0269] karischen Bestrebungen huldigenden Gesichtspunkten keinen Haß der gerade that¬ sächlich mächtigen Parteien. Auch seine wissenschaftlichen Angriffe gegen gewisse Richtungen in den strengen Disciplinen schufen ihm keine Gegnerschaft, der son¬ derlich an seiner Unschädlichmachung gelegen gewesen wäre. Man scheint ihn als einen Philosophen angesehen zu haben, der, augenblicklich ohne Einfluß, auch nicht einmal einer Maßregelung gewürdigt zu werden verdiente. Doch hat man sich in diesem Punkte, wie die Erfahrung bereits gezeigt hat, gar sehr getäuscht. Ist auch bis jetzt in Deutschland, welches mit seiner eigenen Philosophie genug zu thun hat, kein für die Propaganda comtescher Ideen geeigneter Boden aufgefunden worden, und läßt man sich auch bei uns lieber aus Stuart Mills Logik belehren, daß es einen allenfalls erwcihnenswerthen französischen Denker Namens Comte gebe, als daß man seine Schriften selbst einmal zur Hand nähme, so ist doch die Leistung des Franzosen für diesen Verlust des deutschen naturwissenschaftlichen Publicums (denn das theologisch- metaphysische wird ihn aus gutem Grunde nie schmackhaft finden) durch trans¬ atlantische Beachtung entschädigt worven. Ich führe hier nur zwei Beispiele an, von denen sich das eine auf England, das andere auf Amerika bezieht. Der Verfasser der Geschichte der Civilisation, der leider zu früh gestorbene Buele, bekundet durch zahlreiche Citate seine Kenntniß und Achtung des franzö¬ sischen Denkers. Aber noch mehr Würdigung widerfährt ihm in einem epoche¬ machenden amerikanischen Werke über Volkswirthschaft. Der auch in diesen Blattern erst jüngst besprochene Carey beehrt Comte mit Seitenlängen Abdrücken. Man sieht also, wie selbst der einsame und von äußeren Mitteln, mit denen er sonst für die Verbreitung seines Systems hätte eintreten können, fast ganz entblößte Denker dennoch seinen Weg in die Welt und zwar in eine sehr an¬ ständige Gesellschaft gefunden hat. Allerdings scheinen seine auf die Politik bezüglichen Ideen bis jetzt am wenigsten beachtet worden zu sein; man hat in ihm mehr den Aussteller einer Art Wissenschaftslehre als den politischen und socialen Denker gesucht. Offenbar haben Viele nicht daran glauben wollen, daß ein vorherrschend über die Philosophie der Mathematik und Mechanik spe- culirender Kopf auch gesunde Gedanken über geschichtliche und politische Ver¬ hältnisse zu Tage fördern könne. Wir werden nun aber sogleich sehen, daß gerade die originellste Conception Comtes auf geschichtsphilosophischem Felde und im Gebiet der Politik zu suchen ist. Der Hauptgedanke, in welchem sich Comtes metaphysische und politische Grundanschauung ausdrückt, ist ein sehr einfaches Philosophem. welches zunächst über den Gang der Ideen aufgestellt und dann auf die Abfolge der politischen Zustände angewendet wird. Es ist eine wenn auch nicht in allen Beziehungen wahre, so doch jedenfalls geistreiche Parallele, durch welche er die Stadien der geistigen Gesammtaufsassung und die Zeitalter der verschiedenen Grund- Grenzboten IV. 18V4. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/269>, abgerufen am 25.08.2024.