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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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einer ordnungsmäßigen Hersagung der Formeln besondere Wichtigkeit und
magische Kraft beilegte.

Nach völliger Niederwerfung der Sachsen wurde den Königsboten eine
Instruction ertheilt, wie die heidnischen Bräuche der Besiegten abzustellen seien,
und infolge dessen erhielten jene alten Taufformcln einen Zusatz, in welchem
der Täufling nicht blos dem Teufel, sondern ausdrücklich den bisher verehrten
Göttern, Wodan, Donar und Sachsnot zu entsagen hatte.

Nach der Rückkehr Karls von seinem Römerzug im Jahre 787, von welchem
er verschiedene Gelehrte mit über die Alpen brachte, wurde von ihm ein Rund¬
schreiben an die Klöster erlassen, in welchem er sie zu einem gottesfürchtiger
Leben und zur Pflege der Wissenschaften ermahnte, die ungebildete Sprache in
ihren Zuschriften tadelte und die Wichtigkeit grammatischer Studien für richtige
Erklärung der heiligen Schrift betonte. Wahrscheinlich im Zusammenhange mit
diesem Schreiben steht die Herstellung eines Hilfsmittels für Lehrer des Latei¬
nischen. In ein vielgebrauchtes lateinisches Wörterbuch zur Bibel wurden
die deutschen Bedeutungen eingetragen. Die Arbeit ist voll von den ärg¬
sten Verstößen, ihre Einrichtung höchst ungeschickt. Aber wir gewinnen aus
ihr sehr willkommene Aufschlüsse über den damaligen Wortschatz unsrer
Sprache.

Im Jahre 789 that Karl einen weitern Schritt auf der betretenen Bahn,
indem er durch ein Edict eine umfassende kirchliche Gesetzgebung aus Grund
des kanonischen Rechts schuf und durch mehre Bestimmungen desselben den
Bischöfen und Priestern eifrige Predigt über bestimmte Gegenstände, das Vater¬
unser, das Glaubensbekenntniß u. d. zur Pflicht machte. Die Folge hiervon
war eine Fluth lateinischer Musterpredigten, Blumenlesen aus den Kirchenvätern.
Vaterunser- und Glaubenserkiärungen. Die Geistlichen mußten sich bei Be¬
nutzung dieser Literatur natürlich der Sprache des Volkes, also des Deutschen,
bedienen, und so mußten Übertragungen des Wichtigsten aus derselben ge¬
schaffen werden. Am gründlichsten wurde diese Aufgabe in dem elsässischen
Kloster Weißenburg gelöst, wo ein ganzer Katechismus zu Stande kam, der
alle im Edict aufgezählte Stücke umfaßte. In Freising, wo man schon vor dem
Edict einzelnen Worten und Sätzen aus dem Buche des Isidorus über die
Pflichten deutsche Erklärungen beigeschrieben hatte, übersetzte man jetzt eine
Auslegung des Vaterunsers in die Muttersprache. War diese Übertragung
wohlgelungen, so wimmelten die zu gleicher Zeit im Kloster von Se. Gallen
entstandenen Übersetzungen des Vaterunsers und des Glaubens von Ver¬
stößen und Mißverständnissen ungefähr ebenso, wie das oben erwähnte Bibel¬
glossar. Um nur ein Beispiel zu nennen: im Glauben wird ereatorem
für ereaturam genommen, also "ein Gott, das Geschöpf Himmels und der
Erden" geglaubt. Welchen Werth eine deutsche Predigt gehabt, die sich solcher


einer ordnungsmäßigen Hersagung der Formeln besondere Wichtigkeit und
magische Kraft beilegte.

Nach völliger Niederwerfung der Sachsen wurde den Königsboten eine
Instruction ertheilt, wie die heidnischen Bräuche der Besiegten abzustellen seien,
und infolge dessen erhielten jene alten Taufformcln einen Zusatz, in welchem
der Täufling nicht blos dem Teufel, sondern ausdrücklich den bisher verehrten
Göttern, Wodan, Donar und Sachsnot zu entsagen hatte.

Nach der Rückkehr Karls von seinem Römerzug im Jahre 787, von welchem
er verschiedene Gelehrte mit über die Alpen brachte, wurde von ihm ein Rund¬
schreiben an die Klöster erlassen, in welchem er sie zu einem gottesfürchtiger
Leben und zur Pflege der Wissenschaften ermahnte, die ungebildete Sprache in
ihren Zuschriften tadelte und die Wichtigkeit grammatischer Studien für richtige
Erklärung der heiligen Schrift betonte. Wahrscheinlich im Zusammenhange mit
diesem Schreiben steht die Herstellung eines Hilfsmittels für Lehrer des Latei¬
nischen. In ein vielgebrauchtes lateinisches Wörterbuch zur Bibel wurden
die deutschen Bedeutungen eingetragen. Die Arbeit ist voll von den ärg¬
sten Verstößen, ihre Einrichtung höchst ungeschickt. Aber wir gewinnen aus
ihr sehr willkommene Aufschlüsse über den damaligen Wortschatz unsrer
Sprache.

Im Jahre 789 that Karl einen weitern Schritt auf der betretenen Bahn,
indem er durch ein Edict eine umfassende kirchliche Gesetzgebung aus Grund
des kanonischen Rechts schuf und durch mehre Bestimmungen desselben den
Bischöfen und Priestern eifrige Predigt über bestimmte Gegenstände, das Vater¬
unser, das Glaubensbekenntniß u. d. zur Pflicht machte. Die Folge hiervon
war eine Fluth lateinischer Musterpredigten, Blumenlesen aus den Kirchenvätern.
Vaterunser- und Glaubenserkiärungen. Die Geistlichen mußten sich bei Be¬
nutzung dieser Literatur natürlich der Sprache des Volkes, also des Deutschen,
bedienen, und so mußten Übertragungen des Wichtigsten aus derselben ge¬
schaffen werden. Am gründlichsten wurde diese Aufgabe in dem elsässischen
Kloster Weißenburg gelöst, wo ein ganzer Katechismus zu Stande kam, der
alle im Edict aufgezählte Stücke umfaßte. In Freising, wo man schon vor dem
Edict einzelnen Worten und Sätzen aus dem Buche des Isidorus über die
Pflichten deutsche Erklärungen beigeschrieben hatte, übersetzte man jetzt eine
Auslegung des Vaterunsers in die Muttersprache. War diese Übertragung
wohlgelungen, so wimmelten die zu gleicher Zeit im Kloster von Se. Gallen
entstandenen Übersetzungen des Vaterunsers und des Glaubens von Ver¬
stößen und Mißverständnissen ungefähr ebenso, wie das oben erwähnte Bibel¬
glossar. Um nur ein Beispiel zu nennen: im Glauben wird ereatorem
für ereaturam genommen, also „ein Gott, das Geschöpf Himmels und der
Erden" geglaubt. Welchen Werth eine deutsche Predigt gehabt, die sich solcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/520>, abgerufen am 20.10.2024.