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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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ciösen nicht mit gewissen andern Kundgebungen derselben vergleichen. Mit an¬
dern Worten: abgesehen von der an dem Späteren zu prüfenden Frage, ob die
Ritter- und Landschaft Lauenburgs als wirkliche Repräsentation der Wünsche
der Bevölkerung im Herzogthum gelten kann, wie kommt es, daß man hier
bereitwillig die Stimme des Volkes als berechtigten Factor anerkennt und in
Schleswig-Holstein nicht? In Holstein haben die Mitglieder der Ständeversamm-
lung mit noch größerer Majorität als jetzt in Lauenburg erklärt, was das Land
für Recht hält und wie es seine Zukunft gestaltet wissen will, und wenn jene
nicht durch die Negierung, also nicht auf veifassungsmäßigem Wege zusammen-
berufen waren, so ist mit diesen genau dasselbe der Fall (vgl. §. Is der lauen-
burgischen Verfassung von 1853). In Schleswig und Holstein haben ferner
zwei große unerhört stark besuchte Volksversammlungen, haben Vereine und
Corporationen, Notabeln, Städtetage, Bauerntage, Universität und Geistlichkeit
feierlich ausgesprochen, was das Volk fordert; in Lauenburg nichts dergleichen,
sondern achtzehn Personen traten als Träger des Volkswillens und der öffent¬
lichen Meinung auf, und siehe da, sie sollten als solche gelten, während man
sich stellt, als höre man in dem lauten und beinahe cinmüthigen Rufe der
Schleswig-Holsteiner nichts als das Geschrei der augustenburgischcn Partei. Das
reine, wer kann, mit Vernunft und Billigkeit. Oder sollten etwa blos die
Wünsche der Ritterschaft, die in dem lauenburger Landtag unverhältnißmäßig
viel Stimmen und Einfluß hat, für beachtenswerth angesehen werden, soll der
Mensch erst beim Baron anfange"? Von Herzen gönnen wir Preußen den
Zuwachs, der ihm durch den Beschluß der Herren in Natzeburg werden zu sollen
scheint, und niemand wird zweifeln, daß wir ihm mehr, daß NUr ihm nament¬
lich einen Zuwachs besserer, will sagen, solcher Staatsbürger gönnen würden,
die ihm ihre Sympathien, nicht blos ihre Interessen entgegentrügen. Aber mit
dieser Logik, diesem Messen mit verschiedenem Maß. dieser Politik, die hier
einen zweifelhaften Volkswillcn bei seinein ersten Austreten willkommen heißt,
dort einen klar und deutlich zehnfach wiederholten als Escamotage verhöhnt und
verwirft, wird man schwerlich in Deutschtand viele Gemüther gewinnen.

Auch in Schleswig-Holstein wird, so viel uns bekannt, niemand den An¬
schluß Lauenburgs an die norddeutsche Großmacht beklagen. Die Nachbarn waren
niemals Freunde, sie halten in ihrer Natur und ihren Bestrebungen zu wenig
mit einander gemein. Das lauenburgische Anhängsel mit seiner besonderen Ver¬
fassung mit sich durchs Leben zu schleppen, kann weder für das Volk noch für
die Regierung Schleswig-Holsteins ein Gegenstand lebhaften Begehrens sein.
Der Gewinn Lauenburgs serner würde Preußen immerhin für einen Theil der
Kriegskosten entschädigen, und so verlöre man in Schleswig-Holstein mit der
Trennung von Lauenburg eine doppelte Last, ein Verlust, der uhn die Ein¬
buße an Quadratmeilen und Seelenzahl um so mehr trösten könnte, als er


ciösen nicht mit gewissen andern Kundgebungen derselben vergleichen. Mit an¬
dern Worten: abgesehen von der an dem Späteren zu prüfenden Frage, ob die
Ritter- und Landschaft Lauenburgs als wirkliche Repräsentation der Wünsche
der Bevölkerung im Herzogthum gelten kann, wie kommt es, daß man hier
bereitwillig die Stimme des Volkes als berechtigten Factor anerkennt und in
Schleswig-Holstein nicht? In Holstein haben die Mitglieder der Ständeversamm-
lung mit noch größerer Majorität als jetzt in Lauenburg erklärt, was das Land
für Recht hält und wie es seine Zukunft gestaltet wissen will, und wenn jene
nicht durch die Negierung, also nicht auf veifassungsmäßigem Wege zusammen-
berufen waren, so ist mit diesen genau dasselbe der Fall (vgl. §. Is der lauen-
burgischen Verfassung von 1853). In Schleswig und Holstein haben ferner
zwei große unerhört stark besuchte Volksversammlungen, haben Vereine und
Corporationen, Notabeln, Städtetage, Bauerntage, Universität und Geistlichkeit
feierlich ausgesprochen, was das Volk fordert; in Lauenburg nichts dergleichen,
sondern achtzehn Personen traten als Träger des Volkswillens und der öffent¬
lichen Meinung auf, und siehe da, sie sollten als solche gelten, während man
sich stellt, als höre man in dem lauten und beinahe cinmüthigen Rufe der
Schleswig-Holsteiner nichts als das Geschrei der augustenburgischcn Partei. Das
reine, wer kann, mit Vernunft und Billigkeit. Oder sollten etwa blos die
Wünsche der Ritterschaft, die in dem lauenburger Landtag unverhältnißmäßig
viel Stimmen und Einfluß hat, für beachtenswerth angesehen werden, soll der
Mensch erst beim Baron anfange»? Von Herzen gönnen wir Preußen den
Zuwachs, der ihm durch den Beschluß der Herren in Natzeburg werden zu sollen
scheint, und niemand wird zweifeln, daß wir ihm mehr, daß NUr ihm nament¬
lich einen Zuwachs besserer, will sagen, solcher Staatsbürger gönnen würden,
die ihm ihre Sympathien, nicht blos ihre Interessen entgegentrügen. Aber mit
dieser Logik, diesem Messen mit verschiedenem Maß. dieser Politik, die hier
einen zweifelhaften Volkswillcn bei seinein ersten Austreten willkommen heißt,
dort einen klar und deutlich zehnfach wiederholten als Escamotage verhöhnt und
verwirft, wird man schwerlich in Deutschtand viele Gemüther gewinnen.

Auch in Schleswig-Holstein wird, so viel uns bekannt, niemand den An¬
schluß Lauenburgs an die norddeutsche Großmacht beklagen. Die Nachbarn waren
niemals Freunde, sie halten in ihrer Natur und ihren Bestrebungen zu wenig
mit einander gemein. Das lauenburgische Anhängsel mit seiner besonderen Ver¬
fassung mit sich durchs Leben zu schleppen, kann weder für das Volk noch für
die Regierung Schleswig-Holsteins ein Gegenstand lebhaften Begehrens sein.
Der Gewinn Lauenburgs serner würde Preußen immerhin für einen Theil der
Kriegskosten entschädigen, und so verlöre man in Schleswig-Holstein mit der
Trennung von Lauenburg eine doppelte Last, ein Verlust, der uhn die Ein¬
buße an Quadratmeilen und Seelenzahl um so mehr trösten könnte, als er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/234>, abgerufen am 01.10.2024.