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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Die französische Malerei unter dem zweiten Kaiserreich.
2,

Unter den ersten Decrcten, welche von der provisorischen Regierung der
neugebornen Republik ausgingen, erregte ein von Ledru-Nollin unterzeichnetes,
unmittelbar nach seiner Jnstallirung erlassenes, eine ganz eigenthümliche Auf¬
merksamkeit! "die große Ausstellung der schöne" Künste wird am erste" Mai
d. I. eröffnet." Die sich hier kundgebende Fürsorge für die stillen und fried¬
lichen Interessen der Kunst inmitten des allgemeinen Tumults und des an¬
scheinenden Sturzes und Zusammbrechens aller seitherigen Zustände wirkte
ebenso befremdlich als Vertrauen erweckend. Es deutete auf ein großes Sicher-
Hecksgefühl, auf einen festen Glauben der neue" Regierung an den Bestand
des eben Entstandnen und schien dabei die tröstliche Gewißheit zu geben, daß
mit dieser Republik das Reich der Barbarei, die Vernichtung der Cultur keines¬
wegs hereingebrochen wäre. Jedenfalls symbolisirt es gewissermaßen die
wichtige Bedeutung, welche jede Negierung des neuen Frankreich der bildenden
Kunst im Leben der Nation zuzuerkennen bereit war. Dennoch konnte" ihrer
frohen gedeihlichen Entwicklung die Stürme des Jahres 48 und die Zuckungen
der nächstfolgenden Zeit nicht eben günstig sein. Die republikanische Regierung
mochte die besten Absichten haben und großartige Pläne für die Verwendung
der nationalen Kunstkraft zu große" öffentlichen Zwecken vorbereiten und ent¬
werfe", die Unruhe, der Geldmangel und vor allem die Kürze ihrer eignen
Lebensdauer ließen kaum das Geringste davon zur Verwirklichung gelangen,
vieles aber erst unter der kaiserlichen Herrschaft, die es dann sehr wohl ver¬
standen hat, mit dem Ruhm der Ausführung auch den des Gedankens und
des Entwurfs sich selbst anzueignen. Unter den im ersten Stadium der Reali-
sirung bereits begrabnen Plänen ist besonders immer der der Ausschmückung
des ganzen Pantheons mit kolossalen Wandmalereien solches Schicksals wegen
zu beklagen. Das Programm zu jenen fünfzig Gemälden, in welchen Chcnavard
dort die Geschichte der menschlichen Culturentwicklung schildern sollte, und die¬
jenigen Compositionen, welche wenigstens bis zum ausgeführten Carton gelangten,
leiden zwar leider, wie alle ihresgleichen, an Willkürlichkeiten und Ungeheuerlich¬
keiten. Dennoch zeigte sich in den Grundzügen des ganzen Projects weit mehr
Sinn und Verstand, als z. B. in der auf ein verwandtes Ziel gerichteten
Dekoration im Treppenhaus": des Neuen Museums in Berlin, der gemalten
theologisch-philosophischen Weltgeschichte von der Erfindung Kaulbachs "des
Geistreichen".


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Die französische Malerei unter dem zweiten Kaiserreich.
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Unter den ersten Decrcten, welche von der provisorischen Regierung der
neugebornen Republik ausgingen, erregte ein von Ledru-Nollin unterzeichnetes,
unmittelbar nach seiner Jnstallirung erlassenes, eine ganz eigenthümliche Auf¬
merksamkeit! „die große Ausstellung der schöne» Künste wird am erste» Mai
d. I. eröffnet." Die sich hier kundgebende Fürsorge für die stillen und fried¬
lichen Interessen der Kunst inmitten des allgemeinen Tumults und des an¬
scheinenden Sturzes und Zusammbrechens aller seitherigen Zustände wirkte
ebenso befremdlich als Vertrauen erweckend. Es deutete auf ein großes Sicher-
Hecksgefühl, auf einen festen Glauben der neue» Regierung an den Bestand
des eben Entstandnen und schien dabei die tröstliche Gewißheit zu geben, daß
mit dieser Republik das Reich der Barbarei, die Vernichtung der Cultur keines¬
wegs hereingebrochen wäre. Jedenfalls symbolisirt es gewissermaßen die
wichtige Bedeutung, welche jede Negierung des neuen Frankreich der bildenden
Kunst im Leben der Nation zuzuerkennen bereit war. Dennoch konnte» ihrer
frohen gedeihlichen Entwicklung die Stürme des Jahres 48 und die Zuckungen
der nächstfolgenden Zeit nicht eben günstig sein. Die republikanische Regierung
mochte die besten Absichten haben und großartige Pläne für die Verwendung
der nationalen Kunstkraft zu große» öffentlichen Zwecken vorbereiten und ent¬
werfe», die Unruhe, der Geldmangel und vor allem die Kürze ihrer eignen
Lebensdauer ließen kaum das Geringste davon zur Verwirklichung gelangen,
vieles aber erst unter der kaiserlichen Herrschaft, die es dann sehr wohl ver¬
standen hat, mit dem Ruhm der Ausführung auch den des Gedankens und
des Entwurfs sich selbst anzueignen. Unter den im ersten Stadium der Reali-
sirung bereits begrabnen Plänen ist besonders immer der der Ausschmückung
des ganzen Pantheons mit kolossalen Wandmalereien solches Schicksals wegen
zu beklagen. Das Programm zu jenen fünfzig Gemälden, in welchen Chcnavard
dort die Geschichte der menschlichen Culturentwicklung schildern sollte, und die¬
jenigen Compositionen, welche wenigstens bis zum ausgeführten Carton gelangten,
leiden zwar leider, wie alle ihresgleichen, an Willkürlichkeiten und Ungeheuerlich¬
keiten. Dennoch zeigte sich in den Grundzügen des ganzen Projects weit mehr
Sinn und Verstand, als z. B. in der auf ein verwandtes Ziel gerichteten
Dekoration im Treppenhaus«: des Neuen Museums in Berlin, der gemalten
theologisch-philosophischen Weltgeschichte von der Erfindung Kaulbachs „des
Geistreichen".


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[0435] Die französische Malerei unter dem zweiten Kaiserreich. 2, Unter den ersten Decrcten, welche von der provisorischen Regierung der neugebornen Republik ausgingen, erregte ein von Ledru-Nollin unterzeichnetes, unmittelbar nach seiner Jnstallirung erlassenes, eine ganz eigenthümliche Auf¬ merksamkeit! „die große Ausstellung der schöne» Künste wird am erste» Mai d. I. eröffnet." Die sich hier kundgebende Fürsorge für die stillen und fried¬ lichen Interessen der Kunst inmitten des allgemeinen Tumults und des an¬ scheinenden Sturzes und Zusammbrechens aller seitherigen Zustände wirkte ebenso befremdlich als Vertrauen erweckend. Es deutete auf ein großes Sicher- Hecksgefühl, auf einen festen Glauben der neue» Regierung an den Bestand des eben Entstandnen und schien dabei die tröstliche Gewißheit zu geben, daß mit dieser Republik das Reich der Barbarei, die Vernichtung der Cultur keines¬ wegs hereingebrochen wäre. Jedenfalls symbolisirt es gewissermaßen die wichtige Bedeutung, welche jede Negierung des neuen Frankreich der bildenden Kunst im Leben der Nation zuzuerkennen bereit war. Dennoch konnte» ihrer frohen gedeihlichen Entwicklung die Stürme des Jahres 48 und die Zuckungen der nächstfolgenden Zeit nicht eben günstig sein. Die republikanische Regierung mochte die besten Absichten haben und großartige Pläne für die Verwendung der nationalen Kunstkraft zu große» öffentlichen Zwecken vorbereiten und ent¬ werfe», die Unruhe, der Geldmangel und vor allem die Kürze ihrer eignen Lebensdauer ließen kaum das Geringste davon zur Verwirklichung gelangen, vieles aber erst unter der kaiserlichen Herrschaft, die es dann sehr wohl ver¬ standen hat, mit dem Ruhm der Ausführung auch den des Gedankens und des Entwurfs sich selbst anzueignen. Unter den im ersten Stadium der Reali- sirung bereits begrabnen Plänen ist besonders immer der der Ausschmückung des ganzen Pantheons mit kolossalen Wandmalereien solches Schicksals wegen zu beklagen. Das Programm zu jenen fünfzig Gemälden, in welchen Chcnavard dort die Geschichte der menschlichen Culturentwicklung schildern sollte, und die¬ jenigen Compositionen, welche wenigstens bis zum ausgeführten Carton gelangten, leiden zwar leider, wie alle ihresgleichen, an Willkürlichkeiten und Ungeheuerlich¬ keiten. Dennoch zeigte sich in den Grundzügen des ganzen Projects weit mehr Sinn und Verstand, als z. B. in der auf ein verwandtes Ziel gerichteten Dekoration im Treppenhaus«: des Neuen Museums in Berlin, der gemalten theologisch-philosophischen Weltgeschichte von der Erfindung Kaulbachs „des Geistreichen". 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/435>, abgerufen am 28.09.2024.