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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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den: im Gegentheil räumt er dem Staate sehr weitgehende Ansprüche an die
Steuerkräste und die persönliche Thätigkeit der Staatsangehörigen ein. Erst die
Erfüllung dieser Pflichten giebt den Belasteten begründete Ansprüche auf poli¬
tische Rechte d. h. aus Mitwirkung bei Besteuerung und Gesetzgebung, Rechte,
deren Besitz einen gewissen Einfluß auf Negierung und Verwaltung mit sich
führt. Ihren Schutz finden die Rechte des Staates wie die der Einzelnen
theils in der Kraft der Institutionen, die der Volksgeist sich geschaffen und in
denen sich die politische Freiheit verkörpert hat, vor Allem aber, wie es in
England der Fall ist, in dem Schutz, den die Gerichte gegen jeden Uebergriff
von der einen oder anderen Seite gewähren. Ferner ist die Verwaltung selbst
an Rechtsformen zu binden, die über jede willkürliche Verordnung und Ge¬
setzesauslegung erhaben sind. Der Engländer ist nicht ängstlich auf Trennung
von Justiz und Verwaltung bedacht, wohl aber darauf, es der Verwaltung
unmöglich zu machen, sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen. Dies ist in
so hohem Grade gelungen, daß jeder Act der Verwaltung, der die öffentlichen
und Privatrechte eines Einzelnen berührt, gewissermaßen zu einem Act der
förmlichsten Jurisdiction wird.

In dieser Entstehung der politischen Rechte aus strenger Erfüllung der
Pflichten steht Gneist d,le Macht der englischen Freiheit begründet. Die Er¬
füllung der Staatspflichten ist das einigende Band für Gemeinde und Graf¬
schaft; sie ist es auch für die Parlamentsversassung geworden, die ja ganz aus
den Communen und Grafschaftsverbänden hervorgegangen und gleichsam zu¬
sammengewachsen ist. Auf diesem Gange der Entwickelung beruht endlich das
große politische Uebergewicht der begüterten Classen, die Bildung einer poli¬
tischen Aristokratie, die allmälige Umwandlung des Feudalstaates in den
modernen Rechtsstaat.

Die englische Staatsverfassung hat sich mit einer auch durch die heftigsten
inneren Erschütterungen nicht völlig abgebrochenen Kontinuität von den Zeiten
des Eroberers bis auf die Gegenwart entwickelt. Fast vom Augenblick der
normannischen Besitzergreifung an geht ein eigenthümlicher, man möchte sagen
moderner Zug durch das neue Staatswesen. Während auf dem Continente
eine Fülle staatswidriger Elemente in dem Maße emporwucherte, daß sie die
Idee des Staates selbst völlig zu ersticken drohte, sehen wir in England mit
fester Entschlossenheit und klarem Verstände die Grundlinien eines Gemeinwesens
entwerfen, das die wesentlichen Functionen eines geordneten Staates mit Sicher¬
heit erfüllt, und dessen Bild der Lauf der Zeit nicht völlig verwischt hat. Und
doch war die sociale Gliederung, die von den normannischen Königen mit be¬
wußter Kraft dem Höheren Staatszwecke dienstbar gemacht wurde, dieselbe,
deren naturwüchsige Entwickelung auf dem Continente Zustände herbeigeführt
hat, die erst vollständig überwunden weiden mußten, um den Raum für die


den: im Gegentheil räumt er dem Staate sehr weitgehende Ansprüche an die
Steuerkräste und die persönliche Thätigkeit der Staatsangehörigen ein. Erst die
Erfüllung dieser Pflichten giebt den Belasteten begründete Ansprüche auf poli¬
tische Rechte d. h. aus Mitwirkung bei Besteuerung und Gesetzgebung, Rechte,
deren Besitz einen gewissen Einfluß auf Negierung und Verwaltung mit sich
führt. Ihren Schutz finden die Rechte des Staates wie die der Einzelnen
theils in der Kraft der Institutionen, die der Volksgeist sich geschaffen und in
denen sich die politische Freiheit verkörpert hat, vor Allem aber, wie es in
England der Fall ist, in dem Schutz, den die Gerichte gegen jeden Uebergriff
von der einen oder anderen Seite gewähren. Ferner ist die Verwaltung selbst
an Rechtsformen zu binden, die über jede willkürliche Verordnung und Ge¬
setzesauslegung erhaben sind. Der Engländer ist nicht ängstlich auf Trennung
von Justiz und Verwaltung bedacht, wohl aber darauf, es der Verwaltung
unmöglich zu machen, sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen. Dies ist in
so hohem Grade gelungen, daß jeder Act der Verwaltung, der die öffentlichen
und Privatrechte eines Einzelnen berührt, gewissermaßen zu einem Act der
förmlichsten Jurisdiction wird.

In dieser Entstehung der politischen Rechte aus strenger Erfüllung der
Pflichten steht Gneist d,le Macht der englischen Freiheit begründet. Die Er¬
füllung der Staatspflichten ist das einigende Band für Gemeinde und Graf¬
schaft; sie ist es auch für die Parlamentsversassung geworden, die ja ganz aus
den Communen und Grafschaftsverbänden hervorgegangen und gleichsam zu¬
sammengewachsen ist. Auf diesem Gange der Entwickelung beruht endlich das
große politische Uebergewicht der begüterten Classen, die Bildung einer poli¬
tischen Aristokratie, die allmälige Umwandlung des Feudalstaates in den
modernen Rechtsstaat.

Die englische Staatsverfassung hat sich mit einer auch durch die heftigsten
inneren Erschütterungen nicht völlig abgebrochenen Kontinuität von den Zeiten
des Eroberers bis auf die Gegenwart entwickelt. Fast vom Augenblick der
normannischen Besitzergreifung an geht ein eigenthümlicher, man möchte sagen
moderner Zug durch das neue Staatswesen. Während auf dem Continente
eine Fülle staatswidriger Elemente in dem Maße emporwucherte, daß sie die
Idee des Staates selbst völlig zu ersticken drohte, sehen wir in England mit
fester Entschlossenheit und klarem Verstände die Grundlinien eines Gemeinwesens
entwerfen, das die wesentlichen Functionen eines geordneten Staates mit Sicher¬
heit erfüllt, und dessen Bild der Lauf der Zeit nicht völlig verwischt hat. Und
doch war die sociale Gliederung, die von den normannischen Königen mit be¬
wußter Kraft dem Höheren Staatszwecke dienstbar gemacht wurde, dieselbe,
deren naturwüchsige Entwickelung auf dem Continente Zustände herbeigeführt
hat, die erst vollständig überwunden weiden mußten, um den Raum für die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/128>, abgerufen am 03.07.2024.