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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Am Nachmittage des 19. October bezog dasselbe mit Ausnahme der Bri¬
gade Borstell, welche bereits bis an das Ufer der Pleiße vorgerückt war. seine
Bivouaks in der Nähe der Kohlgartcnvvrstadt. An eine Verabreichung von
Lebensmitteln oder anderer Fourage war aber wiederum nicht zu denken, denn die
Dörfer in weiteren Umkreise von Leipzig waren nicht allein völlig ausgeplün¬
dert, sondern auch mehr oder weniger zerstört; der Zustand innerhalb der Stadt
grenzte an Hungers" oth.

Unsere 16. Batterie erhielt ihr Bivouak im Kohlgarten, dicht an der Straße
neben der kleinen Kvhlgartenkirchc angewiesen.

Zunächst dieser Kirche war eine Reihe Gartenhäuser reicher Bürger der
Stadt. Der mehr als leere Magen drängte die Artilleristen, diese Viilas nach
Lebensmitteln zu durchsuchen.

Die Eingangsthüren der Häuser, welche übrigens unverschlossen waren,
fanden wir in großen, sehr correct geschriebenen Aufschriften mit den Namen
des Kaisers Napoleon, mehrer seiner Marschälle und des gescimmten kaiserlichen
Hofstaates geschmückt.

Napoleon hatte vom 17. zum 18. October sein Hauptquartier hier etablirt
gehabt.

So sehr nun aber auch wir, die Besieger des großen Kaisers, an diesen
Aufschriften Genugthuung fanden, die uns auch nebenbei an die Vergänglich¬
keit von Macht und Herrlichkeit erinnerten, so waren doch diese Gefühle in An¬
betracht unserer leeren Magen sehr vorübergehend.

In den völlig menschenleeren Häusern suchten wir daher vom Dachboden
bis zum Keller weiter und stießen in einem der letzteren auf viele große Fässer,
was uns ungemein freudig überraschte. In der Ueberzeugung, hier ein Wein¬
oder doch mindestens Branntweinlager gefunden zu haben, wurde der Inhalt
dieser Fässer auch sogleich erprobt. An- den zusammengezogenen Lippen und
sauren Mienen der übereifriger Vorkoster wurde es aber traurig klar, daß der
Inhalt eitel Essig sei.

Wenn dieser gründlich saure Trank auch für den ersten Augenblick ver¬
schmäht wurde, so hat uns dieser Essig doch die besten Dienste geleistet. Nach¬
dem wir nämlich alles vergeblich durchstöbert, wandte sich der Strom der
Hungernden, dem sich auch von anderen Truppentheilen Genossen zugesellt
hatten, auf die Felder, um hier wo möglich Kartoffeln zu finden. Vergebene
Mühe; statt dessen fanden wir aber kollossal große Sellencwurzeln.

In Ermanglung alles übrigen Eßbaren wurden diese nicht verschmäht,,
sondern massenweise ausgerauft, sodann gekocht, -- glücklicherweise fehlte es
uns noch nicht an Salz, welches, beiläufig gesagt, der Soldat im Felde nie¬
mals darf ausgehen lassen -- und mit dem aufgefundenen Essig amalgamirt
gab das den trefflichsten Salat.


Am Nachmittage des 19. October bezog dasselbe mit Ausnahme der Bri¬
gade Borstell, welche bereits bis an das Ufer der Pleiße vorgerückt war. seine
Bivouaks in der Nähe der Kohlgartcnvvrstadt. An eine Verabreichung von
Lebensmitteln oder anderer Fourage war aber wiederum nicht zu denken, denn die
Dörfer in weiteren Umkreise von Leipzig waren nicht allein völlig ausgeplün¬
dert, sondern auch mehr oder weniger zerstört; der Zustand innerhalb der Stadt
grenzte an Hungers» oth.

Unsere 16. Batterie erhielt ihr Bivouak im Kohlgarten, dicht an der Straße
neben der kleinen Kvhlgartenkirchc angewiesen.

Zunächst dieser Kirche war eine Reihe Gartenhäuser reicher Bürger der
Stadt. Der mehr als leere Magen drängte die Artilleristen, diese Viilas nach
Lebensmitteln zu durchsuchen.

Die Eingangsthüren der Häuser, welche übrigens unverschlossen waren,
fanden wir in großen, sehr correct geschriebenen Aufschriften mit den Namen
des Kaisers Napoleon, mehrer seiner Marschälle und des gescimmten kaiserlichen
Hofstaates geschmückt.

Napoleon hatte vom 17. zum 18. October sein Hauptquartier hier etablirt
gehabt.

So sehr nun aber auch wir, die Besieger des großen Kaisers, an diesen
Aufschriften Genugthuung fanden, die uns auch nebenbei an die Vergänglich¬
keit von Macht und Herrlichkeit erinnerten, so waren doch diese Gefühle in An¬
betracht unserer leeren Magen sehr vorübergehend.

In den völlig menschenleeren Häusern suchten wir daher vom Dachboden
bis zum Keller weiter und stießen in einem der letzteren auf viele große Fässer,
was uns ungemein freudig überraschte. In der Ueberzeugung, hier ein Wein¬
oder doch mindestens Branntweinlager gefunden zu haben, wurde der Inhalt
dieser Fässer auch sogleich erprobt. An- den zusammengezogenen Lippen und
sauren Mienen der übereifriger Vorkoster wurde es aber traurig klar, daß der
Inhalt eitel Essig sei.

Wenn dieser gründlich saure Trank auch für den ersten Augenblick ver¬
schmäht wurde, so hat uns dieser Essig doch die besten Dienste geleistet. Nach¬
dem wir nämlich alles vergeblich durchstöbert, wandte sich der Strom der
Hungernden, dem sich auch von anderen Truppentheilen Genossen zugesellt
hatten, auf die Felder, um hier wo möglich Kartoffeln zu finden. Vergebene
Mühe; statt dessen fanden wir aber kollossal große Sellencwurzeln.

In Ermanglung alles übrigen Eßbaren wurden diese nicht verschmäht,,
sondern massenweise ausgerauft, sodann gekocht, — glücklicherweise fehlte es
uns noch nicht an Salz, welches, beiläufig gesagt, der Soldat im Felde nie¬
mals darf ausgehen lassen — und mit dem aufgefundenen Essig amalgamirt
gab das den trefflichsten Salat.


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[0120] Am Nachmittage des 19. October bezog dasselbe mit Ausnahme der Bri¬ gade Borstell, welche bereits bis an das Ufer der Pleiße vorgerückt war. seine Bivouaks in der Nähe der Kohlgartcnvvrstadt. An eine Verabreichung von Lebensmitteln oder anderer Fourage war aber wiederum nicht zu denken, denn die Dörfer in weiteren Umkreise von Leipzig waren nicht allein völlig ausgeplün¬ dert, sondern auch mehr oder weniger zerstört; der Zustand innerhalb der Stadt grenzte an Hungers» oth. Unsere 16. Batterie erhielt ihr Bivouak im Kohlgarten, dicht an der Straße neben der kleinen Kvhlgartenkirchc angewiesen. Zunächst dieser Kirche war eine Reihe Gartenhäuser reicher Bürger der Stadt. Der mehr als leere Magen drängte die Artilleristen, diese Viilas nach Lebensmitteln zu durchsuchen. Die Eingangsthüren der Häuser, welche übrigens unverschlossen waren, fanden wir in großen, sehr correct geschriebenen Aufschriften mit den Namen des Kaisers Napoleon, mehrer seiner Marschälle und des gescimmten kaiserlichen Hofstaates geschmückt. Napoleon hatte vom 17. zum 18. October sein Hauptquartier hier etablirt gehabt. So sehr nun aber auch wir, die Besieger des großen Kaisers, an diesen Aufschriften Genugthuung fanden, die uns auch nebenbei an die Vergänglich¬ keit von Macht und Herrlichkeit erinnerten, so waren doch diese Gefühle in An¬ betracht unserer leeren Magen sehr vorübergehend. In den völlig menschenleeren Häusern suchten wir daher vom Dachboden bis zum Keller weiter und stießen in einem der letzteren auf viele große Fässer, was uns ungemein freudig überraschte. In der Ueberzeugung, hier ein Wein¬ oder doch mindestens Branntweinlager gefunden zu haben, wurde der Inhalt dieser Fässer auch sogleich erprobt. An- den zusammengezogenen Lippen und sauren Mienen der übereifriger Vorkoster wurde es aber traurig klar, daß der Inhalt eitel Essig sei. Wenn dieser gründlich saure Trank auch für den ersten Augenblick ver¬ schmäht wurde, so hat uns dieser Essig doch die besten Dienste geleistet. Nach¬ dem wir nämlich alles vergeblich durchstöbert, wandte sich der Strom der Hungernden, dem sich auch von anderen Truppentheilen Genossen zugesellt hatten, auf die Felder, um hier wo möglich Kartoffeln zu finden. Vergebene Mühe; statt dessen fanden wir aber kollossal große Sellencwurzeln. In Ermanglung alles übrigen Eßbaren wurden diese nicht verschmäht,, sondern massenweise ausgerauft, sodann gekocht, — glücklicherweise fehlte es uns noch nicht an Salz, welches, beiläufig gesagt, der Soldat im Felde nie¬ mals darf ausgehen lassen — und mit dem aufgefundenen Essig amalgamirt gab das den trefflichsten Salat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/120>, abgerufen am 01.10.2024.