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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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andere verlangt ein Paar Groschen mehr, und siehe da, man geht geschieden
von dannen. Einmal geschah es, daß alles aufs Beste geordnet war und der
Ehecontract dennoch nicht zum Abschluß kam, weil keine Partei sich dazu her¬
geben wollte, die kleine Tageszeche beim Brauer zu berichtigen. Die Aussteuer
besteht im Wendlande zunächst in Geld, dann in dem, was man hier "voll
Landesrecht" nennt, als vier Sack Roggen. einem Pferde, einer Kuh und dem
sogenannten "blanken Wagen", ferner aus einem Bett, einem Kleiderschrank,
einem Koffer, sechs Stühlen, einem Spiegel, oft auch aus Sopha und Sopha-
tisch. Die große Mehrzahl der Trauungen findet um Martini statt. Die Hoch-
zeitsfeier, "Kost", erfordert gewaltige Vorbereitungen. Das Haus und seine
Stuben werden neu getüncht, Massen von Speisen und Getränken angeschafft.
Eine irgend für anständig gelten wollende Wirtschaft schlachtet dazu zwei Och¬
sen, zwei Schweine, mehre Kälber und Schafe, sowie Dutzende von Hühnern
und Gänsen. Man verdankt vier bis acht Malter Weizen und zwei Malter
Roggen zu Kuchen, Kubdeln, Nüssen und Broden. Man kauft ganze Fässer
voll Kaffee. Zucker, Rosinen und Tabak. Kurz man rüstet sich, als gälte es
ein Bataillon Soldaten für eine Woche mit Proviant zu versehen. Für den
Pfarrer und andere Ehrengäste wird eine Quantität süßen Weines, meist Ma¬
laga oder Muskat, besogt. Den Koch macht der Hausschlachter, den Schenken
der Schneider des Bräutigams, sieben bis zehn Mann Musikanten werden be¬
stellt, um beim Feste die Lieblingswcisen der Wenden aufzuspielen.

Die Einladung, welche nicht selten an dreihundert Personen zusammen¬
führt, wird durch Überreichung eines Kubbels (Weißbrods) besiegelt; wer einen
solchen nicht erhält, sieht sie als nicht erfolgt an.

Endlich ist alles bereit und der große Tag gekommen. Früh vier Uhr
wird im Hause des Bräutigams zum Kaffee geblasen. Dann macht man den
blau angestrichenen "Schappcnwagen" zurechi, um die Braut zu holen. Es
werden sechs Rappen angeschirrt. Der Bräutigam sitzt auf dem hintersten
Sattelpferde, ein andrer Führer besteigt das vorderste. Beiden hängen seidene
Tücher von den Schultern über den Rücken. Die Stirnen der Pferde, die
Zäume, die Peitschen sind mit Bändern geschmückt. Bor dem Hause der Braut
angelangt laden sie den Hausrath derselben in der vom Herkommen festgestellten
Ordnung auf. Der Koffer kommt auf die Vorderachse, quer darüber der Schrank
und zwar so zu stehen, daß der daran unter Glas in Goldschrift angebrachte
Name der Braut von jedermann gesehen wird. Auf dem Koffer steht ferner
das Spinnrad mit feinstem Flachs besteckt und mit flatternden Bändern auf¬
geputzt. Die Braut in seidenem Staat, die goldene Mütze auf dem wohl fri-
sirten nach hinten gekämmten Haar, sitzt vor dem Schranke, hinter sich die
Kranzjungfcrn. Vor und neben dem Wagen jagt zu Pferde, jauchzend und
Flaschen schwingend, ihre Ehrengarde hin, die aus den Söhnen und Knechten
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andere verlangt ein Paar Groschen mehr, und siehe da, man geht geschieden
von dannen. Einmal geschah es, daß alles aufs Beste geordnet war und der
Ehecontract dennoch nicht zum Abschluß kam, weil keine Partei sich dazu her¬
geben wollte, die kleine Tageszeche beim Brauer zu berichtigen. Die Aussteuer
besteht im Wendlande zunächst in Geld, dann in dem, was man hier „voll
Landesrecht" nennt, als vier Sack Roggen. einem Pferde, einer Kuh und dem
sogenannten „blanken Wagen", ferner aus einem Bett, einem Kleiderschrank,
einem Koffer, sechs Stühlen, einem Spiegel, oft auch aus Sopha und Sopha-
tisch. Die große Mehrzahl der Trauungen findet um Martini statt. Die Hoch-
zeitsfeier, „Kost", erfordert gewaltige Vorbereitungen. Das Haus und seine
Stuben werden neu getüncht, Massen von Speisen und Getränken angeschafft.
Eine irgend für anständig gelten wollende Wirtschaft schlachtet dazu zwei Och¬
sen, zwei Schweine, mehre Kälber und Schafe, sowie Dutzende von Hühnern
und Gänsen. Man verdankt vier bis acht Malter Weizen und zwei Malter
Roggen zu Kuchen, Kubdeln, Nüssen und Broden. Man kauft ganze Fässer
voll Kaffee. Zucker, Rosinen und Tabak. Kurz man rüstet sich, als gälte es
ein Bataillon Soldaten für eine Woche mit Proviant zu versehen. Für den
Pfarrer und andere Ehrengäste wird eine Quantität süßen Weines, meist Ma¬
laga oder Muskat, besogt. Den Koch macht der Hausschlachter, den Schenken
der Schneider des Bräutigams, sieben bis zehn Mann Musikanten werden be¬
stellt, um beim Feste die Lieblingswcisen der Wenden aufzuspielen.

Die Einladung, welche nicht selten an dreihundert Personen zusammen¬
führt, wird durch Überreichung eines Kubbels (Weißbrods) besiegelt; wer einen
solchen nicht erhält, sieht sie als nicht erfolgt an.

Endlich ist alles bereit und der große Tag gekommen. Früh vier Uhr
wird im Hause des Bräutigams zum Kaffee geblasen. Dann macht man den
blau angestrichenen „Schappcnwagen" zurechi, um die Braut zu holen. Es
werden sechs Rappen angeschirrt. Der Bräutigam sitzt auf dem hintersten
Sattelpferde, ein andrer Führer besteigt das vorderste. Beiden hängen seidene
Tücher von den Schultern über den Rücken. Die Stirnen der Pferde, die
Zäume, die Peitschen sind mit Bändern geschmückt. Bor dem Hause der Braut
angelangt laden sie den Hausrath derselben in der vom Herkommen festgestellten
Ordnung auf. Der Koffer kommt auf die Vorderachse, quer darüber der Schrank
und zwar so zu stehen, daß der daran unter Glas in Goldschrift angebrachte
Name der Braut von jedermann gesehen wird. Auf dem Koffer steht ferner
das Spinnrad mit feinstem Flachs besteckt und mit flatternden Bändern auf¬
geputzt. Die Braut in seidenem Staat, die goldene Mütze auf dem wohl fri-
sirten nach hinten gekämmten Haar, sitzt vor dem Schranke, hinter sich die
Kranzjungfcrn. Vor und neben dem Wagen jagt zu Pferde, jauchzend und
Flaschen schwingend, ihre Ehrengarde hin, die aus den Söhnen und Knechten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/215>, abgerufen am 01.10.2024.