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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Energie seiner Malerei entwickelt, in das letzte Jahrzehnt fallen. Und diese
urkräftige, gesundeste Organisation mußte dem Wahnsinn versallen, der seinen
klaren männlichen Künstlergeist nun wohl für immer umnachtet!

Was die französischen Landschaften einer frühern Periode bereits so wesent¬
lich von unsern heimischen unterschied, das ist auch denen der gegenwärtigen
charakteristisch geblieben. Der Sinn für die Gesammrwirkung, der ihnen auf
allen malerischen Gebieten eigen ist, läßt sie die äußerliche Welt mehr als
Ganzes ansehn, und über der recht eingehenden Darstellung von Bäumen und
Felsen nicht vergessen, daß diese in ihrem Licht und ihrer Farbe vor allem
durch die umfließende Luft bedingt sind. Das intime deutsche Hineinleben in
das kleine Detail der Vegetation und des Terrains werden wir selten bei ihnen
finden. Dagegen erreichen die Tüchtigen unter ihnen im Wiedergeben der
Totalerscheinung der Natur, die wohl eben nur durch ein Aufopfern und oft
rücksichtsloses Unterordnen selbst des verlockendsten Details malerisch zu erreichen
ist, einen hohen Grad von Wahrheit und Feinheit und eine so echt poetische
Wirkung, wie sie nur je unsere besten deutschen Meister auf dem entgegen¬
gesetzten Wege zu erzielen vermochten. Mit der sogenannten Effectmalerei älteren
Schlages hat diese nichts gemein; im Gegentheil geht man gerade aus die aller-
zartesten Naturstimmungen aus und sucht nicht in den großen Contrasten von
Licht und Dunkel, in den frappanten Wirkungen glühender Sonne, sondern
in der Malerei der allerleisestcn Schwingungen und Nüancirungen des Lufttons
der Landschaft die erste und wesentlichste Aufgabe. Einzelne zwar suchen die
Licht- und Farbenwunder eines südlichen Himmels und haben es in ihrer
Wiedergabe zu einer großen Meisterschaft gebracht, wie z. B. Ziem (geb. 1822)
in seinen Bildern Konstantinopels und Venedigs; oder wählen die formen¬
schöne, zu idealer Auffassung vor allem' geeignete Natur des italischen Südens
zum Gegenstandes, wie Bcnouville (geb. 1815); oder verflüchtigen alle land¬
schaftliche Realität zu einer phantastischen Komposition harmonischer Tonmassen,
die nur eine ungefähre Ähnlichkeit der allgemeinen Form mit Bäumen und
Bergen ausweisen und bevölkern diese mit einem Geschlecht von ebenso gestalt¬
los verwischten Nymphen, Faunen und Hirten, wie es der hochgepriesene, unbegreif¬
liche Corot (geb. 1796) thut. Die Mehrzahl der Tüchtigen aber sucht in der
einfachsten heimathlichen Landschaft ihre Vorwürfe und in der künstlerischen
Wiedergeburt ihrer feinen Reize eine höhere Aufgabe als in der Malerei der
großen prächtigen Scenerien, sogenannter "malerischer" schönen Gegenden.
Gletscher, Alpen und Wasserstürze. Rousseau (geb. 1810) hat von der Nach,
ahmung poussinscher stilisirter Landschaft ausgehend dasselbe Ziel gefunden,
Francais (geb. 1814), der mit jener nach langem Kampfe zum Ruhme durch-
gedrungen, hat nicht minder in solcher Richtung sein Bestes geschaffen. Breton,
der Bruder des großen Genremalers, Lambinet, Lapierre und so. viel Andre,


Energie seiner Malerei entwickelt, in das letzte Jahrzehnt fallen. Und diese
urkräftige, gesundeste Organisation mußte dem Wahnsinn versallen, der seinen
klaren männlichen Künstlergeist nun wohl für immer umnachtet!

Was die französischen Landschaften einer frühern Periode bereits so wesent¬
lich von unsern heimischen unterschied, das ist auch denen der gegenwärtigen
charakteristisch geblieben. Der Sinn für die Gesammrwirkung, der ihnen auf
allen malerischen Gebieten eigen ist, läßt sie die äußerliche Welt mehr als
Ganzes ansehn, und über der recht eingehenden Darstellung von Bäumen und
Felsen nicht vergessen, daß diese in ihrem Licht und ihrer Farbe vor allem
durch die umfließende Luft bedingt sind. Das intime deutsche Hineinleben in
das kleine Detail der Vegetation und des Terrains werden wir selten bei ihnen
finden. Dagegen erreichen die Tüchtigen unter ihnen im Wiedergeben der
Totalerscheinung der Natur, die wohl eben nur durch ein Aufopfern und oft
rücksichtsloses Unterordnen selbst des verlockendsten Details malerisch zu erreichen
ist, einen hohen Grad von Wahrheit und Feinheit und eine so echt poetische
Wirkung, wie sie nur je unsere besten deutschen Meister auf dem entgegen¬
gesetzten Wege zu erzielen vermochten. Mit der sogenannten Effectmalerei älteren
Schlages hat diese nichts gemein; im Gegentheil geht man gerade aus die aller-
zartesten Naturstimmungen aus und sucht nicht in den großen Contrasten von
Licht und Dunkel, in den frappanten Wirkungen glühender Sonne, sondern
in der Malerei der allerleisestcn Schwingungen und Nüancirungen des Lufttons
der Landschaft die erste und wesentlichste Aufgabe. Einzelne zwar suchen die
Licht- und Farbenwunder eines südlichen Himmels und haben es in ihrer
Wiedergabe zu einer großen Meisterschaft gebracht, wie z. B. Ziem (geb. 1822)
in seinen Bildern Konstantinopels und Venedigs; oder wählen die formen¬
schöne, zu idealer Auffassung vor allem' geeignete Natur des italischen Südens
zum Gegenstandes, wie Bcnouville (geb. 1815); oder verflüchtigen alle land¬
schaftliche Realität zu einer phantastischen Komposition harmonischer Tonmassen,
die nur eine ungefähre Ähnlichkeit der allgemeinen Form mit Bäumen und
Bergen ausweisen und bevölkern diese mit einem Geschlecht von ebenso gestalt¬
los verwischten Nymphen, Faunen und Hirten, wie es der hochgepriesene, unbegreif¬
liche Corot (geb. 1796) thut. Die Mehrzahl der Tüchtigen aber sucht in der
einfachsten heimathlichen Landschaft ihre Vorwürfe und in der künstlerischen
Wiedergeburt ihrer feinen Reize eine höhere Aufgabe als in der Malerei der
großen prächtigen Scenerien, sogenannter „malerischer" schönen Gegenden.
Gletscher, Alpen und Wasserstürze. Rousseau (geb. 1810) hat von der Nach,
ahmung poussinscher stilisirter Landschaft ausgehend dasselbe Ziel gefunden,
Francais (geb. 1814), der mit jener nach langem Kampfe zum Ruhme durch-
gedrungen, hat nicht minder in solcher Richtung sein Bestes geschaffen. Breton,
der Bruder des großen Genremalers, Lambinet, Lapierre und so. viel Andre,


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[0484] Energie seiner Malerei entwickelt, in das letzte Jahrzehnt fallen. Und diese urkräftige, gesundeste Organisation mußte dem Wahnsinn versallen, der seinen klaren männlichen Künstlergeist nun wohl für immer umnachtet! Was die französischen Landschaften einer frühern Periode bereits so wesent¬ lich von unsern heimischen unterschied, das ist auch denen der gegenwärtigen charakteristisch geblieben. Der Sinn für die Gesammrwirkung, der ihnen auf allen malerischen Gebieten eigen ist, läßt sie die äußerliche Welt mehr als Ganzes ansehn, und über der recht eingehenden Darstellung von Bäumen und Felsen nicht vergessen, daß diese in ihrem Licht und ihrer Farbe vor allem durch die umfließende Luft bedingt sind. Das intime deutsche Hineinleben in das kleine Detail der Vegetation und des Terrains werden wir selten bei ihnen finden. Dagegen erreichen die Tüchtigen unter ihnen im Wiedergeben der Totalerscheinung der Natur, die wohl eben nur durch ein Aufopfern und oft rücksichtsloses Unterordnen selbst des verlockendsten Details malerisch zu erreichen ist, einen hohen Grad von Wahrheit und Feinheit und eine so echt poetische Wirkung, wie sie nur je unsere besten deutschen Meister auf dem entgegen¬ gesetzten Wege zu erzielen vermochten. Mit der sogenannten Effectmalerei älteren Schlages hat diese nichts gemein; im Gegentheil geht man gerade aus die aller- zartesten Naturstimmungen aus und sucht nicht in den großen Contrasten von Licht und Dunkel, in den frappanten Wirkungen glühender Sonne, sondern in der Malerei der allerleisestcn Schwingungen und Nüancirungen des Lufttons der Landschaft die erste und wesentlichste Aufgabe. Einzelne zwar suchen die Licht- und Farbenwunder eines südlichen Himmels und haben es in ihrer Wiedergabe zu einer großen Meisterschaft gebracht, wie z. B. Ziem (geb. 1822) in seinen Bildern Konstantinopels und Venedigs; oder wählen die formen¬ schöne, zu idealer Auffassung vor allem' geeignete Natur des italischen Südens zum Gegenstandes, wie Bcnouville (geb. 1815); oder verflüchtigen alle land¬ schaftliche Realität zu einer phantastischen Komposition harmonischer Tonmassen, die nur eine ungefähre Ähnlichkeit der allgemeinen Form mit Bäumen und Bergen ausweisen und bevölkern diese mit einem Geschlecht von ebenso gestalt¬ los verwischten Nymphen, Faunen und Hirten, wie es der hochgepriesene, unbegreif¬ liche Corot (geb. 1796) thut. Die Mehrzahl der Tüchtigen aber sucht in der einfachsten heimathlichen Landschaft ihre Vorwürfe und in der künstlerischen Wiedergeburt ihrer feinen Reize eine höhere Aufgabe als in der Malerei der großen prächtigen Scenerien, sogenannter „malerischer" schönen Gegenden. Gletscher, Alpen und Wasserstürze. Rousseau (geb. 1810) hat von der Nach, ahmung poussinscher stilisirter Landschaft ausgehend dasselbe Ziel gefunden, Francais (geb. 1814), der mit jener nach langem Kampfe zum Ruhme durch- gedrungen, hat nicht minder in solcher Richtung sein Bestes geschaffen. Breton, der Bruder des großen Genremalers, Lambinet, Lapierre und so. viel Andre,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/484>, abgerufen am 28.09.2024.