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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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der kolossalen Tafeln Uvons messen kann. Eins seiner meisterhaftesten größern
Gemälde, der Hinterhalt (in Versailles), jene Jäger von Vincennes, die, von
niederm Gebüsch gedeckt, auf dem Bauch glatt ausgestreckt, den Feind erwar¬
tend, im Anschlag liegen und dem Beschauer im großen Halbkreis die Sohle"
ihrer Füße zukehren, ist auch bei uns in der Photographie und im Original
gut bekannt und hat bei unsern Künstlern lebhafte Bewunderung geerntet. Pro-
tais versteht es, wie kein anderer, die ergreifend ernste Poesie des Kriegs zu
malen, während er uns mit dem Anblick des widrigen blutigen Grausens,
des eigentlichen Mordens verschont. Seine beiden echt liebenswürdigen kleine¬
ren Bilder, "der Morgen vor" und "der Abend nach der Schlacht", haben im
Salon von 1864 die anspruchvollsten kriegerischen Spektakelstücke der ofsicieUen
Malerei völlig in Schatten gestellt. Dort war die Erwartung des blutigen
Spiels, der freudige Muth der jungen Soldaten, die ihm zum ersten Mal ent¬
gegensahn, das leise Schauern des natürlichen Menschen, das sich unwillkürlich
dennoch da hineinmischt; hier das beglückende, nur von der Trauer um die
Opfer hie und da gedämpfte Gefühl des Sieges am Abend solches heißen Tages mit
ebenso tiefen poetischen als feiner malerischer Empfindung und Kunst ge¬
schildert, jeder phrasenhafte Ausdruck, jedes heroische Pathos der Stellungen
vermieden und bei dem einfachsten, natürlichsten Verhalten gab sich eine eigen¬
thümlich distinguirte Anschauungs- und Gefühlsweise darin kund, die aufs wohl¬
thätigste contrastirte mit dem brutalen Wesen der Mehrzahl der kriegerischen Bilder.

, Es scheint, daß die französischen Maler, seit sie die Neigung zu derartigen
Wirkungen, zur Schilderung geschichtlicher Leidenschaften wieder mehr an sol¬
chen Stoffen aus der Gegenwart ihres Volks zu befriedigen vermögen, von
der Tendenz, die Geschichte des Mittelalters und der nächstfolgenden Nennaissance-
epoche nach Gräuelscenen zu durchsuchen, mehr und mehr frei geworden sind.
In der Zeit von 1825--40 konnte ihre Kunst im Wetteifer mit der damaligen
Poesie sich kaum ersättigen an der Darstellung aller romantisch-historischen Schand¬
thaten. Zumal die Epoche der Glaubenskriege war eine erwünschte Fundgrube
für solche "dramatische sujets" und nicht zufrieden mit den Gräueln der natio¬
nalen Geschichte, entlehnte sie die verwandten Themata der Darstellung den gleich
blutigen englischen und italienischen. Heute begegnet man auf den pariser Aus¬
stellungen höchst selten ähnlichen Erscheinungen. Und treten sie einmal auf, so
finden sie, wie es dem tüchtigen Schüler von Delaroche, Merle, mit seinem
großen Bilde, der "Ermordung Heinrich des Dritten", erging, seien sie auch noch so
brav, kaum Beachtung. Der größte und vollendetste Meister, der heute das
Mittelalter malerisch behandelt, Comte (geb. 1815), Schüler von Robert Fleury,
welcher letztere gerade einer der entschiedensten Vertreter jener Richtung war,
vermeidet es mehr und mehr, leidenschaftlich bewegte, eigentliche dramatische
und scharf pointirte Situationen zu wählen.


der kolossalen Tafeln Uvons messen kann. Eins seiner meisterhaftesten größern
Gemälde, der Hinterhalt (in Versailles), jene Jäger von Vincennes, die, von
niederm Gebüsch gedeckt, auf dem Bauch glatt ausgestreckt, den Feind erwar¬
tend, im Anschlag liegen und dem Beschauer im großen Halbkreis die Sohle»
ihrer Füße zukehren, ist auch bei uns in der Photographie und im Original
gut bekannt und hat bei unsern Künstlern lebhafte Bewunderung geerntet. Pro-
tais versteht es, wie kein anderer, die ergreifend ernste Poesie des Kriegs zu
malen, während er uns mit dem Anblick des widrigen blutigen Grausens,
des eigentlichen Mordens verschont. Seine beiden echt liebenswürdigen kleine¬
ren Bilder, „der Morgen vor" und „der Abend nach der Schlacht", haben im
Salon von 1864 die anspruchvollsten kriegerischen Spektakelstücke der ofsicieUen
Malerei völlig in Schatten gestellt. Dort war die Erwartung des blutigen
Spiels, der freudige Muth der jungen Soldaten, die ihm zum ersten Mal ent¬
gegensahn, das leise Schauern des natürlichen Menschen, das sich unwillkürlich
dennoch da hineinmischt; hier das beglückende, nur von der Trauer um die
Opfer hie und da gedämpfte Gefühl des Sieges am Abend solches heißen Tages mit
ebenso tiefen poetischen als feiner malerischer Empfindung und Kunst ge¬
schildert, jeder phrasenhafte Ausdruck, jedes heroische Pathos der Stellungen
vermieden und bei dem einfachsten, natürlichsten Verhalten gab sich eine eigen¬
thümlich distinguirte Anschauungs- und Gefühlsweise darin kund, die aufs wohl¬
thätigste contrastirte mit dem brutalen Wesen der Mehrzahl der kriegerischen Bilder.

, Es scheint, daß die französischen Maler, seit sie die Neigung zu derartigen
Wirkungen, zur Schilderung geschichtlicher Leidenschaften wieder mehr an sol¬
chen Stoffen aus der Gegenwart ihres Volks zu befriedigen vermögen, von
der Tendenz, die Geschichte des Mittelalters und der nächstfolgenden Nennaissance-
epoche nach Gräuelscenen zu durchsuchen, mehr und mehr frei geworden sind.
In der Zeit von 1825—40 konnte ihre Kunst im Wetteifer mit der damaligen
Poesie sich kaum ersättigen an der Darstellung aller romantisch-historischen Schand¬
thaten. Zumal die Epoche der Glaubenskriege war eine erwünschte Fundgrube
für solche „dramatische sujets" und nicht zufrieden mit den Gräueln der natio¬
nalen Geschichte, entlehnte sie die verwandten Themata der Darstellung den gleich
blutigen englischen und italienischen. Heute begegnet man auf den pariser Aus¬
stellungen höchst selten ähnlichen Erscheinungen. Und treten sie einmal auf, so
finden sie, wie es dem tüchtigen Schüler von Delaroche, Merle, mit seinem
großen Bilde, der „Ermordung Heinrich des Dritten", erging, seien sie auch noch so
brav, kaum Beachtung. Der größte und vollendetste Meister, der heute das
Mittelalter malerisch behandelt, Comte (geb. 1815), Schüler von Robert Fleury,
welcher letztere gerade einer der entschiedensten Vertreter jener Richtung war,
vermeidet es mehr und mehr, leidenschaftlich bewegte, eigentliche dramatische
und scharf pointirte Situationen zu wählen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/472>, abgerufen am 28.09.2024.