Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schneller aufeinander folgen läßt, so zeigt er sich immer mehr zu Vergleichen
geneigt.

Man will bemerkt haben, daß der Wende von der Wichtigkeit und Heilig¬
keit eines Eides geringer denkt als andere Landleute. "Der Schwur," sagt
unsre Quelle, "wird ihm zur Gewohnheit, und sein erstes Wort, wenn er vor
den Schranken des Gerichts erscheint, ist fast immer: "Err Hassesser, dick kann
dat beschwären." Zahlreiche Meineide wurden daher seit alter Zeit hier zur
Untersuchung gezogen, doch hat sichs in den letzten fünfzehn Jahren auch in
dieser Beziehung gebessert.

Sehr häusig kamen früher im Wendlande Brandstiftungen vor. Nirgends
im weiten Umkreise fanden auf gleicher räumlicher Ausdehnung su viele Feuers¬
brünste statt als hier, wo es bisweilen geschah, daß die Spritzen von Lüchow
von einem Schadenfeuer zurückkehrend kaum in das eine Thor herein waren,
als sie schon zu gleicher Hilfeleistung aus dem andern hinausgesandt werden
mußten. Jetzt ereignet sich ein derartiges Unglück kaum häufiger als anderwärts.

Das gewaltige Trinken von ehedem hat ebenfalls sehr abgenommen. Die
unmäßigen Gelage in den Dorfkrügen. wo das Zechen bei Gemeindeberathun¬
gen vom frühen Morgen bis in die späte Nacht währte, sind außer Gebrauch
gekommen, und bis auf einige übelberüchtigte Dörfer ist das Treiben in den
Schenken in der Regel ungefähr so wie anderswo auf dem Lande. Allerdings
wird bei Festlichkeiten und sonstiger außergewöhnlicher Gelegenheit noch stark
allgemein und ganze Tage hindurch ohne Unterbrechung getrunken und es ge¬
schieht wohl, daß dann ein kleines Dorf in kurzer Zeit ein ganzes Fuder Bier
vertilgt, aber das ist eben Landessitte, und das Maß, welches der Wende ver¬
tragen kann, ohne einen allzuschweren Haarbeutel zu bekommen, ist eben ein
ziemlich beträchtliches; Excesse giebt es daher, obwohl das Volk durchschnittlich
zum Jähzorn geneigt ist, verhältnißmäßig selten.

So knickerig der Wende im Allgemeinen ist, und so gern er dem Kaufmann
oder Handwerker seinen Pfennig abdingt, so gastfrei ist er andrerseits. Nicht
blos, daß er bei Hochzeiten, Kindtaufen und Bauerbieren seine Verwandten und
Freunde reichlich bewirthet, auch der zufällig bei ihm einkehrende bekannte Städ¬
ter findet ihn bereit, aufzutragen was Küche und Keller bieten. Ist es nicht
ein Frühstück oder Mittagsbrod, so muß es wenigstens eine Tasse Kaffee sein,
und die Wirthin pflegt es sehr übel zu nehmen, wenn das Dargebotene abge¬
lehnt wird.

Wieder ein übler Zug im Wesen des hannoverschen Wenden, den er bei¬
läufig mit dem lausitzer Stammgenossen gemein hat, ist sein Hang zu Ausschwei¬
fungen mit dem andern Geschlecht. Ferner ist ein falscher Ehrgeiz und eine
starke Sucht zu prahlen an ihm zu tadeln. Wie man grelle und hervorstechende
Farben liebt, so möchte man auch durch Reichthum glänzen. So ärmlich es


schneller aufeinander folgen läßt, so zeigt er sich immer mehr zu Vergleichen
geneigt.

Man will bemerkt haben, daß der Wende von der Wichtigkeit und Heilig¬
keit eines Eides geringer denkt als andere Landleute. „Der Schwur," sagt
unsre Quelle, „wird ihm zur Gewohnheit, und sein erstes Wort, wenn er vor
den Schranken des Gerichts erscheint, ist fast immer: „Err Hassesser, dick kann
dat beschwären." Zahlreiche Meineide wurden daher seit alter Zeit hier zur
Untersuchung gezogen, doch hat sichs in den letzten fünfzehn Jahren auch in
dieser Beziehung gebessert.

Sehr häusig kamen früher im Wendlande Brandstiftungen vor. Nirgends
im weiten Umkreise fanden auf gleicher räumlicher Ausdehnung su viele Feuers¬
brünste statt als hier, wo es bisweilen geschah, daß die Spritzen von Lüchow
von einem Schadenfeuer zurückkehrend kaum in das eine Thor herein waren,
als sie schon zu gleicher Hilfeleistung aus dem andern hinausgesandt werden
mußten. Jetzt ereignet sich ein derartiges Unglück kaum häufiger als anderwärts.

Das gewaltige Trinken von ehedem hat ebenfalls sehr abgenommen. Die
unmäßigen Gelage in den Dorfkrügen. wo das Zechen bei Gemeindeberathun¬
gen vom frühen Morgen bis in die späte Nacht währte, sind außer Gebrauch
gekommen, und bis auf einige übelberüchtigte Dörfer ist das Treiben in den
Schenken in der Regel ungefähr so wie anderswo auf dem Lande. Allerdings
wird bei Festlichkeiten und sonstiger außergewöhnlicher Gelegenheit noch stark
allgemein und ganze Tage hindurch ohne Unterbrechung getrunken und es ge¬
schieht wohl, daß dann ein kleines Dorf in kurzer Zeit ein ganzes Fuder Bier
vertilgt, aber das ist eben Landessitte, und das Maß, welches der Wende ver¬
tragen kann, ohne einen allzuschweren Haarbeutel zu bekommen, ist eben ein
ziemlich beträchtliches; Excesse giebt es daher, obwohl das Volk durchschnittlich
zum Jähzorn geneigt ist, verhältnißmäßig selten.

So knickerig der Wende im Allgemeinen ist, und so gern er dem Kaufmann
oder Handwerker seinen Pfennig abdingt, so gastfrei ist er andrerseits. Nicht
blos, daß er bei Hochzeiten, Kindtaufen und Bauerbieren seine Verwandten und
Freunde reichlich bewirthet, auch der zufällig bei ihm einkehrende bekannte Städ¬
ter findet ihn bereit, aufzutragen was Küche und Keller bieten. Ist es nicht
ein Frühstück oder Mittagsbrod, so muß es wenigstens eine Tasse Kaffee sein,
und die Wirthin pflegt es sehr übel zu nehmen, wenn das Dargebotene abge¬
lehnt wird.

Wieder ein übler Zug im Wesen des hannoverschen Wenden, den er bei¬
läufig mit dem lausitzer Stammgenossen gemein hat, ist sein Hang zu Ausschwei¬
fungen mit dem andern Geschlecht. Ferner ist ein falscher Ehrgeiz und eine
starke Sucht zu prahlen an ihm zu tadeln. Wie man grelle und hervorstechende
Farben liebt, so möchte man auch durch Reichthum glänzen. So ärmlich es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189836"/>
          <p xml:id="ID_792" prev="#ID_791"> schneller aufeinander folgen läßt, so zeigt er sich immer mehr zu Vergleichen<lb/>
geneigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_793"> Man will bemerkt haben, daß der Wende von der Wichtigkeit und Heilig¬<lb/>
keit eines Eides geringer denkt als andere Landleute. &#x201E;Der Schwur," sagt<lb/>
unsre Quelle, &#x201E;wird ihm zur Gewohnheit, und sein erstes Wort, wenn er vor<lb/>
den Schranken des Gerichts erscheint, ist fast immer: &#x201E;Err Hassesser, dick kann<lb/>
dat beschwären." Zahlreiche Meineide wurden daher seit alter Zeit hier zur<lb/>
Untersuchung gezogen, doch hat sichs in den letzten fünfzehn Jahren auch in<lb/>
dieser Beziehung gebessert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_794"> Sehr häusig kamen früher im Wendlande Brandstiftungen vor. Nirgends<lb/>
im weiten Umkreise fanden auf gleicher räumlicher Ausdehnung su viele Feuers¬<lb/>
brünste statt als hier, wo es bisweilen geschah, daß die Spritzen von Lüchow<lb/>
von einem Schadenfeuer zurückkehrend kaum in das eine Thor herein waren,<lb/>
als sie schon zu gleicher Hilfeleistung aus dem andern hinausgesandt werden<lb/>
mußten. Jetzt ereignet sich ein derartiges Unglück kaum häufiger als anderwärts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_795"> Das gewaltige Trinken von ehedem hat ebenfalls sehr abgenommen. Die<lb/>
unmäßigen Gelage in den Dorfkrügen. wo das Zechen bei Gemeindeberathun¬<lb/>
gen vom frühen Morgen bis in die späte Nacht währte, sind außer Gebrauch<lb/>
gekommen, und bis auf einige übelberüchtigte Dörfer ist das Treiben in den<lb/>
Schenken in der Regel ungefähr so wie anderswo auf dem Lande. Allerdings<lb/>
wird bei Festlichkeiten und sonstiger außergewöhnlicher Gelegenheit noch stark<lb/>
allgemein und ganze Tage hindurch ohne Unterbrechung getrunken und es ge¬<lb/>
schieht wohl, daß dann ein kleines Dorf in kurzer Zeit ein ganzes Fuder Bier<lb/>
vertilgt, aber das ist eben Landessitte, und das Maß, welches der Wende ver¬<lb/>
tragen kann, ohne einen allzuschweren Haarbeutel zu bekommen, ist eben ein<lb/>
ziemlich beträchtliches; Excesse giebt es daher, obwohl das Volk durchschnittlich<lb/>
zum Jähzorn geneigt ist, verhältnißmäßig selten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_796"> So knickerig der Wende im Allgemeinen ist, und so gern er dem Kaufmann<lb/>
oder Handwerker seinen Pfennig abdingt, so gastfrei ist er andrerseits. Nicht<lb/>
blos, daß er bei Hochzeiten, Kindtaufen und Bauerbieren seine Verwandten und<lb/>
Freunde reichlich bewirthet, auch der zufällig bei ihm einkehrende bekannte Städ¬<lb/>
ter findet ihn bereit, aufzutragen was Küche und Keller bieten. Ist es nicht<lb/>
ein Frühstück oder Mittagsbrod, so muß es wenigstens eine Tasse Kaffee sein,<lb/>
und die Wirthin pflegt es sehr übel zu nehmen, wenn das Dargebotene abge¬<lb/>
lehnt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_797" next="#ID_798"> Wieder ein übler Zug im Wesen des hannoverschen Wenden, den er bei¬<lb/>
läufig mit dem lausitzer Stammgenossen gemein hat, ist sein Hang zu Ausschwei¬<lb/>
fungen mit dem andern Geschlecht. Ferner ist ein falscher Ehrgeiz und eine<lb/>
starke Sucht zu prahlen an ihm zu tadeln. Wie man grelle und hervorstechende<lb/>
Farben liebt, so möchte man auch durch Reichthum glänzen.  So ärmlich es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0212] schneller aufeinander folgen läßt, so zeigt er sich immer mehr zu Vergleichen geneigt. Man will bemerkt haben, daß der Wende von der Wichtigkeit und Heilig¬ keit eines Eides geringer denkt als andere Landleute. „Der Schwur," sagt unsre Quelle, „wird ihm zur Gewohnheit, und sein erstes Wort, wenn er vor den Schranken des Gerichts erscheint, ist fast immer: „Err Hassesser, dick kann dat beschwären." Zahlreiche Meineide wurden daher seit alter Zeit hier zur Untersuchung gezogen, doch hat sichs in den letzten fünfzehn Jahren auch in dieser Beziehung gebessert. Sehr häusig kamen früher im Wendlande Brandstiftungen vor. Nirgends im weiten Umkreise fanden auf gleicher räumlicher Ausdehnung su viele Feuers¬ brünste statt als hier, wo es bisweilen geschah, daß die Spritzen von Lüchow von einem Schadenfeuer zurückkehrend kaum in das eine Thor herein waren, als sie schon zu gleicher Hilfeleistung aus dem andern hinausgesandt werden mußten. Jetzt ereignet sich ein derartiges Unglück kaum häufiger als anderwärts. Das gewaltige Trinken von ehedem hat ebenfalls sehr abgenommen. Die unmäßigen Gelage in den Dorfkrügen. wo das Zechen bei Gemeindeberathun¬ gen vom frühen Morgen bis in die späte Nacht währte, sind außer Gebrauch gekommen, und bis auf einige übelberüchtigte Dörfer ist das Treiben in den Schenken in der Regel ungefähr so wie anderswo auf dem Lande. Allerdings wird bei Festlichkeiten und sonstiger außergewöhnlicher Gelegenheit noch stark allgemein und ganze Tage hindurch ohne Unterbrechung getrunken und es ge¬ schieht wohl, daß dann ein kleines Dorf in kurzer Zeit ein ganzes Fuder Bier vertilgt, aber das ist eben Landessitte, und das Maß, welches der Wende ver¬ tragen kann, ohne einen allzuschweren Haarbeutel zu bekommen, ist eben ein ziemlich beträchtliches; Excesse giebt es daher, obwohl das Volk durchschnittlich zum Jähzorn geneigt ist, verhältnißmäßig selten. So knickerig der Wende im Allgemeinen ist, und so gern er dem Kaufmann oder Handwerker seinen Pfennig abdingt, so gastfrei ist er andrerseits. Nicht blos, daß er bei Hochzeiten, Kindtaufen und Bauerbieren seine Verwandten und Freunde reichlich bewirthet, auch der zufällig bei ihm einkehrende bekannte Städ¬ ter findet ihn bereit, aufzutragen was Küche und Keller bieten. Ist es nicht ein Frühstück oder Mittagsbrod, so muß es wenigstens eine Tasse Kaffee sein, und die Wirthin pflegt es sehr übel zu nehmen, wenn das Dargebotene abge¬ lehnt wird. Wieder ein übler Zug im Wesen des hannoverschen Wenden, den er bei¬ läufig mit dem lausitzer Stammgenossen gemein hat, ist sein Hang zu Ausschwei¬ fungen mit dem andern Geschlecht. Ferner ist ein falscher Ehrgeiz und eine starke Sucht zu prahlen an ihm zu tadeln. Wie man grelle und hervorstechende Farben liebt, so möchte man auch durch Reichthum glänzen. So ärmlich es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/212
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/212>, abgerufen am 01.10.2024.