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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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In der apostolischen Tradition, in der übereinstimmenden Lehre der apo¬
stolischen Gemeinden -- dies führten jetzt die Kirchenlehrer im Kampf gegen die
Gnosis ans -- ist die christliche Wahrheit enthalten; was mit ihr nicht überein¬
stimmt, ist subjeciive Meinung, Willkür, Ketzerei. Von diesem Standpunkt
aus sammelte man jetzt den Kanon heiliger Schriften und stellte Glaubens¬
regeln auf wie das sogenannte apostolische Symbol. Unter demselben Ge¬
sichtspunkt aber mußte auch die Stellung der Borsteher der Gemeinden an Auto¬
rität steigen. Die Bischöfe galten ja als die Nachfolger der Apostel und wie
diese die Wahrheit von Christus empfingen, so empfingen die Bischöfe sie aus der
Hand der Apostel; sie waren die persönlichen Träge" der apostolischen Tradition.
Es war nur derselbe Zug nach Einheit, der zur Bildung der Einen Kirche trieb
und die apostolische Tradition in den Bischöfen concentrirte, wenn später der
Episkopat selbst centralisirt wurde und zwar in derselben Stadt, in welcher
diese echt römische Einheitstendenz zuerst planmäßig verfolgt wurde.

Ist es noch nöthig zu bemerken, wie auch in dieser Ausbildung der Kir¬
chenverfassung der judenchristliche Geist dmninirte? Das Princip der apostolischen
Tradition, die bis ans Jesus zurückgeführt wurde, war ja nichts anderes als
derselbe Anspruch, mit welchem die Säulenapostcl dein Paulus entgegengetreten
waren, der Anspruch, das; nur diejenigen, die persönlich mit Jesus verbunden
gewesen waren, die Träger der Wahrheit seien.

Die hierarchische Verfassung ist nur ein Abbild des jüdischen Traums einer
theol'rätischen Weltherrschaft, eine Wiederholung des Judaismus auf christlichem
Boden. Wie weit ist die Idee einer äußeren Institution, welche von oben herab
octroyirte was rechtgläubig und was ketzerisch ist, vom Geiste des Apostels ent-
fernt, welcher sich rühmte, sein Evangelium von keinem Menschen, sondern durch
die Offenbarung Gottes empfangen zu haben, welcher --"was auch die Hoch-
geltenden gewesen sei" mögen" -- der zu Jesus hinaufreichenden Tradition das
Recht der Geistesfreiheit entgegenhielt und seine Mission darin fand, das Christen¬
thum aus seinein Rückfall in die Unfreiheit emporzureißen!

Paulus ist in diesem Kampfe unterlegen. Die christliche Kirche wie sie
aus deu mehr als hundertjährigen Kämpfen hervorging, war ein Cvmpromiß,
aber ein Kompromiß, bei welchem dem Judeuchristeuthum der Löwenantheil zufiel.
JudMisch blieb der Geist der neuen Gemeinschaft, d>e Dichtung auf das Aeußer-
liche. das Hängen an Ceremonien, die Wcrkgerechtigteit. die Zurückführung der
religiösen Wahrheit ans die Tradition, die ganze Verfassung.

Aber immerhin, es war ein Comprömiß, und Gegensätze, die in einem schlech¬
ten Compromiß untergebracht sind. Pflegen nicht für alle Zeit friedlich neben ein¬
ander zu ruhen. Es kommt die Zeit da sie sich wieder an einander reiben,
sich feindselig abstoßen, ihre Kräfte an einander messe", vielleicht einen neuen
Compromiß aufsuchen. Das sechzehnte Jahrhundert war eine solche Zeit da


In der apostolischen Tradition, in der übereinstimmenden Lehre der apo¬
stolischen Gemeinden — dies führten jetzt die Kirchenlehrer im Kampf gegen die
Gnosis ans — ist die christliche Wahrheit enthalten; was mit ihr nicht überein¬
stimmt, ist subjeciive Meinung, Willkür, Ketzerei. Von diesem Standpunkt
aus sammelte man jetzt den Kanon heiliger Schriften und stellte Glaubens¬
regeln auf wie das sogenannte apostolische Symbol. Unter demselben Ge¬
sichtspunkt aber mußte auch die Stellung der Borsteher der Gemeinden an Auto¬
rität steigen. Die Bischöfe galten ja als die Nachfolger der Apostel und wie
diese die Wahrheit von Christus empfingen, so empfingen die Bischöfe sie aus der
Hand der Apostel; sie waren die persönlichen Träge» der apostolischen Tradition.
Es war nur derselbe Zug nach Einheit, der zur Bildung der Einen Kirche trieb
und die apostolische Tradition in den Bischöfen concentrirte, wenn später der
Episkopat selbst centralisirt wurde und zwar in derselben Stadt, in welcher
diese echt römische Einheitstendenz zuerst planmäßig verfolgt wurde.

Ist es noch nöthig zu bemerken, wie auch in dieser Ausbildung der Kir¬
chenverfassung der judenchristliche Geist dmninirte? Das Princip der apostolischen
Tradition, die bis ans Jesus zurückgeführt wurde, war ja nichts anderes als
derselbe Anspruch, mit welchem die Säulenapostcl dein Paulus entgegengetreten
waren, der Anspruch, das; nur diejenigen, die persönlich mit Jesus verbunden
gewesen waren, die Träger der Wahrheit seien.

Die hierarchische Verfassung ist nur ein Abbild des jüdischen Traums einer
theol'rätischen Weltherrschaft, eine Wiederholung des Judaismus auf christlichem
Boden. Wie weit ist die Idee einer äußeren Institution, welche von oben herab
octroyirte was rechtgläubig und was ketzerisch ist, vom Geiste des Apostels ent-
fernt, welcher sich rühmte, sein Evangelium von keinem Menschen, sondern durch
die Offenbarung Gottes empfangen zu haben, welcher —„was auch die Hoch-
geltenden gewesen sei» mögen" — der zu Jesus hinaufreichenden Tradition das
Recht der Geistesfreiheit entgegenhielt und seine Mission darin fand, das Christen¬
thum aus seinein Rückfall in die Unfreiheit emporzureißen!

Paulus ist in diesem Kampfe unterlegen. Die christliche Kirche wie sie
aus deu mehr als hundertjährigen Kämpfen hervorging, war ein Cvmpromiß,
aber ein Kompromiß, bei welchem dem Judeuchristeuthum der Löwenantheil zufiel.
JudMisch blieb der Geist der neuen Gemeinschaft, d>e Dichtung auf das Aeußer-
liche. das Hängen an Ceremonien, die Wcrkgerechtigteit. die Zurückführung der
religiösen Wahrheit ans die Tradition, die ganze Verfassung.

Aber immerhin, es war ein Comprömiß, und Gegensätze, die in einem schlech¬
ten Compromiß untergebracht sind. Pflegen nicht für alle Zeit friedlich neben ein¬
ander zu ruhen. Es kommt die Zeit da sie sich wieder an einander reiben,
sich feindselig abstoßen, ihre Kräfte an einander messe», vielleicht einen neuen
Compromiß aufsuchen. Das sechzehnte Jahrhundert war eine solche Zeit da


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[0107] In der apostolischen Tradition, in der übereinstimmenden Lehre der apo¬ stolischen Gemeinden — dies führten jetzt die Kirchenlehrer im Kampf gegen die Gnosis ans — ist die christliche Wahrheit enthalten; was mit ihr nicht überein¬ stimmt, ist subjeciive Meinung, Willkür, Ketzerei. Von diesem Standpunkt aus sammelte man jetzt den Kanon heiliger Schriften und stellte Glaubens¬ regeln auf wie das sogenannte apostolische Symbol. Unter demselben Ge¬ sichtspunkt aber mußte auch die Stellung der Borsteher der Gemeinden an Auto¬ rität steigen. Die Bischöfe galten ja als die Nachfolger der Apostel und wie diese die Wahrheit von Christus empfingen, so empfingen die Bischöfe sie aus der Hand der Apostel; sie waren die persönlichen Träge» der apostolischen Tradition. Es war nur derselbe Zug nach Einheit, der zur Bildung der Einen Kirche trieb und die apostolische Tradition in den Bischöfen concentrirte, wenn später der Episkopat selbst centralisirt wurde und zwar in derselben Stadt, in welcher diese echt römische Einheitstendenz zuerst planmäßig verfolgt wurde. Ist es noch nöthig zu bemerken, wie auch in dieser Ausbildung der Kir¬ chenverfassung der judenchristliche Geist dmninirte? Das Princip der apostolischen Tradition, die bis ans Jesus zurückgeführt wurde, war ja nichts anderes als derselbe Anspruch, mit welchem die Säulenapostcl dein Paulus entgegengetreten waren, der Anspruch, das; nur diejenigen, die persönlich mit Jesus verbunden gewesen waren, die Träger der Wahrheit seien. Die hierarchische Verfassung ist nur ein Abbild des jüdischen Traums einer theol'rätischen Weltherrschaft, eine Wiederholung des Judaismus auf christlichem Boden. Wie weit ist die Idee einer äußeren Institution, welche von oben herab octroyirte was rechtgläubig und was ketzerisch ist, vom Geiste des Apostels ent- fernt, welcher sich rühmte, sein Evangelium von keinem Menschen, sondern durch die Offenbarung Gottes empfangen zu haben, welcher —„was auch die Hoch- geltenden gewesen sei» mögen" — der zu Jesus hinaufreichenden Tradition das Recht der Geistesfreiheit entgegenhielt und seine Mission darin fand, das Christen¬ thum aus seinein Rückfall in die Unfreiheit emporzureißen! Paulus ist in diesem Kampfe unterlegen. Die christliche Kirche wie sie aus deu mehr als hundertjährigen Kämpfen hervorging, war ein Cvmpromiß, aber ein Kompromiß, bei welchem dem Judeuchristeuthum der Löwenantheil zufiel. JudMisch blieb der Geist der neuen Gemeinschaft, d>e Dichtung auf das Aeußer- liche. das Hängen an Ceremonien, die Wcrkgerechtigteit. die Zurückführung der religiösen Wahrheit ans die Tradition, die ganze Verfassung. Aber immerhin, es war ein Comprömiß, und Gegensätze, die in einem schlech¬ ten Compromiß untergebracht sind. Pflegen nicht für alle Zeit friedlich neben ein¬ ander zu ruhen. Es kommt die Zeit da sie sich wieder an einander reiben, sich feindselig abstoßen, ihre Kräfte an einander messe», vielleicht einen neuen Compromiß aufsuchen. Das sechzehnte Jahrhundert war eine solche Zeit da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/107>, abgerufen am 03.07.2024.