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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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und Wesen. Dieses Zeugniß ist nun von höchster Bedeutung. Zunächst be¬
weist es, daß damals der Glaube an die Himmelfahrt noch nicht existirte. Denn
diese hätte ja einen schärfen Strich gezogen zwischen den Erscheinungen, welche
die älteren Jünger, und derjenigen, welche Paulus hatte. Paulus hätte sich
also der Gefahr ausgesetzt, daß die älteren Apostel, die ihm wahrlich nichts
geschenkt hätten, gegen jene Gleichstellung sich auf die Himmelfahrt berufen haben
würden, welche den späteren Erscheinungen einen ganz anderen Charakter aus¬
drücken mußte als denen vor diesem Ereignis;. Allein Paulus hatte jene Er¬
zählungen ohne Zweifel aus dem Mund der älteren Apostel selbst, er wußte, daß
ihre Erscheinungen keine anderen waren als seine eigenen, und so sind wir
denn vollberechtigt, aus der Art, wie er die seinigen beschreibt, den Rückschluß
zu machen auf diejenigen, in welchen die älteren Apostel sich des Fortlebens
ihres Herrn vergewisserten. Und dieser Rückschluß führt uns nun eben auf
das Gebiet innerer psychologischer Vorgänge. An mehren Stellen seiner Briefe
spricht Paulus von der ihm gewordenen Offenbarung, aber jedesmal in kür¬
zester, einfachster Weise, blos dies hervorhebend, daß ihm der Auferstandene
sich geoffenbaret habe, ohne begleitende Zeichen und Wunder. Einmal beschreibt
er seinen Zustand ausdrücklich als den einer Verzückung, da er seiner Sinne
nicht mehr mächtig bis in den dritten Himmel fortgerissen ward und unaus¬
sprechliche Worte vernahm. Es ist eine einfache Thatsache seines inneren Be¬
wußtseins, daß es. wie er ein anders Mal sagt, "Gott gefiel, seinen Sohn in
ihm zu offenbaren, daß er ihn durch" Evangelium verkündigen sollte den
Heiden." Nicht als ob Paulus nicht von der Objectivität dieser Erscheinungen
überzeugt gewesen wäre; es ist ja eben das Eigenthümliche visionärer Zustände,
daß die innere Erfahrung als ein äußerlicher Borgang vorgestellt wird, allein
die Worte selbst, die der Apostel gebraucht, lassen über den visionären Charakter
dieser Erscheinungen keinen Zweifel, und das keusche Maß in seiner Beschreibung
ist um so bemerkenswerther, je größere Bedeutung für ihn diese Offenbarung
hatte. Denn auf sie gründete er,seinen apostolischen Beruf, seinen Anspruch
auf Ebenbürtigkeit mit den älteren Aposteln, und wie sie für ihn persönlich
der Anfang des neuen Lebens war, so machte er sie auch zum Grundstein seines
ganzen christlichen Systems.

Aber freilich, solche psychologische Vorgänge, die immer etwas Rätselhaftes
haben, ließ sich der herrschende Wunderglaube der Zeit am wcnisten entgehen.
Wie leicht sie der ausschmückenden, alles ins Materielle bildenden Sage ver¬
fielen, zeigt gleich die Darstellung, welche in der Apostelgeschichte von der Er¬
leuchtung des bisherigen Pharisäers gegeben wird. Sie findet sich dreimal er¬
zählt, nicht ohne Abweichungen, und zwar zweimal in den Mund des Apostels
selbst verlegt. Aber welcher Unterschied gegen jene authentischen Aussagen des
Apostels in seinen Briefen! Jetzt ist sie in das obligate Schema der Bekchrungs-


und Wesen. Dieses Zeugniß ist nun von höchster Bedeutung. Zunächst be¬
weist es, daß damals der Glaube an die Himmelfahrt noch nicht existirte. Denn
diese hätte ja einen schärfen Strich gezogen zwischen den Erscheinungen, welche
die älteren Jünger, und derjenigen, welche Paulus hatte. Paulus hätte sich
also der Gefahr ausgesetzt, daß die älteren Apostel, die ihm wahrlich nichts
geschenkt hätten, gegen jene Gleichstellung sich auf die Himmelfahrt berufen haben
würden, welche den späteren Erscheinungen einen ganz anderen Charakter aus¬
drücken mußte als denen vor diesem Ereignis;. Allein Paulus hatte jene Er¬
zählungen ohne Zweifel aus dem Mund der älteren Apostel selbst, er wußte, daß
ihre Erscheinungen keine anderen waren als seine eigenen, und so sind wir
denn vollberechtigt, aus der Art, wie er die seinigen beschreibt, den Rückschluß
zu machen auf diejenigen, in welchen die älteren Apostel sich des Fortlebens
ihres Herrn vergewisserten. Und dieser Rückschluß führt uns nun eben auf
das Gebiet innerer psychologischer Vorgänge. An mehren Stellen seiner Briefe
spricht Paulus von der ihm gewordenen Offenbarung, aber jedesmal in kür¬
zester, einfachster Weise, blos dies hervorhebend, daß ihm der Auferstandene
sich geoffenbaret habe, ohne begleitende Zeichen und Wunder. Einmal beschreibt
er seinen Zustand ausdrücklich als den einer Verzückung, da er seiner Sinne
nicht mehr mächtig bis in den dritten Himmel fortgerissen ward und unaus¬
sprechliche Worte vernahm. Es ist eine einfache Thatsache seines inneren Be¬
wußtseins, daß es. wie er ein anders Mal sagt, „Gott gefiel, seinen Sohn in
ihm zu offenbaren, daß er ihn durch« Evangelium verkündigen sollte den
Heiden." Nicht als ob Paulus nicht von der Objectivität dieser Erscheinungen
überzeugt gewesen wäre; es ist ja eben das Eigenthümliche visionärer Zustände,
daß die innere Erfahrung als ein äußerlicher Borgang vorgestellt wird, allein
die Worte selbst, die der Apostel gebraucht, lassen über den visionären Charakter
dieser Erscheinungen keinen Zweifel, und das keusche Maß in seiner Beschreibung
ist um so bemerkenswerther, je größere Bedeutung für ihn diese Offenbarung
hatte. Denn auf sie gründete er,seinen apostolischen Beruf, seinen Anspruch
auf Ebenbürtigkeit mit den älteren Aposteln, und wie sie für ihn persönlich
der Anfang des neuen Lebens war, so machte er sie auch zum Grundstein seines
ganzen christlichen Systems.

Aber freilich, solche psychologische Vorgänge, die immer etwas Rätselhaftes
haben, ließ sich der herrschende Wunderglaube der Zeit am wcnisten entgehen.
Wie leicht sie der ausschmückenden, alles ins Materielle bildenden Sage ver¬
fielen, zeigt gleich die Darstellung, welche in der Apostelgeschichte von der Er¬
leuchtung des bisherigen Pharisäers gegeben wird. Sie findet sich dreimal er¬
zählt, nicht ohne Abweichungen, und zwar zweimal in den Mund des Apostels
selbst verlegt. Aber welcher Unterschied gegen jene authentischen Aussagen des
Apostels in seinen Briefen! Jetzt ist sie in das obligate Schema der Bekchrungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/506>, abgerufen am 28.09.2024.