Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kann durch eine systematisch passive Haltung überhaupt nicht erreicht' werden.
Weder ist seine Haltung von Einfluß auf das Schicksal Mehemed Alis gewesen,
noch ist es ihm gelungen, die Intimität mit England völlig und dauernd
wiederherzustellen, wenngleich die Schroffheit der zwischen beiden Ländern be¬
stehenden Rivalität zunächst gemildert wurde, was übrigens zum großen Theil
eine Folge des Ministerwechsels in England war. Indessen wenn die Formen
freundlicher, ja intimer wurden, die Rivalität blieb bestehen und damit auch
die Jsolirung Frankreichs. Die Ungunst der äußern Lage, die doch keineswegs
von Guizot verschuldet war, sollte alsbald der Hebel weiden, den die Opposition
ansetzte, um Guizot zu stürzen, zum Theil ohne zu ahnen, daß jeder Schlag,
den sie gegen den Minister führte, die Dynastie der Orleans traf. Die fehler¬
haften Tendenzen der Parteien, deren Keime wir bei der Besprechung der früheren
Bände der Memoiren Guizots aufgezeigt haben, entwickeln sich von dem Wende¬
punkte in der Geschichte Louis Philipps, der orientalischen Krisis an in stetiger,
wenn auch anfangs noch langsamer Progression.

Zunächst indessen folgte auf die Aufregung der letzten Jahre eine Zeit der
Abspannung; die Gegensätze scharfem sich im Stillen, vor allem, wie Guizot
hervorhebt, der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Volt. Wenn Guizot, da
ja die Bourgeoisie keine abgeschlossene Kaste bildet, sondern täglich diejenigen,
welche durch Talent und erfolgreiche Thätigkeit aus der Masse sich empor¬
gearbeitet haben, in sich aufnimmt, diesen Gegensatz für künstlich hervorgerufen
und also unberechtigt erklärt, so ist dies ganz richtig, ändert aber nichts an
der Thatsache, daß der Gegensatz wirklich bestanden und die Herrschaft der
Bourgeoisie gestürzt hat. Die Abgrenzung der politischen Rechte nach dem
Census wird dem von jeder Berechtigung Ausgeschlossenen stets als Willkür
erscheinen, und je mehr der bevorzugte Theil der Bevölkerung sich bemüht, die
einmal gezogene Grenzlinie zu einer festen zu machen und sich zu einer ge¬
schlossenen Oligarchie zu consolidiren, um so mehr wird die Zahl der Nicht¬
berechtigten alles anwenden, um die Grenzlinie, sei es ganz aufzuheben, sei es
wenigstens sie zu verrücken und beweglich zu erhalten. Das Bestreben der
Berechtigten, ihre Alleinherrschaft festzuhalten, war aber vorhanden, und die
Situation war äußerlich ganz darnach angethan, den Widerstand gegen die
demokratische Partei zu ermuthigen. Die Mehrheit der Kammern, von einem
gerade im Widerstände energischen Minister, dem der politische Kampf zum
Lebenselement geworden war, geführt, dachte an nichts weniger als an Nachgeben,
zumal da der strenge und straffe Mechanismus der französischen Administration
ihr das ganze officielle Frankreich unbedingt zur Verfügung stellte. Aber die¬
ser geschlossenen Macht trat das ganze nicht officielle Frankreich gegenüber,
geführt von der parlamentarischen Opposition und der mit Geschick und Leiden¬
schaft geleiteten-Presse, zwar tief in sich gespalten, aber einig in der Bekämpfung


10*

kann durch eine systematisch passive Haltung überhaupt nicht erreicht' werden.
Weder ist seine Haltung von Einfluß auf das Schicksal Mehemed Alis gewesen,
noch ist es ihm gelungen, die Intimität mit England völlig und dauernd
wiederherzustellen, wenngleich die Schroffheit der zwischen beiden Ländern be¬
stehenden Rivalität zunächst gemildert wurde, was übrigens zum großen Theil
eine Folge des Ministerwechsels in England war. Indessen wenn die Formen
freundlicher, ja intimer wurden, die Rivalität blieb bestehen und damit auch
die Jsolirung Frankreichs. Die Ungunst der äußern Lage, die doch keineswegs
von Guizot verschuldet war, sollte alsbald der Hebel weiden, den die Opposition
ansetzte, um Guizot zu stürzen, zum Theil ohne zu ahnen, daß jeder Schlag,
den sie gegen den Minister führte, die Dynastie der Orleans traf. Die fehler¬
haften Tendenzen der Parteien, deren Keime wir bei der Besprechung der früheren
Bände der Memoiren Guizots aufgezeigt haben, entwickeln sich von dem Wende¬
punkte in der Geschichte Louis Philipps, der orientalischen Krisis an in stetiger,
wenn auch anfangs noch langsamer Progression.

Zunächst indessen folgte auf die Aufregung der letzten Jahre eine Zeit der
Abspannung; die Gegensätze scharfem sich im Stillen, vor allem, wie Guizot
hervorhebt, der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Volt. Wenn Guizot, da
ja die Bourgeoisie keine abgeschlossene Kaste bildet, sondern täglich diejenigen,
welche durch Talent und erfolgreiche Thätigkeit aus der Masse sich empor¬
gearbeitet haben, in sich aufnimmt, diesen Gegensatz für künstlich hervorgerufen
und also unberechtigt erklärt, so ist dies ganz richtig, ändert aber nichts an
der Thatsache, daß der Gegensatz wirklich bestanden und die Herrschaft der
Bourgeoisie gestürzt hat. Die Abgrenzung der politischen Rechte nach dem
Census wird dem von jeder Berechtigung Ausgeschlossenen stets als Willkür
erscheinen, und je mehr der bevorzugte Theil der Bevölkerung sich bemüht, die
einmal gezogene Grenzlinie zu einer festen zu machen und sich zu einer ge¬
schlossenen Oligarchie zu consolidiren, um so mehr wird die Zahl der Nicht¬
berechtigten alles anwenden, um die Grenzlinie, sei es ganz aufzuheben, sei es
wenigstens sie zu verrücken und beweglich zu erhalten. Das Bestreben der
Berechtigten, ihre Alleinherrschaft festzuhalten, war aber vorhanden, und die
Situation war äußerlich ganz darnach angethan, den Widerstand gegen die
demokratische Partei zu ermuthigen. Die Mehrheit der Kammern, von einem
gerade im Widerstände energischen Minister, dem der politische Kampf zum
Lebenselement geworden war, geführt, dachte an nichts weniger als an Nachgeben,
zumal da der strenge und straffe Mechanismus der französischen Administration
ihr das ganze officielle Frankreich unbedingt zur Verfügung stellte. Aber die¬
ser geschlossenen Macht trat das ganze nicht officielle Frankreich gegenüber,
geführt von der parlamentarischen Opposition und der mit Geschick und Leiden¬
schaft geleiteten-Presse, zwar tief in sich gespalten, aber einig in der Bekämpfung


10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189178"/>
          <p xml:id="ID_245" prev="#ID_244"> kann durch eine systematisch passive Haltung überhaupt nicht erreicht' werden.<lb/>
Weder ist seine Haltung von Einfluß auf das Schicksal Mehemed Alis gewesen,<lb/>
noch ist es ihm gelungen, die Intimität mit England völlig und dauernd<lb/>
wiederherzustellen, wenngleich die Schroffheit der zwischen beiden Ländern be¬<lb/>
stehenden Rivalität zunächst gemildert wurde, was übrigens zum großen Theil<lb/>
eine Folge des Ministerwechsels in England war. Indessen wenn die Formen<lb/>
freundlicher, ja intimer wurden, die Rivalität blieb bestehen und damit auch<lb/>
die Jsolirung Frankreichs. Die Ungunst der äußern Lage, die doch keineswegs<lb/>
von Guizot verschuldet war, sollte alsbald der Hebel weiden, den die Opposition<lb/>
ansetzte, um Guizot zu stürzen, zum Theil ohne zu ahnen, daß jeder Schlag,<lb/>
den sie gegen den Minister führte, die Dynastie der Orleans traf. Die fehler¬<lb/>
haften Tendenzen der Parteien, deren Keime wir bei der Besprechung der früheren<lb/>
Bände der Memoiren Guizots aufgezeigt haben, entwickeln sich von dem Wende¬<lb/>
punkte in der Geschichte Louis Philipps, der orientalischen Krisis an in stetiger,<lb/>
wenn auch anfangs noch langsamer Progression.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_246" next="#ID_247"> Zunächst indessen folgte auf die Aufregung der letzten Jahre eine Zeit der<lb/>
Abspannung; die Gegensätze scharfem sich im Stillen, vor allem, wie Guizot<lb/>
hervorhebt, der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Volt. Wenn Guizot, da<lb/>
ja die Bourgeoisie keine abgeschlossene Kaste bildet, sondern täglich diejenigen,<lb/>
welche durch Talent und erfolgreiche Thätigkeit aus der Masse sich empor¬<lb/>
gearbeitet haben, in sich aufnimmt, diesen Gegensatz für künstlich hervorgerufen<lb/>
und also unberechtigt erklärt, so ist dies ganz richtig, ändert aber nichts an<lb/>
der Thatsache, daß der Gegensatz wirklich bestanden und die Herrschaft der<lb/>
Bourgeoisie gestürzt hat. Die Abgrenzung der politischen Rechte nach dem<lb/>
Census wird dem von jeder Berechtigung Ausgeschlossenen stets als Willkür<lb/>
erscheinen, und je mehr der bevorzugte Theil der Bevölkerung sich bemüht, die<lb/>
einmal gezogene Grenzlinie zu einer festen zu machen und sich zu einer ge¬<lb/>
schlossenen Oligarchie zu consolidiren, um so mehr wird die Zahl der Nicht¬<lb/>
berechtigten alles anwenden, um die Grenzlinie, sei es ganz aufzuheben, sei es<lb/>
wenigstens sie zu verrücken und beweglich zu erhalten. Das Bestreben der<lb/>
Berechtigten, ihre Alleinherrschaft festzuhalten, war aber vorhanden, und die<lb/>
Situation war äußerlich ganz darnach angethan, den Widerstand gegen die<lb/>
demokratische Partei zu ermuthigen. Die Mehrheit der Kammern, von einem<lb/>
gerade im Widerstände energischen Minister, dem der politische Kampf zum<lb/>
Lebenselement geworden war, geführt, dachte an nichts weniger als an Nachgeben,<lb/>
zumal da der strenge und straffe Mechanismus der französischen Administration<lb/>
ihr das ganze officielle Frankreich unbedingt zur Verfügung stellte. Aber die¬<lb/>
ser geschlossenen Macht trat das ganze nicht officielle Frankreich gegenüber,<lb/>
geführt von der parlamentarischen Opposition und der mit Geschick und Leiden¬<lb/>
schaft geleiteten-Presse, zwar tief in sich gespalten, aber einig in der Bekämpfung</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 10*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0083] kann durch eine systematisch passive Haltung überhaupt nicht erreicht' werden. Weder ist seine Haltung von Einfluß auf das Schicksal Mehemed Alis gewesen, noch ist es ihm gelungen, die Intimität mit England völlig und dauernd wiederherzustellen, wenngleich die Schroffheit der zwischen beiden Ländern be¬ stehenden Rivalität zunächst gemildert wurde, was übrigens zum großen Theil eine Folge des Ministerwechsels in England war. Indessen wenn die Formen freundlicher, ja intimer wurden, die Rivalität blieb bestehen und damit auch die Jsolirung Frankreichs. Die Ungunst der äußern Lage, die doch keineswegs von Guizot verschuldet war, sollte alsbald der Hebel weiden, den die Opposition ansetzte, um Guizot zu stürzen, zum Theil ohne zu ahnen, daß jeder Schlag, den sie gegen den Minister führte, die Dynastie der Orleans traf. Die fehler¬ haften Tendenzen der Parteien, deren Keime wir bei der Besprechung der früheren Bände der Memoiren Guizots aufgezeigt haben, entwickeln sich von dem Wende¬ punkte in der Geschichte Louis Philipps, der orientalischen Krisis an in stetiger, wenn auch anfangs noch langsamer Progression. Zunächst indessen folgte auf die Aufregung der letzten Jahre eine Zeit der Abspannung; die Gegensätze scharfem sich im Stillen, vor allem, wie Guizot hervorhebt, der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Volt. Wenn Guizot, da ja die Bourgeoisie keine abgeschlossene Kaste bildet, sondern täglich diejenigen, welche durch Talent und erfolgreiche Thätigkeit aus der Masse sich empor¬ gearbeitet haben, in sich aufnimmt, diesen Gegensatz für künstlich hervorgerufen und also unberechtigt erklärt, so ist dies ganz richtig, ändert aber nichts an der Thatsache, daß der Gegensatz wirklich bestanden und die Herrschaft der Bourgeoisie gestürzt hat. Die Abgrenzung der politischen Rechte nach dem Census wird dem von jeder Berechtigung Ausgeschlossenen stets als Willkür erscheinen, und je mehr der bevorzugte Theil der Bevölkerung sich bemüht, die einmal gezogene Grenzlinie zu einer festen zu machen und sich zu einer ge¬ schlossenen Oligarchie zu consolidiren, um so mehr wird die Zahl der Nicht¬ berechtigten alles anwenden, um die Grenzlinie, sei es ganz aufzuheben, sei es wenigstens sie zu verrücken und beweglich zu erhalten. Das Bestreben der Berechtigten, ihre Alleinherrschaft festzuhalten, war aber vorhanden, und die Situation war äußerlich ganz darnach angethan, den Widerstand gegen die demokratische Partei zu ermuthigen. Die Mehrheit der Kammern, von einem gerade im Widerstände energischen Minister, dem der politische Kampf zum Lebenselement geworden war, geführt, dachte an nichts weniger als an Nachgeben, zumal da der strenge und straffe Mechanismus der französischen Administration ihr das ganze officielle Frankreich unbedingt zur Verfügung stellte. Aber die¬ ser geschlossenen Macht trat das ganze nicht officielle Frankreich gegenüber, geführt von der parlamentarischen Opposition und der mit Geschick und Leiden¬ schaft geleiteten-Presse, zwar tief in sich gespalten, aber einig in der Bekämpfung 10*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/83
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/83>, abgerufen am 20.10.2024.