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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Kritik" oder "nüchterner Verstaudestyrannei", wie sie derartigen exacten Arbeiten
zu begegnen Pflegen, zum kindischen Geschwäp werden.

Wir wenden uns zum Inhalte unsres Manuscripts, von dessen ersten
Capiteln wir im Nachfolgenden eine Skizze versuchen, was freilich nur mit dem
Geständniß geschehen darf, daß eine hervorragende Seite desselben, die Fülle des
Details in Beschreibung und Beweisführung dabei nur mangelhaft berathen
bleiben kann.

Die Anfänge des Christenthums im alten Rom bezeichnen mit nichten auch
den Anfang einer ursprünglichen Kunst. Wie später draußen im politischen und
vor allem im Bildungsleben der neuen Nationen das Römische sich kundgiebt
und um sich greift als Sieger in der Cultur über seine Sieger im Felde, so
tragen auch die ersten Hände, welche christliche Gebilde schaffen, noch die gol¬
dene Fessel des antiken Stils. In den stillen, düstern Kammern unter der
Erbe, wohin die Bekenner des Kreuzes sich flüchten, reden uns von den Wän¬
den die lebendigen Spuren des geistigen Lehnsbriefes an. womit Roms sinken¬
der Genius die neue Welt beglaubigt. Und diese geheimnißvolle unlösbare
Beziehung, so widerwillig sie anerkannt, so unbewußtste bewährt wird, zwingt
diese einsiedelnde Kunstthätigkeit auch in den Entwicklungsgang, in den stetigen
Verfall mit hinein, vermöge dessen oben an der Sonne die überreifen Früchte
der antiken Kunstschöpfung allmälig verkommen.

Die Maler der Katakomben verrathen allenthalben ihren Ursprung aus
der römischen Kunstweise. Ueberall die gleichen Typen; Costüm, Grup-
pirung, alles Reminiscenz; Hand und Gestaltungsflnn stehen willenlos im
Banne der antiken Formen. Auch der sinnliche Reiz der alten Lebensanschauung
kommt noch zu einem gewissen Rechte. Die Heiterkeit, mit welcher die Alten
selbst die Stätte der Todten wohnlich und vertraulich zu machen strebten, findet
hier Nachahmung. Die ältesten christlichen Katakombenbilder sind nicht selten
umsäumt mit Kränzen heidnischer Blumen; um die Gestalt des guten Hirten
flattert Cupido durch Rebengewinde.

So erzeugt dieses doppelte Verhältniß, welches die Maler zu ihrem Gegen¬
stande und welches sie zu dem Ductus der Production einnehmen, naturgemäß
auch noch einen andern Widerspruch. Je geschickter sie sich als Zeichner er'
weisen, desto ungeschickter erscheinen sie, um dasjenige auszudrücken, was die
Gegenstände der christlichen Anschauung verlangen. Die Bedeutsamkeit des
Innerlichen, die Fülle des Gemüthsinhaltes geht leer aus: schlichte Gefäße
stehen uns gegenüber, in welche der gläubige Beschauer den Gehalt hinein¬
zugießen hat. Wo aber ein eigenes Kunflidiom hervorzutreten scheint, wo wirk¬
lich ungewohnte Gestaltungen begegnen, da ist es nicht sowohl eine neue origi¬
nelle Kunstgattung, was wir sehen, sondern vielmehr das Resultat des Zweifels


Kritik" oder „nüchterner Verstaudestyrannei", wie sie derartigen exacten Arbeiten
zu begegnen Pflegen, zum kindischen Geschwäp werden.

Wir wenden uns zum Inhalte unsres Manuscripts, von dessen ersten
Capiteln wir im Nachfolgenden eine Skizze versuchen, was freilich nur mit dem
Geständniß geschehen darf, daß eine hervorragende Seite desselben, die Fülle des
Details in Beschreibung und Beweisführung dabei nur mangelhaft berathen
bleiben kann.

Die Anfänge des Christenthums im alten Rom bezeichnen mit nichten auch
den Anfang einer ursprünglichen Kunst. Wie später draußen im politischen und
vor allem im Bildungsleben der neuen Nationen das Römische sich kundgiebt
und um sich greift als Sieger in der Cultur über seine Sieger im Felde, so
tragen auch die ersten Hände, welche christliche Gebilde schaffen, noch die gol¬
dene Fessel des antiken Stils. In den stillen, düstern Kammern unter der
Erbe, wohin die Bekenner des Kreuzes sich flüchten, reden uns von den Wän¬
den die lebendigen Spuren des geistigen Lehnsbriefes an. womit Roms sinken¬
der Genius die neue Welt beglaubigt. Und diese geheimnißvolle unlösbare
Beziehung, so widerwillig sie anerkannt, so unbewußtste bewährt wird, zwingt
diese einsiedelnde Kunstthätigkeit auch in den Entwicklungsgang, in den stetigen
Verfall mit hinein, vermöge dessen oben an der Sonne die überreifen Früchte
der antiken Kunstschöpfung allmälig verkommen.

Die Maler der Katakomben verrathen allenthalben ihren Ursprung aus
der römischen Kunstweise. Ueberall die gleichen Typen; Costüm, Grup-
pirung, alles Reminiscenz; Hand und Gestaltungsflnn stehen willenlos im
Banne der antiken Formen. Auch der sinnliche Reiz der alten Lebensanschauung
kommt noch zu einem gewissen Rechte. Die Heiterkeit, mit welcher die Alten
selbst die Stätte der Todten wohnlich und vertraulich zu machen strebten, findet
hier Nachahmung. Die ältesten christlichen Katakombenbilder sind nicht selten
umsäumt mit Kränzen heidnischer Blumen; um die Gestalt des guten Hirten
flattert Cupido durch Rebengewinde.

So erzeugt dieses doppelte Verhältniß, welches die Maler zu ihrem Gegen¬
stande und welches sie zu dem Ductus der Production einnehmen, naturgemäß
auch noch einen andern Widerspruch. Je geschickter sie sich als Zeichner er'
weisen, desto ungeschickter erscheinen sie, um dasjenige auszudrücken, was die
Gegenstände der christlichen Anschauung verlangen. Die Bedeutsamkeit des
Innerlichen, die Fülle des Gemüthsinhaltes geht leer aus: schlichte Gefäße
stehen uns gegenüber, in welche der gläubige Beschauer den Gehalt hinein¬
zugießen hat. Wo aber ein eigenes Kunflidiom hervorzutreten scheint, wo wirk¬
lich ungewohnte Gestaltungen begegnen, da ist es nicht sowohl eine neue origi¬
nelle Kunstgattung, was wir sehen, sondern vielmehr das Resultat des Zweifels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/492>, abgerufen am 28.09.2024.