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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Audienz ertheilt. Sie wählt sich einen der Freiersle'Ule, und die Andern kom¬
men nicht wieder. Dann verloben sich die' Beiden und bleiben sich jahrelang
treu, bis die Berheirathung möglich ist, die dann in der Regel am Donners¬
tag Vor dem ersten Advent stattfindet. Nicht oft geschieht es, daß das Mädchen
einen Andern nimmt, wenn ihr erster Erwählter von der See nicht wiederkehrt.

Oeffentliche Lustbarkeiten sind selten, und gehört dahin nur der Petritag
(22, Februar), der verdunkelte !>!est eines heidnischen Festes, bei welchem sich
die alten Friesen auf heiligen Hügeln, den sogenannten Winjshvogern (Wvdans-
hügeln) versammelten, Opferfeuer anzündeten und unter dem Rufe: "Wette
tiare" mit ihren Frauen und Bräuten um dieselben tanzten. Jetzt ist nur noch
der Tanz übrig, zu dem sich namentlich in Kennen zahlreiche junge Leute ein-
finden, und eine Art Kuchen, der nur in dieser Zeit gebacken wird.

Die alte Tracht der Frauen ist fast ganz verschwunden. Noch zu Ende
des vorigen Jahrhunderts trugen dieselben auf Sylt einen kurzen karmoisin-
rolhen Rock, der nicht viel werter als bis zu den Knieen reichte, viele Falten
hatte und unten weiß besetzt war, euren schwarzen Mantel mit langem weißen
Kragen und vergoldeter Spange, weiße Strümpfe, einen seingestricktcn Brust¬
latz und eine hohe Mütze, die in ihrer Form den russischen Popenmützen glich.
Jetzt ist dieser Putz der Großmütter der überall herrschenden Mode gewichen,
und nur eine weiße Kopfhülle, die man bei der Alltagsarbcit anlegt, giebt den
Frauen noch einen eigenthümlichen Zug.

Der Aberglaube, der früher weitverbreitet war, ist bis auf geringe Neste
ausgestorben, und nur alte Leute fürchten noch das Stademwüffke, den Jükers-
marschmann und andere Spukgestalten, mit denen die Phantasie der Spider
einst die Landspitze Hörnum bevölkerte, oder meinen noch, daß Hexen Schaben
stiften können.

Dagegen hat sich mancherlei Altes im Gerichtswesen und der bürgerlichen
Verfassung von Sylt erhalten. Der einzige königliche Beamte war bisher hier
der Landvogt, aber seine Macht war durch das alte Recht ziemlich beschränkt.
Er konnte in eigner Person nur über Streitigkeiten entscheiden, deren Object
ruche über zehn Thaler werth war. In allen übrigen Fällen blieb die Ent¬
scheidung den zwölf Rathincinncrn von Sylt überlassen. Diese letzteren sind
der Nest der Bolksgemcinoe, die einst auf den Thinghügeln der Insel tagte.
Diese Hügel stehen mock. fünfzehn an der Zahl, der Landvogtei gerade gegen¬
über, und die wellenförmigen Contouren >l>rer Kuppen sind auf der flachen
Insel weithin zu sehen. Aber die frühere Bvllsgemcinde existirt nicht mehr.
Wir wissen aus dem altdeutschen Gerichtsverfahren von zwei "ungebotnen,"
d. h. regelmäßig und ohne besondere Aufforderung dazu alljährlich wieder¬
kehrenden Thingen, von denen das eine im Frühling, das andere im Herbst
abgehalten wurde. Bon diesen ist aus Sylt nur daS herbstliche geblieben, und


Audienz ertheilt. Sie wählt sich einen der Freiersle'Ule, und die Andern kom¬
men nicht wieder. Dann verloben sich die' Beiden und bleiben sich jahrelang
treu, bis die Berheirathung möglich ist, die dann in der Regel am Donners¬
tag Vor dem ersten Advent stattfindet. Nicht oft geschieht es, daß das Mädchen
einen Andern nimmt, wenn ihr erster Erwählter von der See nicht wiederkehrt.

Oeffentliche Lustbarkeiten sind selten, und gehört dahin nur der Petritag
(22, Februar), der verdunkelte !>!est eines heidnischen Festes, bei welchem sich
die alten Friesen auf heiligen Hügeln, den sogenannten Winjshvogern (Wvdans-
hügeln) versammelten, Opferfeuer anzündeten und unter dem Rufe: „Wette
tiare" mit ihren Frauen und Bräuten um dieselben tanzten. Jetzt ist nur noch
der Tanz übrig, zu dem sich namentlich in Kennen zahlreiche junge Leute ein-
finden, und eine Art Kuchen, der nur in dieser Zeit gebacken wird.

Die alte Tracht der Frauen ist fast ganz verschwunden. Noch zu Ende
des vorigen Jahrhunderts trugen dieselben auf Sylt einen kurzen karmoisin-
rolhen Rock, der nicht viel werter als bis zu den Knieen reichte, viele Falten
hatte und unten weiß besetzt war, euren schwarzen Mantel mit langem weißen
Kragen und vergoldeter Spange, weiße Strümpfe, einen seingestricktcn Brust¬
latz und eine hohe Mütze, die in ihrer Form den russischen Popenmützen glich.
Jetzt ist dieser Putz der Großmütter der überall herrschenden Mode gewichen,
und nur eine weiße Kopfhülle, die man bei der Alltagsarbcit anlegt, giebt den
Frauen noch einen eigenthümlichen Zug.

Der Aberglaube, der früher weitverbreitet war, ist bis auf geringe Neste
ausgestorben, und nur alte Leute fürchten noch das Stademwüffke, den Jükers-
marschmann und andere Spukgestalten, mit denen die Phantasie der Spider
einst die Landspitze Hörnum bevölkerte, oder meinen noch, daß Hexen Schaben
stiften können.

Dagegen hat sich mancherlei Altes im Gerichtswesen und der bürgerlichen
Verfassung von Sylt erhalten. Der einzige königliche Beamte war bisher hier
der Landvogt, aber seine Macht war durch das alte Recht ziemlich beschränkt.
Er konnte in eigner Person nur über Streitigkeiten entscheiden, deren Object
ruche über zehn Thaler werth war. In allen übrigen Fällen blieb die Ent¬
scheidung den zwölf Rathincinncrn von Sylt überlassen. Diese letzteren sind
der Nest der Bolksgemcinoe, die einst auf den Thinghügeln der Insel tagte.
Diese Hügel stehen mock. fünfzehn an der Zahl, der Landvogtei gerade gegen¬
über, und die wellenförmigen Contouren >l>rer Kuppen sind auf der flachen
Insel weithin zu sehen. Aber die frühere Bvllsgemcinde existirt nicht mehr.
Wir wissen aus dem altdeutschen Gerichtsverfahren von zwei „ungebotnen,"
d. h. regelmäßig und ohne besondere Aufforderung dazu alljährlich wieder¬
kehrenden Thingen, von denen das eine im Frühling, das andere im Herbst
abgehalten wurde. Bon diesen ist aus Sylt nur daS herbstliche geblieben, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/42>, abgerufen am 28.09.2024.