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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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an der Uebereinstimmung von Form und Inhalt einerseits und des Unvermögens
eigener Erfindung andrerseits. Wo wir Auflehnung gegen das Konventionelle
wahrnehmen, da richtet-sie sich gegen die Maßverhältnisse und die Linienharmonie
der antiken Form und giebt sich demnach zuerst nur als eine Art Verstümme¬
lung und Verzerrung kund. Hier werden die Gestalten untersetzter, breiter ge¬
zeichnet, dort recken sie sich über Gebühr empor; das Auge als der Spiegel
der Seele, wird vergrößert statt vertieft und erfüllt, die Brauen hochgeschwungen;
überall das gleiche Bestreben, durch Erweiterung und Uebertreibung der Dimen¬
sionen zu erlangen, was nur die Einführung eines ganz neuen Factors vermag,
dessen man noch nicht mächtig ist.

Dann und wann scheint in plastischen Werken frühchristlichen Ursprungs
jenes Abhängigkeitsverhältniß eine gewisse Freiheit zu gewinnen. Wir gedenken
beiläufig und auf eigene Hand der Sculpturen, von denen eine schöne Samen
lung unter andern im lateranischen Museum aufgestellt ist. Jene Sarkophage
mit den graziösen Darstellungen christlicher Gegenstände würden, wenn sie
originell wären, unsre Bewunderung verdienen. Allein es zeigt sich nur zu
deutlich, daß wir hier noch viel sklavischere Copien und Überarbeitungen antiker
Werke vor uns haben wie in der Malerei. Immerhin liegt in diesen Denk¬
mälern, auf denen heidnische Compositionen Koua nao zum Ausdruck christlicher
sujets verwendet sind, so daß man die zierliche spätrömische Relicfarbeit auf
Gebilde übertragen sieht, an deren Vorstellung seit ihrem ersten Auftreten in
der Kunst sonst die Wucht und der Ernst von Typen kirchlicher Verehrung
haftet, eine unwiderstehliche rührende Naivetät. Das Verdienst der christlichen
Künstler als solcher aber ist dabei äußerst gering. Die Wirkung, welche sie
hervorbringen, ist eben erborgt und besteht nicht in der Uebereinstimmung,
sondern vielmehr gerade im Widersprüche von Absicht und Leistung.

Mit einigem Rechte, aber natürlich auch mit beträchtlicher Einschränkung,
läßt sich Aehnliches auch von der christlichen Sculptur sagen, die in den spä¬
teren Jahrhunderten in Süditalien und im dreizehnten in Toskana auftritt,
so ferne es auch sei, namentlich die edlen toskanischen Leistungen mit den eben
berührten auch nur vergleichen zu wollen. Oft ist von dem Vorzuge gesprochen
worden, den Muse und Schicksal der frühzeitigen Entwicklung der Bildhauerei
in Italien vor der Malerei gegönnt habe. Wahr ist: sie hat sich in einer ge¬
wissen Stätigkeit entfalten können; denn sie hat der classischen Vorbilder nie¬
mals gänzlich ermangelt und hat, dank diesem Glücksumstande, nie völlig die
Einsicht verloren, daß sie in diesen ihre Muster und Lehrer zu suchen hatte.
Dafür ist sie jedoch auch länger im Heidenthum stecken geblieben, d. h. sie hat
längere Zeit unfreier gearbeitet, hat den neuen Inhalt den schematich gewor¬
denen antiken Formen wohl oder übel untergeordnet. Bis auf die Tage der
Ghiberti, Donatello, Robbia dauert das unbefangene, ja fast unbewußte Ver"


an der Uebereinstimmung von Form und Inhalt einerseits und des Unvermögens
eigener Erfindung andrerseits. Wo wir Auflehnung gegen das Konventionelle
wahrnehmen, da richtet-sie sich gegen die Maßverhältnisse und die Linienharmonie
der antiken Form und giebt sich demnach zuerst nur als eine Art Verstümme¬
lung und Verzerrung kund. Hier werden die Gestalten untersetzter, breiter ge¬
zeichnet, dort recken sie sich über Gebühr empor; das Auge als der Spiegel
der Seele, wird vergrößert statt vertieft und erfüllt, die Brauen hochgeschwungen;
überall das gleiche Bestreben, durch Erweiterung und Uebertreibung der Dimen¬
sionen zu erlangen, was nur die Einführung eines ganz neuen Factors vermag,
dessen man noch nicht mächtig ist.

Dann und wann scheint in plastischen Werken frühchristlichen Ursprungs
jenes Abhängigkeitsverhältniß eine gewisse Freiheit zu gewinnen. Wir gedenken
beiläufig und auf eigene Hand der Sculpturen, von denen eine schöne Samen
lung unter andern im lateranischen Museum aufgestellt ist. Jene Sarkophage
mit den graziösen Darstellungen christlicher Gegenstände würden, wenn sie
originell wären, unsre Bewunderung verdienen. Allein es zeigt sich nur zu
deutlich, daß wir hier noch viel sklavischere Copien und Überarbeitungen antiker
Werke vor uns haben wie in der Malerei. Immerhin liegt in diesen Denk¬
mälern, auf denen heidnische Compositionen Koua nao zum Ausdruck christlicher
sujets verwendet sind, so daß man die zierliche spätrömische Relicfarbeit auf
Gebilde übertragen sieht, an deren Vorstellung seit ihrem ersten Auftreten in
der Kunst sonst die Wucht und der Ernst von Typen kirchlicher Verehrung
haftet, eine unwiderstehliche rührende Naivetät. Das Verdienst der christlichen
Künstler als solcher aber ist dabei äußerst gering. Die Wirkung, welche sie
hervorbringen, ist eben erborgt und besteht nicht in der Uebereinstimmung,
sondern vielmehr gerade im Widersprüche von Absicht und Leistung.

Mit einigem Rechte, aber natürlich auch mit beträchtlicher Einschränkung,
läßt sich Aehnliches auch von der christlichen Sculptur sagen, die in den spä¬
teren Jahrhunderten in Süditalien und im dreizehnten in Toskana auftritt,
so ferne es auch sei, namentlich die edlen toskanischen Leistungen mit den eben
berührten auch nur vergleichen zu wollen. Oft ist von dem Vorzuge gesprochen
worden, den Muse und Schicksal der frühzeitigen Entwicklung der Bildhauerei
in Italien vor der Malerei gegönnt habe. Wahr ist: sie hat sich in einer ge¬
wissen Stätigkeit entfalten können; denn sie hat der classischen Vorbilder nie¬
mals gänzlich ermangelt und hat, dank diesem Glücksumstande, nie völlig die
Einsicht verloren, daß sie in diesen ihre Muster und Lehrer zu suchen hatte.
Dafür ist sie jedoch auch länger im Heidenthum stecken geblieben, d. h. sie hat
längere Zeit unfreier gearbeitet, hat den neuen Inhalt den schematich gewor¬
denen antiken Formen wohl oder übel untergeordnet. Bis auf die Tage der
Ghiberti, Donatello, Robbia dauert das unbefangene, ja fast unbewußte Ver«


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[0493] an der Uebereinstimmung von Form und Inhalt einerseits und des Unvermögens eigener Erfindung andrerseits. Wo wir Auflehnung gegen das Konventionelle wahrnehmen, da richtet-sie sich gegen die Maßverhältnisse und die Linienharmonie der antiken Form und giebt sich demnach zuerst nur als eine Art Verstümme¬ lung und Verzerrung kund. Hier werden die Gestalten untersetzter, breiter ge¬ zeichnet, dort recken sie sich über Gebühr empor; das Auge als der Spiegel der Seele, wird vergrößert statt vertieft und erfüllt, die Brauen hochgeschwungen; überall das gleiche Bestreben, durch Erweiterung und Uebertreibung der Dimen¬ sionen zu erlangen, was nur die Einführung eines ganz neuen Factors vermag, dessen man noch nicht mächtig ist. Dann und wann scheint in plastischen Werken frühchristlichen Ursprungs jenes Abhängigkeitsverhältniß eine gewisse Freiheit zu gewinnen. Wir gedenken beiläufig und auf eigene Hand der Sculpturen, von denen eine schöne Samen lung unter andern im lateranischen Museum aufgestellt ist. Jene Sarkophage mit den graziösen Darstellungen christlicher Gegenstände würden, wenn sie originell wären, unsre Bewunderung verdienen. Allein es zeigt sich nur zu deutlich, daß wir hier noch viel sklavischere Copien und Überarbeitungen antiker Werke vor uns haben wie in der Malerei. Immerhin liegt in diesen Denk¬ mälern, auf denen heidnische Compositionen Koua nao zum Ausdruck christlicher sujets verwendet sind, so daß man die zierliche spätrömische Relicfarbeit auf Gebilde übertragen sieht, an deren Vorstellung seit ihrem ersten Auftreten in der Kunst sonst die Wucht und der Ernst von Typen kirchlicher Verehrung haftet, eine unwiderstehliche rührende Naivetät. Das Verdienst der christlichen Künstler als solcher aber ist dabei äußerst gering. Die Wirkung, welche sie hervorbringen, ist eben erborgt und besteht nicht in der Uebereinstimmung, sondern vielmehr gerade im Widersprüche von Absicht und Leistung. Mit einigem Rechte, aber natürlich auch mit beträchtlicher Einschränkung, läßt sich Aehnliches auch von der christlichen Sculptur sagen, die in den spä¬ teren Jahrhunderten in Süditalien und im dreizehnten in Toskana auftritt, so ferne es auch sei, namentlich die edlen toskanischen Leistungen mit den eben berührten auch nur vergleichen zu wollen. Oft ist von dem Vorzuge gesprochen worden, den Muse und Schicksal der frühzeitigen Entwicklung der Bildhauerei in Italien vor der Malerei gegönnt habe. Wahr ist: sie hat sich in einer ge¬ wissen Stätigkeit entfalten können; denn sie hat der classischen Vorbilder nie¬ mals gänzlich ermangelt und hat, dank diesem Glücksumstande, nie völlig die Einsicht verloren, daß sie in diesen ihre Muster und Lehrer zu suchen hatte. Dafür ist sie jedoch auch länger im Heidenthum stecken geblieben, d. h. sie hat längere Zeit unfreier gearbeitet, hat den neuen Inhalt den schematich gewor¬ denen antiken Formen wohl oder übel untergeordnet. Bis auf die Tage der Ghiberti, Donatello, Robbia dauert das unbefangene, ja fast unbewußte Ver«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/493>, abgerufen am 28.09.2024.