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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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innehat gereist, dann- aber in den Tagen der Flucht und allgemeinen Verwir¬
rung durch seine Beredsamkeit und mit- dem Säbel in der Hand der Beschützer
des von den Horden der Stürmer bedrängten Innsbrucks geworden, und eifer¬
süchtig auf die Rolle seines Amtsgenossen, Der fanatische Mönch hatte Hofer
ganz in seinen Händen, er wußte ihm den schon am 27. October in Innsbruck
bekannt gemachten Frieden als bayerische Lüge zu verdächtigen und machte es
ebenso mit der östreichischen Bestätigung. Am 29. überbrachte Buron Lichten-
thurm dem Obercommandanten ein Schreiben des Erzherzogs Johann, worin
dieser "aus allerhöchsten Befehl" den traurigen Ausgang des Krieges und zu¬
gleich den Wunsch Sr. Majestät kundgab, "daß sich die Tiroler ruhig verhalten
und nicht zwecklos sich aufopfern mögen." Hofer ergab sich ganz in Gottes
Fügung, ließ die Einstellung des Kampfes nach allen Seiten ausschreiben und
wollte ins bayerische Lager, um zur Beschwichtigung des Landvolks einen Waffen¬
stillstand auszuwirken, als beim Besteigen des Wagens der Kapuziner herbei¬
kam. Daß der Bote, als er die Hiobspost mündlich eröffnete, von der Fall¬
sucht ergriffen lautlos zu Boden sank, galt ihm als Strafe des Himmels für
das teuflische Truggewebe. Um Hofer seiner ruhiger gestimmten Umgebung zu
entziehen, brachte er ihn noch Matrei, lieh ihn dort von Freund Kolb die ganze
Nacht über durch überirdische Offenbarungen ängstigen und that zuletzt noch
selbst das Beste durch eine eindringliche Predigt. "Der wahre Glaube," sprach
er nach den Aufzeichnungen eines Zeugen, "die Religion, die Kirche und ihre
Geistlichen sind im Falle der Unterwerfung völlig verloren. Laßt angreifen am
Allerheiligcntag, da haben alle Heiligen und die armen Seelen im Fegfeuer
Büchsen und Stutzen." Johann Tschöll, ein verarmter Passeirer, unterstützte
diesen Köhlerglauben mit einem Traume, worin er die Engel auf einer Leiter
vom Himmel niedersteigen und mit ihren Hellebarden die Bayern aus dem
Lande wegjagen sah. Solchen Versicherungen vermochte Hofer nicht länger zu
widerstehen, "im Vertrauen auf alle Heiligen Gottes und insbesondere den
heiligen Antoni" erklärte er auch das Aeußerste zu wagen. "So können wir
es nicht mehr haben, verloren sind wir auf alle Fälle," schrieb er an Strand
und gab auf den 1. November Befehl zum allgemeinen Angriff. Er selbst
jedoch blieb mehre Stunden weit hinter dem Kampfplatz in Matrei und über¬
ließ es dem Martin Firler die Schützen anzuführen. Dieser, ein dem Trunke
ergebener Pferdeknecht, mußte sich zur Stunde der Entscheidung allererst aus
dem Rausche ernüchtern, ließ dann, da auf den 1. November das Fest Aller¬
heiligen fällt, Messe und Predigt halten und achtete nicht auf den anrückenden
Feind, der, auch vom Herbstnebel begünstigt, mittlerweile Zeit fand sich zu
sammeln, und nun mit mehr als dreißig Geschützen den Kampf begann. Un¬
vermögend den Kanonen Stand zu halten, verließen die Bauern ihre äußersten
Verschanzungen an der Westseite des Berges Isel, ihre Linie war durchbrochen.


innehat gereist, dann- aber in den Tagen der Flucht und allgemeinen Verwir¬
rung durch seine Beredsamkeit und mit- dem Säbel in der Hand der Beschützer
des von den Horden der Stürmer bedrängten Innsbrucks geworden, und eifer¬
süchtig auf die Rolle seines Amtsgenossen, Der fanatische Mönch hatte Hofer
ganz in seinen Händen, er wußte ihm den schon am 27. October in Innsbruck
bekannt gemachten Frieden als bayerische Lüge zu verdächtigen und machte es
ebenso mit der östreichischen Bestätigung. Am 29. überbrachte Buron Lichten-
thurm dem Obercommandanten ein Schreiben des Erzherzogs Johann, worin
dieser „aus allerhöchsten Befehl" den traurigen Ausgang des Krieges und zu¬
gleich den Wunsch Sr. Majestät kundgab, „daß sich die Tiroler ruhig verhalten
und nicht zwecklos sich aufopfern mögen." Hofer ergab sich ganz in Gottes
Fügung, ließ die Einstellung des Kampfes nach allen Seiten ausschreiben und
wollte ins bayerische Lager, um zur Beschwichtigung des Landvolks einen Waffen¬
stillstand auszuwirken, als beim Besteigen des Wagens der Kapuziner herbei¬
kam. Daß der Bote, als er die Hiobspost mündlich eröffnete, von der Fall¬
sucht ergriffen lautlos zu Boden sank, galt ihm als Strafe des Himmels für
das teuflische Truggewebe. Um Hofer seiner ruhiger gestimmten Umgebung zu
entziehen, brachte er ihn noch Matrei, lieh ihn dort von Freund Kolb die ganze
Nacht über durch überirdische Offenbarungen ängstigen und that zuletzt noch
selbst das Beste durch eine eindringliche Predigt. „Der wahre Glaube," sprach
er nach den Aufzeichnungen eines Zeugen, „die Religion, die Kirche und ihre
Geistlichen sind im Falle der Unterwerfung völlig verloren. Laßt angreifen am
Allerheiligcntag, da haben alle Heiligen und die armen Seelen im Fegfeuer
Büchsen und Stutzen." Johann Tschöll, ein verarmter Passeirer, unterstützte
diesen Köhlerglauben mit einem Traume, worin er die Engel auf einer Leiter
vom Himmel niedersteigen und mit ihren Hellebarden die Bayern aus dem
Lande wegjagen sah. Solchen Versicherungen vermochte Hofer nicht länger zu
widerstehen, „im Vertrauen auf alle Heiligen Gottes und insbesondere den
heiligen Antoni" erklärte er auch das Aeußerste zu wagen. „So können wir
es nicht mehr haben, verloren sind wir auf alle Fälle," schrieb er an Strand
und gab auf den 1. November Befehl zum allgemeinen Angriff. Er selbst
jedoch blieb mehre Stunden weit hinter dem Kampfplatz in Matrei und über¬
ließ es dem Martin Firler die Schützen anzuführen. Dieser, ein dem Trunke
ergebener Pferdeknecht, mußte sich zur Stunde der Entscheidung allererst aus
dem Rausche ernüchtern, ließ dann, da auf den 1. November das Fest Aller¬
heiligen fällt, Messe und Predigt halten und achtete nicht auf den anrückenden
Feind, der, auch vom Herbstnebel begünstigt, mittlerweile Zeit fand sich zu
sammeln, und nun mit mehr als dreißig Geschützen den Kampf begann. Un¬
vermögend den Kanonen Stand zu halten, verließen die Bauern ihre äußersten
Verschanzungen an der Westseite des Berges Isel, ihre Linie war durchbrochen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/70>, abgerufen am 28.09.2024.