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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Aber freilich wie hätten sie es ahnen können, sie, die mit den Messias¬
glauben, wie er sich jetzt gebildet hatte, mit vollen Segeln ins Jüdische zurück¬
gesteuert waren. So war es ja doch nur ein künftiger Messias, auf den sie
hofften. -- gerade wie die Juden. Die Erfüllung war abermals zur Hoffnung
geworden, und nur die Person des Erwarteten war es, die einen Unterschied
zwischen ihrem Glauben und dem der Juden begründete. Die Juden sagten:
wir hoffen auf den Messias; die Jünger sagten: auch wir hoffen auf den Mes¬
sias, nur fügten sie bei: der, welcher kommen wird, ist derselbe Jesus von Na-
zareth, der unter uns gelebt hat und am Kreuz gestorben ist. JKr Glaube an
die Wiederkunft des Herrn war ein unmittelbarer Rückfall- ins Jüdische, und
dieser Rückfall machte sich sofort auf allen Punkten bemerklich. Zunächst in der
Art und Weise, wie nun das Leben Jesu in der Erinnerung der Jünger sich
mit jüdischen Zügen mischte. Stand die Mcssianität Jesu fest, so mußte er jetzt
in allen Dingen dem Ideale gleichgemacht werden, das die alten Propheten
schon vom Messias aufgestellt hatten. Je mehr übereinstimmende Züge sich aus¬
weisen ließen, um so mehr Argumente hatte man für seine Mcssianität. Jetzt
mußte der arme Zimmermannssohn aus Davids Geschlecht sein, der Prophet
hatte es ja gesagt; jetzt mußte der Nazarener zu Bethlehem geboren sein, denn
so stand es im Propheten; jetzt mußte er in seiner Kindheit nach Acgypten ge¬
flohen sein, damit erfüllt würden die Worte: aus Aegypten habe ich meinen
Sohn gerufen. In unsrem ersten Evangelium haben wir noch den treusten
Niederschlag der Rückbildung der Jesusgeschichte ins Alttestamentliche. Es ge¬
schieht fast nichts, ohne daß hinzugefügt würde: denn also stehet geschrieben.

Allein noch weit mehr zeigt sich dieses Ueberwuchern der alttestamentlichen
Vorstellungen in den Ideen, welche sich die Christen von der Wiederkunft des
Messias machten. Der ganze Bilderrcichthum der jüdischen Apokalyptik ward
von ihnen adoptirt. um das Nahen des Mcnschensohns, die Herrlichkeit des
messianischen Reichs und das Gericht zu schildern. In denselben Ausdrücken,
wie einst das Buch Daniel und das Buch Henoch die kommenden Tage aus¬
gemalt hatten, so jetzt die Christen. Ganz derselbe stereotype Apparat von
Kriegen und Hungersnöthen. Plagen und Schlachten. Trompeten und Engelschaa-
ren, hier wie dort. Erst später machte sich ein bezeichnender Unterschied geltend.
In den jüdischen Apokalypsen war das Richtercnnt stets Gott selbst vorbehal¬
ten; die christliche Lehre von den letzten Dingen schritt dazu fort, dasselbe dem
Messias zu übertragen. Dies zu denken wäre einem Juden unmöglich gewesen;
die Christen scheuten auch vor dieser Folgerung nicht zurück. Es war die na¬
türliche Consequenz der Steigerung, welche die Attribute Jesu seit dem Auf¬
erstehungsglauben unaufhaltsam erfuhren. Vielleicht mag auch noch die Erinne¬
rung an irgendeine jener blitzenden Bilderreden, mit welchen Jesus Gegen¬
wart und fernste Zukunft verknüpfte, mitgeholfen haben. Jedenfalls aber ist


Aber freilich wie hätten sie es ahnen können, sie, die mit den Messias¬
glauben, wie er sich jetzt gebildet hatte, mit vollen Segeln ins Jüdische zurück¬
gesteuert waren. So war es ja doch nur ein künftiger Messias, auf den sie
hofften. — gerade wie die Juden. Die Erfüllung war abermals zur Hoffnung
geworden, und nur die Person des Erwarteten war es, die einen Unterschied
zwischen ihrem Glauben und dem der Juden begründete. Die Juden sagten:
wir hoffen auf den Messias; die Jünger sagten: auch wir hoffen auf den Mes¬
sias, nur fügten sie bei: der, welcher kommen wird, ist derselbe Jesus von Na-
zareth, der unter uns gelebt hat und am Kreuz gestorben ist. JKr Glaube an
die Wiederkunft des Herrn war ein unmittelbarer Rückfall- ins Jüdische, und
dieser Rückfall machte sich sofort auf allen Punkten bemerklich. Zunächst in der
Art und Weise, wie nun das Leben Jesu in der Erinnerung der Jünger sich
mit jüdischen Zügen mischte. Stand die Mcssianität Jesu fest, so mußte er jetzt
in allen Dingen dem Ideale gleichgemacht werden, das die alten Propheten
schon vom Messias aufgestellt hatten. Je mehr übereinstimmende Züge sich aus¬
weisen ließen, um so mehr Argumente hatte man für seine Mcssianität. Jetzt
mußte der arme Zimmermannssohn aus Davids Geschlecht sein, der Prophet
hatte es ja gesagt; jetzt mußte der Nazarener zu Bethlehem geboren sein, denn
so stand es im Propheten; jetzt mußte er in seiner Kindheit nach Acgypten ge¬
flohen sein, damit erfüllt würden die Worte: aus Aegypten habe ich meinen
Sohn gerufen. In unsrem ersten Evangelium haben wir noch den treusten
Niederschlag der Rückbildung der Jesusgeschichte ins Alttestamentliche. Es ge¬
schieht fast nichts, ohne daß hinzugefügt würde: denn also stehet geschrieben.

Allein noch weit mehr zeigt sich dieses Ueberwuchern der alttestamentlichen
Vorstellungen in den Ideen, welche sich die Christen von der Wiederkunft des
Messias machten. Der ganze Bilderrcichthum der jüdischen Apokalyptik ward
von ihnen adoptirt. um das Nahen des Mcnschensohns, die Herrlichkeit des
messianischen Reichs und das Gericht zu schildern. In denselben Ausdrücken,
wie einst das Buch Daniel und das Buch Henoch die kommenden Tage aus¬
gemalt hatten, so jetzt die Christen. Ganz derselbe stereotype Apparat von
Kriegen und Hungersnöthen. Plagen und Schlachten. Trompeten und Engelschaa-
ren, hier wie dort. Erst später machte sich ein bezeichnender Unterschied geltend.
In den jüdischen Apokalypsen war das Richtercnnt stets Gott selbst vorbehal¬
ten; die christliche Lehre von den letzten Dingen schritt dazu fort, dasselbe dem
Messias zu übertragen. Dies zu denken wäre einem Juden unmöglich gewesen;
die Christen scheuten auch vor dieser Folgerung nicht zurück. Es war die na¬
türliche Consequenz der Steigerung, welche die Attribute Jesu seit dem Auf¬
erstehungsglauben unaufhaltsam erfuhren. Vielleicht mag auch noch die Erinne¬
rung an irgendeine jener blitzenden Bilderreden, mit welchen Jesus Gegen¬
wart und fernste Zukunft verknüpfte, mitgeholfen haben. Jedenfalls aber ist


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[0511] Aber freilich wie hätten sie es ahnen können, sie, die mit den Messias¬ glauben, wie er sich jetzt gebildet hatte, mit vollen Segeln ins Jüdische zurück¬ gesteuert waren. So war es ja doch nur ein künftiger Messias, auf den sie hofften. — gerade wie die Juden. Die Erfüllung war abermals zur Hoffnung geworden, und nur die Person des Erwarteten war es, die einen Unterschied zwischen ihrem Glauben und dem der Juden begründete. Die Juden sagten: wir hoffen auf den Messias; die Jünger sagten: auch wir hoffen auf den Mes¬ sias, nur fügten sie bei: der, welcher kommen wird, ist derselbe Jesus von Na- zareth, der unter uns gelebt hat und am Kreuz gestorben ist. JKr Glaube an die Wiederkunft des Herrn war ein unmittelbarer Rückfall- ins Jüdische, und dieser Rückfall machte sich sofort auf allen Punkten bemerklich. Zunächst in der Art und Weise, wie nun das Leben Jesu in der Erinnerung der Jünger sich mit jüdischen Zügen mischte. Stand die Mcssianität Jesu fest, so mußte er jetzt in allen Dingen dem Ideale gleichgemacht werden, das die alten Propheten schon vom Messias aufgestellt hatten. Je mehr übereinstimmende Züge sich aus¬ weisen ließen, um so mehr Argumente hatte man für seine Mcssianität. Jetzt mußte der arme Zimmermannssohn aus Davids Geschlecht sein, der Prophet hatte es ja gesagt; jetzt mußte der Nazarener zu Bethlehem geboren sein, denn so stand es im Propheten; jetzt mußte er in seiner Kindheit nach Acgypten ge¬ flohen sein, damit erfüllt würden die Worte: aus Aegypten habe ich meinen Sohn gerufen. In unsrem ersten Evangelium haben wir noch den treusten Niederschlag der Rückbildung der Jesusgeschichte ins Alttestamentliche. Es ge¬ schieht fast nichts, ohne daß hinzugefügt würde: denn also stehet geschrieben. Allein noch weit mehr zeigt sich dieses Ueberwuchern der alttestamentlichen Vorstellungen in den Ideen, welche sich die Christen von der Wiederkunft des Messias machten. Der ganze Bilderrcichthum der jüdischen Apokalyptik ward von ihnen adoptirt. um das Nahen des Mcnschensohns, die Herrlichkeit des messianischen Reichs und das Gericht zu schildern. In denselben Ausdrücken, wie einst das Buch Daniel und das Buch Henoch die kommenden Tage aus¬ gemalt hatten, so jetzt die Christen. Ganz derselbe stereotype Apparat von Kriegen und Hungersnöthen. Plagen und Schlachten. Trompeten und Engelschaa- ren, hier wie dort. Erst später machte sich ein bezeichnender Unterschied geltend. In den jüdischen Apokalypsen war das Richtercnnt stets Gott selbst vorbehal¬ ten; die christliche Lehre von den letzten Dingen schritt dazu fort, dasselbe dem Messias zu übertragen. Dies zu denken wäre einem Juden unmöglich gewesen; die Christen scheuten auch vor dieser Folgerung nicht zurück. Es war die na¬ türliche Consequenz der Steigerung, welche die Attribute Jesu seit dem Auf¬ erstehungsglauben unaufhaltsam erfuhren. Vielleicht mag auch noch die Erinne¬ rung an irgendeine jener blitzenden Bilderreden, mit welchen Jesus Gegen¬ wart und fernste Zukunft verknüpfte, mitgeholfen haben. Jedenfalls aber ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/511>, abgerufen am 21.10.2024.