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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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zösische Recht zurückdrängen werde. Von seiner politischen Farbe weiß man
wenigstens in weiteren Kreisen gar nichts; er war zwar Mitglied des Ab¬
geordnetenhauses, nahm aber, durch seine Mission in Hannover abgehalten,
seinen Sitz in demselben gar nicht ein. Nur bei einem so wenig ausgebildeten
politischen Leben, wie wir es haben, ist es möglich, einen Mann zum Minister
befördert zu sehen, von dessen politischer Richtung das Land schlechterdings
keine Kenntniß hat.

Nicht so freiwillig wie der Rücktritt des Justizministers war der seines
Collegen imMultusministerium. Die Stellung des Herrn v. Zwehl war schon
lange unterminirt. Er gehörte zu jenen nicht ganz seltenen Persönlichkeiten,
die im Winde schwanken wie ein Rohr und von dem schließlich doch sehr un¬
dankbaren Bestreben beherrscht werden, es jedermann recht zu machen. Als
das Ministerium Pfordten gestürzt wurde, trat er zum Erstaunen des Publicums
und seiner neuen Collegen nicht zurück, sondern accommodirte sich dem neuen
System, so weit man in Bayern von einem politischen System sprechen kann,
besser gesagt, er befolgte jetzt eine liberalere Praxis. Wie er kurz vorher
seine Hand zur Maßregelung des mißliebigen Professors Weiß geliehen hatte,
so war er jetzt zu jeder Amtshandlung im liberalen Sinne ebenso bereit. Es
ist doch süß zu herrschen, dachte er, und balancirte schwindelfrei über die Ab¬
gründe, die zuweilen auf seinem Wege sich öffneten. Er war das in der
stockbayrischen Bevölkerung verhaßte Organ der "Fremdenberufungen", daneben
aber jeden Augenblick bereit, seiner Begeisterung für die bayrische "Nation"
und ihren providentiellen Beruf Ausdruck zu geben; er poussirte Liebig, Pfeufer,
Sybel und deren Schutzbefohlene und machte im nächsten Augenblick den ein¬
dringlichen Vorstellungen eines concordatfreundlichen Bischofs die erwünschten
Concessionen. Er war zwar kein Genie, aber noch weniger ein Charakter
und seine langjährige Amtsführung wird kaum ein ebenso lange währendes
Andenken hinterlassen. Schon König Max dachte ernstlich an seine Entlassuirg
und konnte nur nicht zu dem endgiltigen Entschlüsse kommen; der junge König,
der rascher unterschreibt, weil andere für ihn sich entschließen, widerstand den
Vorschlägen des Cabinets nicht lange. Wenn wir gut unterrichtet sind, wäre
Herr v. Zwehl durch die "auf sein allerunterthänigstes Ansuchen erfolgte" Ent¬
lassung in der Ruhe seines Landaufenthaltes sehr unangenehm überrascht worden.
Sein Nachfolger, Herr Koch, bis vor kurzem Rath im Cultusministerium, gilt
als ein sehr tüchtiger Beamter und für so liberal, als es der wohlwollende
bayrische Bureaukrat im Durchschnitt zu sein pflegt. In kirchlichen Dingen
soll er einer sehr entschieden freisinnigen Richtung huldigen und jene Festigkeit
in deren Durchführung besitzen, deren sein Vorgänger so vollständig entbehrte.
Er wird nach zwei Seiten hin wohl bald Gelegenheit finden, sie zu bethätigen.
Auch in Bayern drängt die Frage der Volksschulresorm täglich mehr nach einer


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zösische Recht zurückdrängen werde. Von seiner politischen Farbe weiß man
wenigstens in weiteren Kreisen gar nichts; er war zwar Mitglied des Ab¬
geordnetenhauses, nahm aber, durch seine Mission in Hannover abgehalten,
seinen Sitz in demselben gar nicht ein. Nur bei einem so wenig ausgebildeten
politischen Leben, wie wir es haben, ist es möglich, einen Mann zum Minister
befördert zu sehen, von dessen politischer Richtung das Land schlechterdings
keine Kenntniß hat.

Nicht so freiwillig wie der Rücktritt des Justizministers war der seines
Collegen imMultusministerium. Die Stellung des Herrn v. Zwehl war schon
lange unterminirt. Er gehörte zu jenen nicht ganz seltenen Persönlichkeiten,
die im Winde schwanken wie ein Rohr und von dem schließlich doch sehr un¬
dankbaren Bestreben beherrscht werden, es jedermann recht zu machen. Als
das Ministerium Pfordten gestürzt wurde, trat er zum Erstaunen des Publicums
und seiner neuen Collegen nicht zurück, sondern accommodirte sich dem neuen
System, so weit man in Bayern von einem politischen System sprechen kann,
besser gesagt, er befolgte jetzt eine liberalere Praxis. Wie er kurz vorher
seine Hand zur Maßregelung des mißliebigen Professors Weiß geliehen hatte,
so war er jetzt zu jeder Amtshandlung im liberalen Sinne ebenso bereit. Es
ist doch süß zu herrschen, dachte er, und balancirte schwindelfrei über die Ab¬
gründe, die zuweilen auf seinem Wege sich öffneten. Er war das in der
stockbayrischen Bevölkerung verhaßte Organ der „Fremdenberufungen", daneben
aber jeden Augenblick bereit, seiner Begeisterung für die bayrische „Nation"
und ihren providentiellen Beruf Ausdruck zu geben; er poussirte Liebig, Pfeufer,
Sybel und deren Schutzbefohlene und machte im nächsten Augenblick den ein¬
dringlichen Vorstellungen eines concordatfreundlichen Bischofs die erwünschten
Concessionen. Er war zwar kein Genie, aber noch weniger ein Charakter
und seine langjährige Amtsführung wird kaum ein ebenso lange währendes
Andenken hinterlassen. Schon König Max dachte ernstlich an seine Entlassuirg
und konnte nur nicht zu dem endgiltigen Entschlüsse kommen; der junge König,
der rascher unterschreibt, weil andere für ihn sich entschließen, widerstand den
Vorschlägen des Cabinets nicht lange. Wenn wir gut unterrichtet sind, wäre
Herr v. Zwehl durch die „auf sein allerunterthänigstes Ansuchen erfolgte" Ent¬
lassung in der Ruhe seines Landaufenthaltes sehr unangenehm überrascht worden.
Sein Nachfolger, Herr Koch, bis vor kurzem Rath im Cultusministerium, gilt
als ein sehr tüchtiger Beamter und für so liberal, als es der wohlwollende
bayrische Bureaukrat im Durchschnitt zu sein pflegt. In kirchlichen Dingen
soll er einer sehr entschieden freisinnigen Richtung huldigen und jene Festigkeit
in deren Durchführung besitzen, deren sein Vorgänger so vollständig entbehrte.
Er wird nach zwei Seiten hin wohl bald Gelegenheit finden, sie zu bethätigen.
Auch in Bayern drängt die Frage der Volksschulresorm täglich mehr nach einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/451>, abgerufen am 28.09.2024.