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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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auf sich angewendet sehe". Allein dies hat doch nicht hindern können, daß
dieses Element von Jahr zu Jahr mehr vordringt, da das Bedürfniß nach
Arbeitskräften unabweisbar und ohne die Juden unerfüllbar ist. Auch nehmen
es heirathslustige Frauen mit der Herkunft ihrer Männer nicht immer genau,
und namentlich zeigten sich in neuester Zeit die Scemannswittwen nicht ab¬
geneigt, sich mit Juden zum zweiten Mal zu verbinden, die dann aber den
Namen der ersteren annahmen, da hier zu Lande die verheirateten Fremden
nach ihren Frauen genannt zu werden Pflegen.

Und wie in das häusliche Leben dieses Jnselvölkchens ein fremdes
Element störend sich eindrängt, so stürmt verhängnisvoller noch gegen ihr Land
die See Hera". Die Dörfer an der Ostküste sind freilich geschützt. Das stille
Kennen an seiner blauen Bucht, die Orte Tinnum und Archsum und das von
fetter Marsch umgebne Morsum haben nichts zu befürchten. Aber traurig ist
es, die Bewohner der westlichen Dörfer Westerland und Renkum sprechen zu
hören. Sie haben zwischen sich und dem Meer die Dünen, aber die Dünen
wandern lautem, wenn im Winter und im anbrechenden Frühling der Südwest
weht. Die Häuser, in denen die Eltern der Armen gewohnt, die Stellen, auf welchen
sie als Kinder gespielt, werden verschüttet, und über manchen Platz, den die alten
Leute noch herausfinden und mit den Fingern zeigen, ebbt und fluthet jetzt die
große Nordsee. Umsonst, daß die Bewohner der Westküste dem Anprall der
Wellen und dem Wandern der Dünen Einhalt zu thun versuchen. Sie be¬
pflanzen diese Sandwälle einen nach dem andern die lange Küste hinauf mit
Riedgras und Sandrvggen, dürren steifen Gewächsen, deren Wurzelfasern den
flüchtigen Staub zusammenhalten sollen. Tage lang liegen sie und vorzüglich
die Frauen bei dieser Arbeit in den kalten stürmischen Herbstmonaten auf jenen
Dünen und pflanzen und bauen. Vergebens, der Wind braust heran, das Meer
schlägt donnernd gegen den Strand, und die Dünen wandern.

DaS Leben der Leute ist durchaus ehrbar und sittenrein. Die Männer be¬
fleißigen sich eines stillen nüchternen Lebens. Das Einzige, was viel und gern
getrunken wird, ist der Kaffee. Das Gesängniß steht beinahe immer leer, und
wenn ja einmal jemand hineingebracht wird, so ist es ein Ausländer. Nacht¬
wächter giebt es nicht, und die Hausthür verschließt man nur gegen den Sturm,
nicht gegen Diebe. Das Verhältniß der beiden Geschlechter ist ein sehr zartes.
Im Herbst, wenn die jungen Männer von ihren Seereisen zurückkehren, und
während der Monate, wo die Schifffahrt ruht, ist die Zeit der Brautwerbung.
Wie oben in den Alpen das "Fensterln" hat sich hier unten am Meeresstrande
der Gebrauch des "ThürcnS" erhalten. Das junge heiratsfähige Mädchen hält
Hof an der Thür ihres elterlichen Hauses. Die Burschen der Nachbarschaft,
"Halfjunkengänger" genannt, weil sie im Halbdunkel zu erscheinen pflegen, ver¬
sammeln sich in der Stube bei den Eltern und warten, bis die Jungfer ihnen


Grenzboten III. 1864. 5

auf sich angewendet sehe». Allein dies hat doch nicht hindern können, daß
dieses Element von Jahr zu Jahr mehr vordringt, da das Bedürfniß nach
Arbeitskräften unabweisbar und ohne die Juden unerfüllbar ist. Auch nehmen
es heirathslustige Frauen mit der Herkunft ihrer Männer nicht immer genau,
und namentlich zeigten sich in neuester Zeit die Scemannswittwen nicht ab¬
geneigt, sich mit Juden zum zweiten Mal zu verbinden, die dann aber den
Namen der ersteren annahmen, da hier zu Lande die verheirateten Fremden
nach ihren Frauen genannt zu werden Pflegen.

Und wie in das häusliche Leben dieses Jnselvölkchens ein fremdes
Element störend sich eindrängt, so stürmt verhängnisvoller noch gegen ihr Land
die See Hera». Die Dörfer an der Ostküste sind freilich geschützt. Das stille
Kennen an seiner blauen Bucht, die Orte Tinnum und Archsum und das von
fetter Marsch umgebne Morsum haben nichts zu befürchten. Aber traurig ist
es, die Bewohner der westlichen Dörfer Westerland und Renkum sprechen zu
hören. Sie haben zwischen sich und dem Meer die Dünen, aber die Dünen
wandern lautem, wenn im Winter und im anbrechenden Frühling der Südwest
weht. Die Häuser, in denen die Eltern der Armen gewohnt, die Stellen, auf welchen
sie als Kinder gespielt, werden verschüttet, und über manchen Platz, den die alten
Leute noch herausfinden und mit den Fingern zeigen, ebbt und fluthet jetzt die
große Nordsee. Umsonst, daß die Bewohner der Westküste dem Anprall der
Wellen und dem Wandern der Dünen Einhalt zu thun versuchen. Sie be¬
pflanzen diese Sandwälle einen nach dem andern die lange Küste hinauf mit
Riedgras und Sandrvggen, dürren steifen Gewächsen, deren Wurzelfasern den
flüchtigen Staub zusammenhalten sollen. Tage lang liegen sie und vorzüglich
die Frauen bei dieser Arbeit in den kalten stürmischen Herbstmonaten auf jenen
Dünen und pflanzen und bauen. Vergebens, der Wind braust heran, das Meer
schlägt donnernd gegen den Strand, und die Dünen wandern.

DaS Leben der Leute ist durchaus ehrbar und sittenrein. Die Männer be¬
fleißigen sich eines stillen nüchternen Lebens. Das Einzige, was viel und gern
getrunken wird, ist der Kaffee. Das Gesängniß steht beinahe immer leer, und
wenn ja einmal jemand hineingebracht wird, so ist es ein Ausländer. Nacht¬
wächter giebt es nicht, und die Hausthür verschließt man nur gegen den Sturm,
nicht gegen Diebe. Das Verhältniß der beiden Geschlechter ist ein sehr zartes.
Im Herbst, wenn die jungen Männer von ihren Seereisen zurückkehren, und
während der Monate, wo die Schifffahrt ruht, ist die Zeit der Brautwerbung.
Wie oben in den Alpen das „Fensterln" hat sich hier unten am Meeresstrande
der Gebrauch des „ThürcnS" erhalten. Das junge heiratsfähige Mädchen hält
Hof an der Thür ihres elterlichen Hauses. Die Burschen der Nachbarschaft,
„Halfjunkengänger" genannt, weil sie im Halbdunkel zu erscheinen pflegen, ver¬
sammeln sich in der Stube bei den Eltern und warten, bis die Jungfer ihnen


Grenzboten III. 1864. 5
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/41>, abgerufen am 28.09.2024.