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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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war Guizot, wie er dies schon früher ausgesprochen, der Ansicht, daß in einem
freien Versassuugsstaate die Negierung den Angriffen der Presse Gleichgültigkeit
entgegenzusetzen habe; indessen gelte dieser Grundsatz nur für Staaten, in denen
das konstitutionelle Princip bereits fest gegründet sei. Den consequenten An¬
griffen gegen die Existenz der kaum begründeten constitutionellen Monarchie
genüge es nicht, Gleichgültigkeit entgegenzusetzen. Die Regierung, sich streng
innerhalb ihrer verfassungsmäßigen Befugniß haltend, wendete die gesetzlichen
Repressivmaßregeln an und ließ die gröberen Ausschweifungen der Presse
gerichtlich verfolgen. Aber unter dem in Frankreich unwiderstehlichen Druck der
öffentlichen Meinung wurden die angeklagten Blätter freigesprochen und ver¬
doppelten ihre Angriffe. Der National hatte Thiers und Guizot gemeinschaftlich
angegriffen und zugleich den König, ohne ihn zu nennen, aber sehr deutlich
als den Hauptschuldigen bezeichnet. Angeklagt und freigesprochen, erklärte er
am folgenden Tage mit herausforderndem Hohn, allerdings habe er unter dem
Hauptschuldigen den König gemeint, die Absicht sei klar gewesen; es läugnen
zu wollen, wäre eine wahre Beleidigung des gesunden Menschenverstandes der
Jury gewesen. In Folge dieser Aeußerungen von Neuem angeklagt, wurde der
National von Neuem freigesprochen.

Einem so förmlichen und feierlichen Berbice der öffentlichen Meinung gegen¬
über war die Negierung waffenlos. Der officiellen, gewaltigen Centralisation
trat eine andere in ihrem Bereiche nicht minder gewaltige, nicht minder centra-
lisirte Macht entgegen, mit den Waffen, deren Gebrauch die bestehenden Zu¬
stände ihr gestatteten, die Grundlage der Zustände selbst untergrabend. Hier
war, wie wir schon in einem früheren Aussatze angedeutet haben, der eigent¬
liche Sitz des Uebels.' Man mag jeden beliebigen Moment aus der neuesten
französischen Geschichte herausgreifen, jeden Bericht eines Mithandelnden ver¬
gleichen; jede erneute Prüfung wird die Ueberzeugung befestigen, daß auf den
gewohnten Wegen des Kampfes der staatlichen Allgewalt mit der Allgewalt der
öffentlichen Meinung eine Heilung der tiefen Schäden des Staats und der Ge¬
sellschaft unmöglich war. So lange jede revolutionäre Partei sich der Hoffnung
hingeben konnte, durch einen glücklichen Schlag gegen das Centrum der Staats¬
gewalt, durch einen Handstreich, eine Ueberraschung ganz Frankreich sich zu
unterwerfen, war die Consolidirung der Freiheit ein unerreichbares Ideal.
Man hat in Frankreich selbst oft, aber stets zu spät eingesehen, daß die über¬
mäßige Centralisation das Grab der Freiheit ist, daß sie Bürgersinn und Bürger¬
muth zerstört, und daß sie, aus eine absolute Herrschaft gerichtet, stets der innern
Konsequenz ihres Systems zufolge in den persönlichen Despotismus eines Ein¬
zelnen endigen muß. Denn eine Hierarchie, wie die des officiellen Frankreichs,
muß von Einem geleitet werden, von dem Willen des Einen hat jede strebende,
ehrgeizige Kraft ihre Befriedigung zu hoffen, dem Willen des Einen hat die


war Guizot, wie er dies schon früher ausgesprochen, der Ansicht, daß in einem
freien Versassuugsstaate die Negierung den Angriffen der Presse Gleichgültigkeit
entgegenzusetzen habe; indessen gelte dieser Grundsatz nur für Staaten, in denen
das konstitutionelle Princip bereits fest gegründet sei. Den consequenten An¬
griffen gegen die Existenz der kaum begründeten constitutionellen Monarchie
genüge es nicht, Gleichgültigkeit entgegenzusetzen. Die Regierung, sich streng
innerhalb ihrer verfassungsmäßigen Befugniß haltend, wendete die gesetzlichen
Repressivmaßregeln an und ließ die gröberen Ausschweifungen der Presse
gerichtlich verfolgen. Aber unter dem in Frankreich unwiderstehlichen Druck der
öffentlichen Meinung wurden die angeklagten Blätter freigesprochen und ver¬
doppelten ihre Angriffe. Der National hatte Thiers und Guizot gemeinschaftlich
angegriffen und zugleich den König, ohne ihn zu nennen, aber sehr deutlich
als den Hauptschuldigen bezeichnet. Angeklagt und freigesprochen, erklärte er
am folgenden Tage mit herausforderndem Hohn, allerdings habe er unter dem
Hauptschuldigen den König gemeint, die Absicht sei klar gewesen; es läugnen
zu wollen, wäre eine wahre Beleidigung des gesunden Menschenverstandes der
Jury gewesen. In Folge dieser Aeußerungen von Neuem angeklagt, wurde der
National von Neuem freigesprochen.

Einem so förmlichen und feierlichen Berbice der öffentlichen Meinung gegen¬
über war die Negierung waffenlos. Der officiellen, gewaltigen Centralisation
trat eine andere in ihrem Bereiche nicht minder gewaltige, nicht minder centra-
lisirte Macht entgegen, mit den Waffen, deren Gebrauch die bestehenden Zu¬
stände ihr gestatteten, die Grundlage der Zustände selbst untergrabend. Hier
war, wie wir schon in einem früheren Aussatze angedeutet haben, der eigent¬
liche Sitz des Uebels.' Man mag jeden beliebigen Moment aus der neuesten
französischen Geschichte herausgreifen, jeden Bericht eines Mithandelnden ver¬
gleichen; jede erneute Prüfung wird die Ueberzeugung befestigen, daß auf den
gewohnten Wegen des Kampfes der staatlichen Allgewalt mit der Allgewalt der
öffentlichen Meinung eine Heilung der tiefen Schäden des Staats und der Ge¬
sellschaft unmöglich war. So lange jede revolutionäre Partei sich der Hoffnung
hingeben konnte, durch einen glücklichen Schlag gegen das Centrum der Staats¬
gewalt, durch einen Handstreich, eine Ueberraschung ganz Frankreich sich zu
unterwerfen, war die Consolidirung der Freiheit ein unerreichbares Ideal.
Man hat in Frankreich selbst oft, aber stets zu spät eingesehen, daß die über¬
mäßige Centralisation das Grab der Freiheit ist, daß sie Bürgersinn und Bürger¬
muth zerstört, und daß sie, aus eine absolute Herrschaft gerichtet, stets der innern
Konsequenz ihres Systems zufolge in den persönlichen Despotismus eines Ein¬
zelnen endigen muß. Denn eine Hierarchie, wie die des officiellen Frankreichs,
muß von Einem geleitet werden, von dem Willen des Einen hat jede strebende,
ehrgeizige Kraft ihre Befriedigung zu hoffen, dem Willen des Einen hat die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/85>, abgerufen am 28.09.2024.