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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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der Entscheidung einer Jury übertragen, die anfangs aus Mitgliedern der
Nügejury bestehen konnte, sich aber sehr bald zu einem in der Besetzung von
dieser völlig getrenntem Institute ausbildete.

Die neuen Einrichtungen der Reichsgerichte und der reisenden Richter mit
ihren Jurys mußten viel dazu beitragen, die im Allgemeinen verhaßte und un¬
populäre Sheriffsgewalt zu schwächen. In richterlicher Beziehung nehmen die
Sheriffs nur noch die Stelle eines Untergerichtes ein; es bleibt ihnen serner
die Entscheidung über Polizeistraffälle, wozu noch die Mitwirkung bei den Ge¬
schäften der Nügejury kommt. Um diese Geschäfte zu erledigen, hatte der She¬
riff zweimal jährlich die Grafschaft zu bereisen (Zneritts l'urir). Den Gemein¬
den waren diese auf unzählige Einzelheiten sich beziehenden polizeilichen Unter-
suckungen sehr lästig; und es trat daher bei ihnen schon vor Einführung
der Rügejurys vielfach das Bestreben ein, eigene Gerichts- und Polizeibezirke
leourts lest), natürlich nur mit den Befugnissen des Sheriffsturn, nicht mit
denen der reisenden Richter zu bilden. Diese courts lest bilden also Ab¬
zweigungen aus dem Sheriffsturn, in denen der Grundherr, jedoch im Namen
des Königs, die Sheriffsfunctionen übernahm und durch einen Gerichtshalter
aueüben ließ. Nach dem Muster dieser courts lest bildet sich nun auch eine
Städteverfassung aus. Schon früh ist vielen Städten die Abzweigung aus dem
Sheriffsturn durch königliche Charten bewilligt worden. Eine gewisse finanzielle
Selbständigkeit aber gewinnen sie dadurch, daß sie die öffentlichen Steuern und
Gefälle mit Ueberbietung concurrirender normannischer Barone selbst in Pacht
nehmen. Die Verantwortung für Zahlung der Pachtsumme wird von einer
von den Städten dem Könige zur Bestätigung präsentirten Person (Mayor)
übernommen. Aus dem Zusammenwachsen der polizeilichen und finanziellen
Functionen bildete sich dann der Communalverband. dem alle diejenigen ange¬
hören, die an den Geldleistungen (seot) und dem Gerichts- und Polizeidienst
(Ist) Theil nehmen (pg^lux seot ana deavin^ tot).

Was die Ständebildung in der ersten Periode der normannischen Herrschaft
betrifft, so ist in dieser Beziehung als bedeutungsvollste Thatsache anzuführen,
daß der kleine Adel vor der Gefahr bewahrt blieb, sich als festen Stand ab¬
zuschließen.-! Dazu trug zunächst der Umstand bei, daß unter den unmittelbaren
Vasallen die Besitzvertheilung eine sehr ungleiche war, daß also die kleineren
unter ihnen, obwohl der Qualität ihres Besitzes nach den großen Baronen völlig
gleichstehend, doch ihrer socialen Stellung nach den Untervasallen, also den
Elementen, aus welchen sich sonst ein nach Oben und Unten hin abgeschlossener
kleiner Adel zu bilden Pflegt, näher standen. Als einigendes Moment für die
Gesammtheit aller dieser Vasallen trat nun die Entwicklung des Ritterthums
hinzu, welches jedem ihm Angehörigen einen Rang verlieh, der von dem Stande
und der socialen Stellung der durch gemeinsame Waffenehre verbundenen Ge-


der Entscheidung einer Jury übertragen, die anfangs aus Mitgliedern der
Nügejury bestehen konnte, sich aber sehr bald zu einem in der Besetzung von
dieser völlig getrenntem Institute ausbildete.

Die neuen Einrichtungen der Reichsgerichte und der reisenden Richter mit
ihren Jurys mußten viel dazu beitragen, die im Allgemeinen verhaßte und un¬
populäre Sheriffsgewalt zu schwächen. In richterlicher Beziehung nehmen die
Sheriffs nur noch die Stelle eines Untergerichtes ein; es bleibt ihnen serner
die Entscheidung über Polizeistraffälle, wozu noch die Mitwirkung bei den Ge¬
schäften der Nügejury kommt. Um diese Geschäfte zu erledigen, hatte der She¬
riff zweimal jährlich die Grafschaft zu bereisen (Zneritts l'urir). Den Gemein¬
den waren diese auf unzählige Einzelheiten sich beziehenden polizeilichen Unter-
suckungen sehr lästig; und es trat daher bei ihnen schon vor Einführung
der Rügejurys vielfach das Bestreben ein, eigene Gerichts- und Polizeibezirke
leourts lest), natürlich nur mit den Befugnissen des Sheriffsturn, nicht mit
denen der reisenden Richter zu bilden. Diese courts lest bilden also Ab¬
zweigungen aus dem Sheriffsturn, in denen der Grundherr, jedoch im Namen
des Königs, die Sheriffsfunctionen übernahm und durch einen Gerichtshalter
aueüben ließ. Nach dem Muster dieser courts lest bildet sich nun auch eine
Städteverfassung aus. Schon früh ist vielen Städten die Abzweigung aus dem
Sheriffsturn durch königliche Charten bewilligt worden. Eine gewisse finanzielle
Selbständigkeit aber gewinnen sie dadurch, daß sie die öffentlichen Steuern und
Gefälle mit Ueberbietung concurrirender normannischer Barone selbst in Pacht
nehmen. Die Verantwortung für Zahlung der Pachtsumme wird von einer
von den Städten dem Könige zur Bestätigung präsentirten Person (Mayor)
übernommen. Aus dem Zusammenwachsen der polizeilichen und finanziellen
Functionen bildete sich dann der Communalverband. dem alle diejenigen ange¬
hören, die an den Geldleistungen (seot) und dem Gerichts- und Polizeidienst
(Ist) Theil nehmen (pg^lux seot ana deavin^ tot).

Was die Ständebildung in der ersten Periode der normannischen Herrschaft
betrifft, so ist in dieser Beziehung als bedeutungsvollste Thatsache anzuführen,
daß der kleine Adel vor der Gefahr bewahrt blieb, sich als festen Stand ab¬
zuschließen.-! Dazu trug zunächst der Umstand bei, daß unter den unmittelbaren
Vasallen die Besitzvertheilung eine sehr ungleiche war, daß also die kleineren
unter ihnen, obwohl der Qualität ihres Besitzes nach den großen Baronen völlig
gleichstehend, doch ihrer socialen Stellung nach den Untervasallen, also den
Elementen, aus welchen sich sonst ein nach Oben und Unten hin abgeschlossener
kleiner Adel zu bilden Pflegt, näher standen. Als einigendes Moment für die
Gesammtheit aller dieser Vasallen trat nun die Entwicklung des Ritterthums
hinzu, welches jedem ihm Angehörigen einen Rang verlieh, der von dem Stande
und der socialen Stellung der durch gemeinsame Waffenehre verbundenen Ge-


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[0132] der Entscheidung einer Jury übertragen, die anfangs aus Mitgliedern der Nügejury bestehen konnte, sich aber sehr bald zu einem in der Besetzung von dieser völlig getrenntem Institute ausbildete. Die neuen Einrichtungen der Reichsgerichte und der reisenden Richter mit ihren Jurys mußten viel dazu beitragen, die im Allgemeinen verhaßte und un¬ populäre Sheriffsgewalt zu schwächen. In richterlicher Beziehung nehmen die Sheriffs nur noch die Stelle eines Untergerichtes ein; es bleibt ihnen serner die Entscheidung über Polizeistraffälle, wozu noch die Mitwirkung bei den Ge¬ schäften der Nügejury kommt. Um diese Geschäfte zu erledigen, hatte der She¬ riff zweimal jährlich die Grafschaft zu bereisen (Zneritts l'urir). Den Gemein¬ den waren diese auf unzählige Einzelheiten sich beziehenden polizeilichen Unter- suckungen sehr lästig; und es trat daher bei ihnen schon vor Einführung der Rügejurys vielfach das Bestreben ein, eigene Gerichts- und Polizeibezirke leourts lest), natürlich nur mit den Befugnissen des Sheriffsturn, nicht mit denen der reisenden Richter zu bilden. Diese courts lest bilden also Ab¬ zweigungen aus dem Sheriffsturn, in denen der Grundherr, jedoch im Namen des Königs, die Sheriffsfunctionen übernahm und durch einen Gerichtshalter aueüben ließ. Nach dem Muster dieser courts lest bildet sich nun auch eine Städteverfassung aus. Schon früh ist vielen Städten die Abzweigung aus dem Sheriffsturn durch königliche Charten bewilligt worden. Eine gewisse finanzielle Selbständigkeit aber gewinnen sie dadurch, daß sie die öffentlichen Steuern und Gefälle mit Ueberbietung concurrirender normannischer Barone selbst in Pacht nehmen. Die Verantwortung für Zahlung der Pachtsumme wird von einer von den Städten dem Könige zur Bestätigung präsentirten Person (Mayor) übernommen. Aus dem Zusammenwachsen der polizeilichen und finanziellen Functionen bildete sich dann der Communalverband. dem alle diejenigen ange¬ hören, die an den Geldleistungen (seot) und dem Gerichts- und Polizeidienst (Ist) Theil nehmen (pg^lux seot ana deavin^ tot). Was die Ständebildung in der ersten Periode der normannischen Herrschaft betrifft, so ist in dieser Beziehung als bedeutungsvollste Thatsache anzuführen, daß der kleine Adel vor der Gefahr bewahrt blieb, sich als festen Stand ab¬ zuschließen.-! Dazu trug zunächst der Umstand bei, daß unter den unmittelbaren Vasallen die Besitzvertheilung eine sehr ungleiche war, daß also die kleineren unter ihnen, obwohl der Qualität ihres Besitzes nach den großen Baronen völlig gleichstehend, doch ihrer socialen Stellung nach den Untervasallen, also den Elementen, aus welchen sich sonst ein nach Oben und Unten hin abgeschlossener kleiner Adel zu bilden Pflegt, näher standen. Als einigendes Moment für die Gesammtheit aller dieser Vasallen trat nun die Entwicklung des Ritterthums hinzu, welches jedem ihm Angehörigen einen Rang verlieh, der von dem Stande und der socialen Stellung der durch gemeinsame Waffenehre verbundenen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/132>, abgerufen am 01.10.2024.