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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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bis auf 800 Schritt gegen die Mauer herangeführt werden und dürfen ihr
Feuer auch nicht eher einstellen bis eine Breschlücke in der Mauer erzielt ist.
Im vorliegenden Fall mußte dies aber sehr leicht werden, denn die Stadtmauer
von Leipzig bestand blos aus starken Bogenpfeilcrn, zwischen welchen eine Aus¬
füllung von nur zwei Mauersteinen Tiefe angebracht war.

Schien nun den beiden zur Vorbereitung des Sturmes verwendeten Bat¬
terien diese Aufgabe in der von ihnen eingenommenen Stellung unausführbar,
so war es sehr leicht, diese zwanzig Geschütze in der kürzesten Zeit bis auf
vierzig zu vermehren, denn in einer Entfernung von etwa 1500 Schritt stan¬
den drei preußische Batterien, darunter zwei zwölfpfündige, völlig kampf¬
bereit, welche in einer Viertelstunde herbeizuschaffen gewesen wären.

Von alledem geschah aber nichts. Man darf sich daher auch nicht wun¬
dern, daß das zu einem so mangelhaft eingeleiteten Sturmangriff verwendete
Bataillon so große Verluste erlitt.

Dies ist nicht das einzige Beispiel einer unrichtigen, wenigstens ungenügen¬
den Verwendung der Artillerie in der Schlacht bei Leipzig. Mir will es wenig¬
stens scheinen, als wenn am 16. October bei Wachau derselbe Fehler vor¬
gelegen habe.

Dort sollte das Centrum der feindlichen Schlachtstellung durchbrochen wer¬
den. Man konnte voraussehen, daß Napoleon, auf diesen Fall vorbereitet, die
erforderlichen Gegenmaßregeln bei der Hand hatte; ja man konnte aus den
Erfahrungen früherer Ereignisse wissen, daß das Durchbrechen einer Schlacht¬
linie gleichwie das Abwehren eines solchen Unternehmens nur durch sehr
zahlreiches Geschütz möglich ist. Dem ohnerachtet kamen bei Wachau nur acht'
undvicrzig russische und preußische Geschütze zur Verwendung. von welchen durch
das plötzliche Erscheinen der anfänglich durch Truppen maskirten hundert fran¬
zösischen Geschütze augenblicklich zwölf mehr oder weniger zertrümmert wurden.

Neue Batterien wurden darauf aus der Reserve herbeigeführt, leider um
in kurzer Frist das Schicksal der ersten zu theilen.

Es lag auf der Hand, daß bei dem unvorhergesehenen großen Widerstande
des Feindes eine gleiche, wenn nicht überlegene Geschützzahl aus der in über¬
wiegender Menge vorhandenen Neserveartilleric der alliirten Armee herbeigeführt
werden mußte, wodurch die Ueberwciltigung der feindlichen Position leichter
hätte ermöglicht werden können, die bekanntlich unsern Truppen trotz alles
Muthes und aller Todesverachtung nicht gelang.

Die Artillerie ist und bleibt nun einmal die Hauptangriffswaffe; wer sie
als solche mißachtet, der hat sich auch die hieraus erwachsenden Folgen und
Uebelstände beizumessen. Die Beispiele, welche die Erstürmung des grimma-
ischen Thores und in noch höheren Grade die Fehlschlacht von Wachau von
diesem Satze liefern, sind ernsthaft genug.


bis auf 800 Schritt gegen die Mauer herangeführt werden und dürfen ihr
Feuer auch nicht eher einstellen bis eine Breschlücke in der Mauer erzielt ist.
Im vorliegenden Fall mußte dies aber sehr leicht werden, denn die Stadtmauer
von Leipzig bestand blos aus starken Bogenpfeilcrn, zwischen welchen eine Aus¬
füllung von nur zwei Mauersteinen Tiefe angebracht war.

Schien nun den beiden zur Vorbereitung des Sturmes verwendeten Bat¬
terien diese Aufgabe in der von ihnen eingenommenen Stellung unausführbar,
so war es sehr leicht, diese zwanzig Geschütze in der kürzesten Zeit bis auf
vierzig zu vermehren, denn in einer Entfernung von etwa 1500 Schritt stan¬
den drei preußische Batterien, darunter zwei zwölfpfündige, völlig kampf¬
bereit, welche in einer Viertelstunde herbeizuschaffen gewesen wären.

Von alledem geschah aber nichts. Man darf sich daher auch nicht wun¬
dern, daß das zu einem so mangelhaft eingeleiteten Sturmangriff verwendete
Bataillon so große Verluste erlitt.

Dies ist nicht das einzige Beispiel einer unrichtigen, wenigstens ungenügen¬
den Verwendung der Artillerie in der Schlacht bei Leipzig. Mir will es wenig¬
stens scheinen, als wenn am 16. October bei Wachau derselbe Fehler vor¬
gelegen habe.

Dort sollte das Centrum der feindlichen Schlachtstellung durchbrochen wer¬
den. Man konnte voraussehen, daß Napoleon, auf diesen Fall vorbereitet, die
erforderlichen Gegenmaßregeln bei der Hand hatte; ja man konnte aus den
Erfahrungen früherer Ereignisse wissen, daß das Durchbrechen einer Schlacht¬
linie gleichwie das Abwehren eines solchen Unternehmens nur durch sehr
zahlreiches Geschütz möglich ist. Dem ohnerachtet kamen bei Wachau nur acht'
undvicrzig russische und preußische Geschütze zur Verwendung. von welchen durch
das plötzliche Erscheinen der anfänglich durch Truppen maskirten hundert fran¬
zösischen Geschütze augenblicklich zwölf mehr oder weniger zertrümmert wurden.

Neue Batterien wurden darauf aus der Reserve herbeigeführt, leider um
in kurzer Frist das Schicksal der ersten zu theilen.

Es lag auf der Hand, daß bei dem unvorhergesehenen großen Widerstande
des Feindes eine gleiche, wenn nicht überlegene Geschützzahl aus der in über¬
wiegender Menge vorhandenen Neserveartilleric der alliirten Armee herbeigeführt
werden mußte, wodurch die Ueberwciltigung der feindlichen Position leichter
hätte ermöglicht werden können, die bekanntlich unsern Truppen trotz alles
Muthes und aller Todesverachtung nicht gelang.

Die Artillerie ist und bleibt nun einmal die Hauptangriffswaffe; wer sie
als solche mißachtet, der hat sich auch die hieraus erwachsenden Folgen und
Uebelstände beizumessen. Die Beispiele, welche die Erstürmung des grimma-
ischen Thores und in noch höheren Grade die Fehlschlacht von Wachau von
diesem Satze liefern, sind ernsthaft genug.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/110>, abgerufen am 01.10.2024.