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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Wider theilt; wenn es auch verletzen mochte, daß, während das Bürgerthum in
allen seinen gesellschaftlichen Nuancen das Sonntagsgesicht der Festfreude zeigte,
die Nicht-Civiliiät mit ordrcgernäßer Alltagsmiene fern stand, so wird man
doch bei dem Unternehmen einer umfassenden Erinnerungssammlung die That¬
sache dieses Zwiespaltes einfach gelten lassen müssen. Wird auch dem einstigen
Darsteller des vollständigen Bilde", wie wir es ermöglicht wünschen, nicht
jeder der überlieferten Züge gleich gelten dürfen, sondern der vaterländische Sinn
und Charakter der Gradmesser ihres Werthes sein müssen, so wäre es doch
thöricht, wollte man die Veranstaltung einer Sammlung historischen Materials
dieser Art dadurch beeinträchtigen, daß man die Denkmale der entgegengesetzten
Seite ausschlösse. Denn einmal liegt es auf der Hand, daß dadurch neben
vielem Unerheblichen und Uncrfreulicben doch sicherlich auch viel Wcrthvollcs
in die Vergessenheit begraben, zum mindesten aber manches Correctiv der ein¬
seitigen Tradition damit verloren gegeben würde, und andern Theils darf man
nicht vergessen, wie objectiv das Volk im Großen und Ganzen, dem doch eine
solche Aufsammlung des Details jedenfalls mit zu Gute kommen müßte, diese
Dinge im Laufe der Zeit anzuschauen sich gewöhnt.

Solche großartige Ereignisse gewinnen im Geiste des Volkes allmälig etwas
Von Naturerscheinungen. Den einzelnen Thaten wird der ursprüngliche natür¬
liche Adel zurückgegeben, ein Vorgang bei welchem dem Feinde menschliche
Gerechtigkeit widerfährt ohne daß doch dem Patrioten der Ruhm genommen
Würde. Nicht blos aus der Ignoranz Einzelner, sondern zum Theil auch aus
diesem Gefühle erklärt sich die Naivetät, mit welcher sich beim vorjährigen
Jubiläum bons. 6als auch solche Veteranen meldeten, die mit biederen Selbst¬
bewußtsein sich durch vergilbte Dienstentlassungsschcine auswiesen, worin ihnen
verbrieft stand, daß sie als Mitglieder napoleonischer Hilfsiruvpen tüchtig auf
die Preußen eingehaun. -- Es sei ferne, diese falsche Objectivität der Auf.
fassung loben oder gar fördern zu wollen; allein dem Forschenden kommt es
zunächst darauf an, möglichst viele Streiflichter in das Dunkel der Einzelnheiten
vergangener Ereignisse zu erhalten und deshalb wird er auch für jeden Bericht
der Gegenseite dankbar sein müssen. Wie lehrreich würde es sein, Aufzeich¬
nungen bayrischer, würtembergischer, badenscher, vor allem aber sächsischer Sol¬
daten aus jener Zeit zu erlangen; wie manchen schätzbaren Beitrag zur Psycho¬
logie des politischen Werdens unsrer Nation würden sie liefern, und wir möchten
bezweifeln, daß daraus nur negativer Gewinn flösse. -- Die W4e5er7ehr der
Gedächtnißtage rechtfertige diese Anregung zu allgemeinen Vorarbeiten für ein
künftiges abschließendes Volksbuch über die Schlacht der Schlachten.

Eine Nachlese zu der literarischen Ernte des vorigen Jahres, wie wir sie
gegenwärtig erhalten, würde also keineswegs von vorn herein als müßig er¬
scheinen dürfen. Von den Nachzüglern indeß bewegt sich keiner auf wesentlich


20*

Wider theilt; wenn es auch verletzen mochte, daß, während das Bürgerthum in
allen seinen gesellschaftlichen Nuancen das Sonntagsgesicht der Festfreude zeigte,
die Nicht-Civiliiät mit ordrcgernäßer Alltagsmiene fern stand, so wird man
doch bei dem Unternehmen einer umfassenden Erinnerungssammlung die That¬
sache dieses Zwiespaltes einfach gelten lassen müssen. Wird auch dem einstigen
Darsteller des vollständigen Bilde«, wie wir es ermöglicht wünschen, nicht
jeder der überlieferten Züge gleich gelten dürfen, sondern der vaterländische Sinn
und Charakter der Gradmesser ihres Werthes sein müssen, so wäre es doch
thöricht, wollte man die Veranstaltung einer Sammlung historischen Materials
dieser Art dadurch beeinträchtigen, daß man die Denkmale der entgegengesetzten
Seite ausschlösse. Denn einmal liegt es auf der Hand, daß dadurch neben
vielem Unerheblichen und Uncrfreulicben doch sicherlich auch viel Wcrthvollcs
in die Vergessenheit begraben, zum mindesten aber manches Correctiv der ein¬
seitigen Tradition damit verloren gegeben würde, und andern Theils darf man
nicht vergessen, wie objectiv das Volk im Großen und Ganzen, dem doch eine
solche Aufsammlung des Details jedenfalls mit zu Gute kommen müßte, diese
Dinge im Laufe der Zeit anzuschauen sich gewöhnt.

Solche großartige Ereignisse gewinnen im Geiste des Volkes allmälig etwas
Von Naturerscheinungen. Den einzelnen Thaten wird der ursprüngliche natür¬
liche Adel zurückgegeben, ein Vorgang bei welchem dem Feinde menschliche
Gerechtigkeit widerfährt ohne daß doch dem Patrioten der Ruhm genommen
Würde. Nicht blos aus der Ignoranz Einzelner, sondern zum Theil auch aus
diesem Gefühle erklärt sich die Naivetät, mit welcher sich beim vorjährigen
Jubiläum bons. 6als auch solche Veteranen meldeten, die mit biederen Selbst¬
bewußtsein sich durch vergilbte Dienstentlassungsschcine auswiesen, worin ihnen
verbrieft stand, daß sie als Mitglieder napoleonischer Hilfsiruvpen tüchtig auf
die Preußen eingehaun. — Es sei ferne, diese falsche Objectivität der Auf.
fassung loben oder gar fördern zu wollen; allein dem Forschenden kommt es
zunächst darauf an, möglichst viele Streiflichter in das Dunkel der Einzelnheiten
vergangener Ereignisse zu erhalten und deshalb wird er auch für jeden Bericht
der Gegenseite dankbar sein müssen. Wie lehrreich würde es sein, Aufzeich¬
nungen bayrischer, würtembergischer, badenscher, vor allem aber sächsischer Sol¬
daten aus jener Zeit zu erlangen; wie manchen schätzbaren Beitrag zur Psycho¬
logie des politischen Werdens unsrer Nation würden sie liefern, und wir möchten
bezweifeln, daß daraus nur negativer Gewinn flösse. — Die W4e5er7ehr der
Gedächtnißtage rechtfertige diese Anregung zu allgemeinen Vorarbeiten für ein
künftiges abschließendes Volksbuch über die Schlacht der Schlachten.

Eine Nachlese zu der literarischen Ernte des vorigen Jahres, wie wir sie
gegenwärtig erhalten, würde also keineswegs von vorn herein als müßig er¬
scheinen dürfen. Von den Nachzüglern indeß bewegt sich keiner auf wesentlich


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[0159] Wider theilt; wenn es auch verletzen mochte, daß, während das Bürgerthum in allen seinen gesellschaftlichen Nuancen das Sonntagsgesicht der Festfreude zeigte, die Nicht-Civiliiät mit ordrcgernäßer Alltagsmiene fern stand, so wird man doch bei dem Unternehmen einer umfassenden Erinnerungssammlung die That¬ sache dieses Zwiespaltes einfach gelten lassen müssen. Wird auch dem einstigen Darsteller des vollständigen Bilde«, wie wir es ermöglicht wünschen, nicht jeder der überlieferten Züge gleich gelten dürfen, sondern der vaterländische Sinn und Charakter der Gradmesser ihres Werthes sein müssen, so wäre es doch thöricht, wollte man die Veranstaltung einer Sammlung historischen Materials dieser Art dadurch beeinträchtigen, daß man die Denkmale der entgegengesetzten Seite ausschlösse. Denn einmal liegt es auf der Hand, daß dadurch neben vielem Unerheblichen und Uncrfreulicben doch sicherlich auch viel Wcrthvollcs in die Vergessenheit begraben, zum mindesten aber manches Correctiv der ein¬ seitigen Tradition damit verloren gegeben würde, und andern Theils darf man nicht vergessen, wie objectiv das Volk im Großen und Ganzen, dem doch eine solche Aufsammlung des Details jedenfalls mit zu Gute kommen müßte, diese Dinge im Laufe der Zeit anzuschauen sich gewöhnt. Solche großartige Ereignisse gewinnen im Geiste des Volkes allmälig etwas Von Naturerscheinungen. Den einzelnen Thaten wird der ursprüngliche natür¬ liche Adel zurückgegeben, ein Vorgang bei welchem dem Feinde menschliche Gerechtigkeit widerfährt ohne daß doch dem Patrioten der Ruhm genommen Würde. Nicht blos aus der Ignoranz Einzelner, sondern zum Theil auch aus diesem Gefühle erklärt sich die Naivetät, mit welcher sich beim vorjährigen Jubiläum bons. 6als auch solche Veteranen meldeten, die mit biederen Selbst¬ bewußtsein sich durch vergilbte Dienstentlassungsschcine auswiesen, worin ihnen verbrieft stand, daß sie als Mitglieder napoleonischer Hilfsiruvpen tüchtig auf die Preußen eingehaun. — Es sei ferne, diese falsche Objectivität der Auf. fassung loben oder gar fördern zu wollen; allein dem Forschenden kommt es zunächst darauf an, möglichst viele Streiflichter in das Dunkel der Einzelnheiten vergangener Ereignisse zu erhalten und deshalb wird er auch für jeden Bericht der Gegenseite dankbar sein müssen. Wie lehrreich würde es sein, Aufzeich¬ nungen bayrischer, würtembergischer, badenscher, vor allem aber sächsischer Sol¬ daten aus jener Zeit zu erlangen; wie manchen schätzbaren Beitrag zur Psycho¬ logie des politischen Werdens unsrer Nation würden sie liefern, und wir möchten bezweifeln, daß daraus nur negativer Gewinn flösse. — Die W4e5er7ehr der Gedächtnißtage rechtfertige diese Anregung zu allgemeinen Vorarbeiten für ein künftiges abschließendes Volksbuch über die Schlacht der Schlachten. Eine Nachlese zu der literarischen Ernte des vorigen Jahres, wie wir sie gegenwärtig erhalten, würde also keineswegs von vorn herein als müßig er¬ scheinen dürfen. Von den Nachzüglern indeß bewegt sich keiner auf wesentlich 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/159>, abgerufen am 03.07.2024.