Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

elementarsten Kräften ihrer Epoche zusammengeschossen ist. Und wie aus dem
Gewölk neuer Segen auf die Erde strömt, so dringen jene Heroen mit ihrem
Thun Jahrhunderten Befruchtung, spätern Generationen belebenden Anstoß.

Ein solcher Heros war Karl. Die Kaiseridee, das oberste Ende seiner
Politik, ist der Angelpunkt der deutschen Geschichte geworden, und an seinen
Namen knüpft sich auch die Wendung des geistigen Lebens unsrer Nation, mit
welcher sie aus einem schriftlosen Volke ein Literaturvolk wurde. Poetische und
Prosaische Production für schriftliche Aufzeichnung, Befestigung und Ausbreitung
des Gedankens für den Buchstaben wird nothwendig, wo es gilt ein System
neuer Vorstellungen einem Volke auf einmal zuzuführen, und dieser Fall trat
hier ein - es galt, den rohen Gemüthern der germanischen Stämme rasch und
unzerstörbar das Christenthum einzupflanzen. Noch haftete dieses, wo es über¬
haupt Boden gesunden, sehr lose in den Seelen. Der christliche Gott war der
officiell anerkannte, zu ihm beteten König, Beamte und Geistliche. Das Volk
fand sich mit ihm durch die Taufe und höchstens durch nothgedruugene spärliche
Kirchgange ab, im Uebrigen hielt es an seinen alten Göttern fest, wenn es
auch deren Namen nicht mehr nennen durfte und allmälig über den christlichen
Heiligen und Engeln vergaß, auf die Wodans oder Donars Wesen und Attri¬
bute übertragen wurden. Am wenigsten blieb das Heidenthum in Kraft in der
Umgebung der Bischofssitze und der großen Klöster, am meisten in den Gebirgen
und den ausgedehnten Waldgebieten. Denn auch auf die Priester, die nicht
unter scharfer Controle standen, war kein Verlaß. Sie waren ebenso ungast¬
liche als unwissende Gesellen, die nothwendigsten Begriffe, die unentbehrlichsten
Kenntnisse mangelten -- es war viel, wenn einer die Taufformel, den Glauben
und allenfalls die Meßgebete ordentlich wußte. Am Hofe und von dem höhern
Klerus wurden die Reste der entschwundenen Culturblüthe gepflegt, aber diese
Gelehrten begründeten, nur lateinisch verkehrend und schreibend, keine originale
und selbständige Literatur. Das Einzige, worin sich diese Zeit productiv er¬
wies, war die Verfassung. Alles andere war Nachahmung. Alcuin war ein
sklavischer Schüler Augustins, Jstdors und Bedas. Einhard schmückte mit an¬
tiken Säulen den Dom zu Aachen, aus suetonischen Phrasen zimmerte er seine
Charakteristik Karls des Großen.

Die deutsche Literatur nahm vielmehr ihren Ursprung zunächst in dem
Bestreben Karls des Großen, das Christenthum zu sichern und zu befestigen.
Die Sachsen wurden von ihm unterworfen. Missionäre aus Fulda gingen an
ihre Christianisirung, Sturm, der dortige Abt, war dabei einer der Eifrigsten.
Vor der Taufe ließ man die Heiden dem Teufel entsagen und eine kurze
Glaubensformel sprechen und die Fragen und Antworten bei dieser Procedur
wurden für die ausziehenden Verehrer in sächsischer Sprache aufgezeichnet,
sei es, weil nicht alle dieser Sprache völlig mächtig waren, sei es, weil man


elementarsten Kräften ihrer Epoche zusammengeschossen ist. Und wie aus dem
Gewölk neuer Segen auf die Erde strömt, so dringen jene Heroen mit ihrem
Thun Jahrhunderten Befruchtung, spätern Generationen belebenden Anstoß.

Ein solcher Heros war Karl. Die Kaiseridee, das oberste Ende seiner
Politik, ist der Angelpunkt der deutschen Geschichte geworden, und an seinen
Namen knüpft sich auch die Wendung des geistigen Lebens unsrer Nation, mit
welcher sie aus einem schriftlosen Volke ein Literaturvolk wurde. Poetische und
Prosaische Production für schriftliche Aufzeichnung, Befestigung und Ausbreitung
des Gedankens für den Buchstaben wird nothwendig, wo es gilt ein System
neuer Vorstellungen einem Volke auf einmal zuzuführen, und dieser Fall trat
hier ein - es galt, den rohen Gemüthern der germanischen Stämme rasch und
unzerstörbar das Christenthum einzupflanzen. Noch haftete dieses, wo es über¬
haupt Boden gesunden, sehr lose in den Seelen. Der christliche Gott war der
officiell anerkannte, zu ihm beteten König, Beamte und Geistliche. Das Volk
fand sich mit ihm durch die Taufe und höchstens durch nothgedruugene spärliche
Kirchgange ab, im Uebrigen hielt es an seinen alten Göttern fest, wenn es
auch deren Namen nicht mehr nennen durfte und allmälig über den christlichen
Heiligen und Engeln vergaß, auf die Wodans oder Donars Wesen und Attri¬
bute übertragen wurden. Am wenigsten blieb das Heidenthum in Kraft in der
Umgebung der Bischofssitze und der großen Klöster, am meisten in den Gebirgen
und den ausgedehnten Waldgebieten. Denn auch auf die Priester, die nicht
unter scharfer Controle standen, war kein Verlaß. Sie waren ebenso ungast¬
liche als unwissende Gesellen, die nothwendigsten Begriffe, die unentbehrlichsten
Kenntnisse mangelten — es war viel, wenn einer die Taufformel, den Glauben
und allenfalls die Meßgebete ordentlich wußte. Am Hofe und von dem höhern
Klerus wurden die Reste der entschwundenen Culturblüthe gepflegt, aber diese
Gelehrten begründeten, nur lateinisch verkehrend und schreibend, keine originale
und selbständige Literatur. Das Einzige, worin sich diese Zeit productiv er¬
wies, war die Verfassung. Alles andere war Nachahmung. Alcuin war ein
sklavischer Schüler Augustins, Jstdors und Bedas. Einhard schmückte mit an¬
tiken Säulen den Dom zu Aachen, aus suetonischen Phrasen zimmerte er seine
Charakteristik Karls des Großen.

Die deutsche Literatur nahm vielmehr ihren Ursprung zunächst in dem
Bestreben Karls des Großen, das Christenthum zu sichern und zu befestigen.
Die Sachsen wurden von ihm unterworfen. Missionäre aus Fulda gingen an
ihre Christianisirung, Sturm, der dortige Abt, war dabei einer der Eifrigsten.
Vor der Taufe ließ man die Heiden dem Teufel entsagen und eine kurze
Glaubensformel sprechen und die Fragen und Antworten bei dieser Procedur
wurden für die ausziehenden Verehrer in sächsischer Sprache aufgezeichnet,
sei es, weil nicht alle dieser Sprache völlig mächtig waren, sei es, weil man


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189614"/>
          <p xml:id="ID_1896" prev="#ID_1895"> elementarsten Kräften ihrer Epoche zusammengeschossen ist. Und wie aus dem<lb/>
Gewölk neuer Segen auf die Erde strömt, so dringen jene Heroen mit ihrem<lb/>
Thun Jahrhunderten Befruchtung, spätern Generationen belebenden Anstoß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1897"> Ein solcher Heros war Karl. Die Kaiseridee, das oberste Ende seiner<lb/>
Politik, ist der Angelpunkt der deutschen Geschichte geworden, und an seinen<lb/>
Namen knüpft sich auch die Wendung des geistigen Lebens unsrer Nation, mit<lb/>
welcher sie aus einem schriftlosen Volke ein Literaturvolk wurde. Poetische und<lb/>
Prosaische Production für schriftliche Aufzeichnung, Befestigung und Ausbreitung<lb/>
des Gedankens für den Buchstaben wird nothwendig, wo es gilt ein System<lb/>
neuer Vorstellungen einem Volke auf einmal zuzuführen, und dieser Fall trat<lb/>
hier ein - es galt, den rohen Gemüthern der germanischen Stämme rasch und<lb/>
unzerstörbar das Christenthum einzupflanzen. Noch haftete dieses, wo es über¬<lb/>
haupt Boden gesunden, sehr lose in den Seelen. Der christliche Gott war der<lb/>
officiell anerkannte, zu ihm beteten König, Beamte und Geistliche. Das Volk<lb/>
fand sich mit ihm durch die Taufe und höchstens durch nothgedruugene spärliche<lb/>
Kirchgange ab, im Uebrigen hielt es an seinen alten Göttern fest, wenn es<lb/>
auch deren Namen nicht mehr nennen durfte und allmälig über den christlichen<lb/>
Heiligen und Engeln vergaß, auf die Wodans oder Donars Wesen und Attri¬<lb/>
bute übertragen wurden. Am wenigsten blieb das Heidenthum in Kraft in der<lb/>
Umgebung der Bischofssitze und der großen Klöster, am meisten in den Gebirgen<lb/>
und den ausgedehnten Waldgebieten. Denn auch auf die Priester, die nicht<lb/>
unter scharfer Controle standen, war kein Verlaß. Sie waren ebenso ungast¬<lb/>
liche als unwissende Gesellen, die nothwendigsten Begriffe, die unentbehrlichsten<lb/>
Kenntnisse mangelten &#x2014; es war viel, wenn einer die Taufformel, den Glauben<lb/>
und allenfalls die Meßgebete ordentlich wußte. Am Hofe und von dem höhern<lb/>
Klerus wurden die Reste der entschwundenen Culturblüthe gepflegt, aber diese<lb/>
Gelehrten begründeten, nur lateinisch verkehrend und schreibend, keine originale<lb/>
und selbständige Literatur. Das Einzige, worin sich diese Zeit productiv er¬<lb/>
wies, war die Verfassung. Alles andere war Nachahmung. Alcuin war ein<lb/>
sklavischer Schüler Augustins, Jstdors und Bedas. Einhard schmückte mit an¬<lb/>
tiken Säulen den Dom zu Aachen, aus suetonischen Phrasen zimmerte er seine<lb/>
Charakteristik Karls des Großen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1898" next="#ID_1899"> Die deutsche Literatur nahm vielmehr ihren Ursprung zunächst in dem<lb/>
Bestreben Karls des Großen, das Christenthum zu sichern und zu befestigen.<lb/>
Die Sachsen wurden von ihm unterworfen. Missionäre aus Fulda gingen an<lb/>
ihre Christianisirung, Sturm, der dortige Abt, war dabei einer der Eifrigsten.<lb/>
Vor der Taufe ließ man die Heiden dem Teufel entsagen und eine kurze<lb/>
Glaubensformel sprechen und die Fragen und Antworten bei dieser Procedur<lb/>
wurden für die ausziehenden Verehrer in sächsischer Sprache aufgezeichnet,<lb/>
sei es, weil nicht alle dieser Sprache völlig mächtig waren, sei es, weil man</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0519] elementarsten Kräften ihrer Epoche zusammengeschossen ist. Und wie aus dem Gewölk neuer Segen auf die Erde strömt, so dringen jene Heroen mit ihrem Thun Jahrhunderten Befruchtung, spätern Generationen belebenden Anstoß. Ein solcher Heros war Karl. Die Kaiseridee, das oberste Ende seiner Politik, ist der Angelpunkt der deutschen Geschichte geworden, und an seinen Namen knüpft sich auch die Wendung des geistigen Lebens unsrer Nation, mit welcher sie aus einem schriftlosen Volke ein Literaturvolk wurde. Poetische und Prosaische Production für schriftliche Aufzeichnung, Befestigung und Ausbreitung des Gedankens für den Buchstaben wird nothwendig, wo es gilt ein System neuer Vorstellungen einem Volke auf einmal zuzuführen, und dieser Fall trat hier ein - es galt, den rohen Gemüthern der germanischen Stämme rasch und unzerstörbar das Christenthum einzupflanzen. Noch haftete dieses, wo es über¬ haupt Boden gesunden, sehr lose in den Seelen. Der christliche Gott war der officiell anerkannte, zu ihm beteten König, Beamte und Geistliche. Das Volk fand sich mit ihm durch die Taufe und höchstens durch nothgedruugene spärliche Kirchgange ab, im Uebrigen hielt es an seinen alten Göttern fest, wenn es auch deren Namen nicht mehr nennen durfte und allmälig über den christlichen Heiligen und Engeln vergaß, auf die Wodans oder Donars Wesen und Attri¬ bute übertragen wurden. Am wenigsten blieb das Heidenthum in Kraft in der Umgebung der Bischofssitze und der großen Klöster, am meisten in den Gebirgen und den ausgedehnten Waldgebieten. Denn auch auf die Priester, die nicht unter scharfer Controle standen, war kein Verlaß. Sie waren ebenso ungast¬ liche als unwissende Gesellen, die nothwendigsten Begriffe, die unentbehrlichsten Kenntnisse mangelten — es war viel, wenn einer die Taufformel, den Glauben und allenfalls die Meßgebete ordentlich wußte. Am Hofe und von dem höhern Klerus wurden die Reste der entschwundenen Culturblüthe gepflegt, aber diese Gelehrten begründeten, nur lateinisch verkehrend und schreibend, keine originale und selbständige Literatur. Das Einzige, worin sich diese Zeit productiv er¬ wies, war die Verfassung. Alles andere war Nachahmung. Alcuin war ein sklavischer Schüler Augustins, Jstdors und Bedas. Einhard schmückte mit an¬ tiken Säulen den Dom zu Aachen, aus suetonischen Phrasen zimmerte er seine Charakteristik Karls des Großen. Die deutsche Literatur nahm vielmehr ihren Ursprung zunächst in dem Bestreben Karls des Großen, das Christenthum zu sichern und zu befestigen. Die Sachsen wurden von ihm unterworfen. Missionäre aus Fulda gingen an ihre Christianisirung, Sturm, der dortige Abt, war dabei einer der Eifrigsten. Vor der Taufe ließ man die Heiden dem Teufel entsagen und eine kurze Glaubensformel sprechen und die Fragen und Antworten bei dieser Procedur wurden für die ausziehenden Verehrer in sächsischer Sprache aufgezeichnet, sei es, weil nicht alle dieser Sprache völlig mächtig waren, sei es, weil man

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/519
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/519>, abgerufen am 28.09.2024.