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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Die Ehen der Wenden werden fast nie aus Liebe geschlossen, man heira¬
tet eine Frau, wie man ein Stück Ackerland kauft. Die Eltern besorgen die
Sache und die Kinder haben einfach Ja zu sagen. Vermittler übernehmen die
Aufkündung, Empfehlung und Ueberredung. Dieselben sind nur selten Män¬
ner. Gewöhnlich übernimmt eine alte zungenfertige Frau, die aus dem Zu¬
sammenbringen von Paaren ein Geschäft macht, "de Friwerbersche" die Besor¬
gung einer Braut oder eines Bräutigams. Ihr Lohn ist ein sehr mäßiger: etwa
ein Thaler oder ein Hemd sür den einzelnen Fall, wozu bei der Hochzeit ein
Trinkgeld von den Gästen kommt, da die Betreffende dabei aufwarten hilft. Die¬
selbe beschränkt sich bei ihren Expeditionen nur auf das Wendland. Ist ein
vorläufiges Arrangement geglückt, so treten die Betheiligten in directe Bezie¬
hung zu einander, und "de Stadt ward besehen", d. h. die Eltern beschauen
den Hof, in welchen die Tochter oder der Sohn heirathen soll. Gefällt ihnen
das Gewese, so einigt man sich über das Heirathsgut. und dann erst bekommen
die jungen Leute Gelegenheit, sich zu sehen und näher kennen zu lernen. In
anderen Verhältnissen giebt diese ein Ball oder Aehnliches, im Wendlande der
Markt. Man sieht auf den Jahrmärkten der Städtchen und Flecken desselben
eine Menge herausgeputzter junger Mädchen herumwandern, die größtentheils
die Absicht oder den Auftrag haben, sich "bellt'en" zu lassen, weshalb diese
Märkte den Namen "Kikelmärkte" führen. Ein Hauptschaumarkt dieser Art
war früher der zu Satcmin, jetzt ist der Ostermartt in Lüchow mehr in Aus¬
nahme gekommen.

Nachdem auch dieses Stadium des Verehlichungsprocesses dem Herkommen
gemäß verlaufen ist, schreitet man zur Verlobung, "Löfst", die mit einem Schmause
begangen wird, an welchem oft fünfzig Personen theilnehmen. Dabei wird in
der Regel ein Theil der Heirathsgutes eingezahlt und zwar nimmt man dies am
liebsten in harten Zwcithalcrstücken. Auch erhalten die Bewohner des betreffen¬
den Hauses bis auf Knecht und Magd herunter Geschenke. Endlich wird bei
dieser Gelegenheit der Tag festgesetzt, an welchem beide Parteien zur Stadt
fahren wollen, um die beiderseitigen Geschenke für die Trauung einzulaufen.
Die Braut verehrt dann gewöhnlich dem Bräutigam einen Ring, eine silberne
Uhrkette und eine mit Silber beschlagene Pfeife. Letzterer dagegen tauft ihr
außer dem Ringe ein Gesangbuch mit Goldschnitt, eine Halskette und zuweilen
das weiße Zeug, in weichem verheirathete Frauen zum Abendmahl zu gehen
Pflegen.

Hierauf schreitet man zur Beschaffung der Aussteller. Bevor aber die Hoch¬
zeit stattfindet, ist noch ein wichtiger Act vorzunehmen: die Eheverschreibung
beim Amt oder Notar, und dabei kommt es nicht selten, nachdem alles bündig
besprochen und das Aufgebot schon bestellt ist, noch dahin, daß die Verbindung
zurückgeht. Die eine Partei will dies oder das nicht versprochen haben, die


Die Ehen der Wenden werden fast nie aus Liebe geschlossen, man heira¬
tet eine Frau, wie man ein Stück Ackerland kauft. Die Eltern besorgen die
Sache und die Kinder haben einfach Ja zu sagen. Vermittler übernehmen die
Aufkündung, Empfehlung und Ueberredung. Dieselben sind nur selten Män¬
ner. Gewöhnlich übernimmt eine alte zungenfertige Frau, die aus dem Zu¬
sammenbringen von Paaren ein Geschäft macht, „de Friwerbersche" die Besor¬
gung einer Braut oder eines Bräutigams. Ihr Lohn ist ein sehr mäßiger: etwa
ein Thaler oder ein Hemd sür den einzelnen Fall, wozu bei der Hochzeit ein
Trinkgeld von den Gästen kommt, da die Betreffende dabei aufwarten hilft. Die¬
selbe beschränkt sich bei ihren Expeditionen nur auf das Wendland. Ist ein
vorläufiges Arrangement geglückt, so treten die Betheiligten in directe Bezie¬
hung zu einander, und „de Stadt ward besehen", d. h. die Eltern beschauen
den Hof, in welchen die Tochter oder der Sohn heirathen soll. Gefällt ihnen
das Gewese, so einigt man sich über das Heirathsgut. und dann erst bekommen
die jungen Leute Gelegenheit, sich zu sehen und näher kennen zu lernen. In
anderen Verhältnissen giebt diese ein Ball oder Aehnliches, im Wendlande der
Markt. Man sieht auf den Jahrmärkten der Städtchen und Flecken desselben
eine Menge herausgeputzter junger Mädchen herumwandern, die größtentheils
die Absicht oder den Auftrag haben, sich „bellt'en" zu lassen, weshalb diese
Märkte den Namen „Kikelmärkte" führen. Ein Hauptschaumarkt dieser Art
war früher der zu Satcmin, jetzt ist der Ostermartt in Lüchow mehr in Aus¬
nahme gekommen.

Nachdem auch dieses Stadium des Verehlichungsprocesses dem Herkommen
gemäß verlaufen ist, schreitet man zur Verlobung, „Löfst", die mit einem Schmause
begangen wird, an welchem oft fünfzig Personen theilnehmen. Dabei wird in
der Regel ein Theil der Heirathsgutes eingezahlt und zwar nimmt man dies am
liebsten in harten Zwcithalcrstücken. Auch erhalten die Bewohner des betreffen¬
den Hauses bis auf Knecht und Magd herunter Geschenke. Endlich wird bei
dieser Gelegenheit der Tag festgesetzt, an welchem beide Parteien zur Stadt
fahren wollen, um die beiderseitigen Geschenke für die Trauung einzulaufen.
Die Braut verehrt dann gewöhnlich dem Bräutigam einen Ring, eine silberne
Uhrkette und eine mit Silber beschlagene Pfeife. Letzterer dagegen tauft ihr
außer dem Ringe ein Gesangbuch mit Goldschnitt, eine Halskette und zuweilen
das weiße Zeug, in weichem verheirathete Frauen zum Abendmahl zu gehen
Pflegen.

Hierauf schreitet man zur Beschaffung der Aussteller. Bevor aber die Hoch¬
zeit stattfindet, ist noch ein wichtiger Act vorzunehmen: die Eheverschreibung
beim Amt oder Notar, und dabei kommt es nicht selten, nachdem alles bündig
besprochen und das Aufgebot schon bestellt ist, noch dahin, daß die Verbindung
zurückgeht. Die eine Partei will dies oder das nicht versprochen haben, die


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[0214] Die Ehen der Wenden werden fast nie aus Liebe geschlossen, man heira¬ tet eine Frau, wie man ein Stück Ackerland kauft. Die Eltern besorgen die Sache und die Kinder haben einfach Ja zu sagen. Vermittler übernehmen die Aufkündung, Empfehlung und Ueberredung. Dieselben sind nur selten Män¬ ner. Gewöhnlich übernimmt eine alte zungenfertige Frau, die aus dem Zu¬ sammenbringen von Paaren ein Geschäft macht, „de Friwerbersche" die Besor¬ gung einer Braut oder eines Bräutigams. Ihr Lohn ist ein sehr mäßiger: etwa ein Thaler oder ein Hemd sür den einzelnen Fall, wozu bei der Hochzeit ein Trinkgeld von den Gästen kommt, da die Betreffende dabei aufwarten hilft. Die¬ selbe beschränkt sich bei ihren Expeditionen nur auf das Wendland. Ist ein vorläufiges Arrangement geglückt, so treten die Betheiligten in directe Bezie¬ hung zu einander, und „de Stadt ward besehen", d. h. die Eltern beschauen den Hof, in welchen die Tochter oder der Sohn heirathen soll. Gefällt ihnen das Gewese, so einigt man sich über das Heirathsgut. und dann erst bekommen die jungen Leute Gelegenheit, sich zu sehen und näher kennen zu lernen. In anderen Verhältnissen giebt diese ein Ball oder Aehnliches, im Wendlande der Markt. Man sieht auf den Jahrmärkten der Städtchen und Flecken desselben eine Menge herausgeputzter junger Mädchen herumwandern, die größtentheils die Absicht oder den Auftrag haben, sich „bellt'en" zu lassen, weshalb diese Märkte den Namen „Kikelmärkte" führen. Ein Hauptschaumarkt dieser Art war früher der zu Satcmin, jetzt ist der Ostermartt in Lüchow mehr in Aus¬ nahme gekommen. Nachdem auch dieses Stadium des Verehlichungsprocesses dem Herkommen gemäß verlaufen ist, schreitet man zur Verlobung, „Löfst", die mit einem Schmause begangen wird, an welchem oft fünfzig Personen theilnehmen. Dabei wird in der Regel ein Theil der Heirathsgutes eingezahlt und zwar nimmt man dies am liebsten in harten Zwcithalcrstücken. Auch erhalten die Bewohner des betreffen¬ den Hauses bis auf Knecht und Magd herunter Geschenke. Endlich wird bei dieser Gelegenheit der Tag festgesetzt, an welchem beide Parteien zur Stadt fahren wollen, um die beiderseitigen Geschenke für die Trauung einzulaufen. Die Braut verehrt dann gewöhnlich dem Bräutigam einen Ring, eine silberne Uhrkette und eine mit Silber beschlagene Pfeife. Letzterer dagegen tauft ihr außer dem Ringe ein Gesangbuch mit Goldschnitt, eine Halskette und zuweilen das weiße Zeug, in weichem verheirathete Frauen zum Abendmahl zu gehen Pflegen. Hierauf schreitet man zur Beschaffung der Aussteller. Bevor aber die Hoch¬ zeit stattfindet, ist noch ein wichtiger Act vorzunehmen: die Eheverschreibung beim Amt oder Notar, und dabei kommt es nicht selten, nachdem alles bündig besprochen und das Aufgebot schon bestellt ist, noch dahin, daß die Verbindung zurückgeht. Die eine Partei will dies oder das nicht versprochen haben, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/214>, abgerufen am 03.07.2024.