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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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die Provinzen auf die allgemeine Stimmung heilsam zu wirken und Vertrauen
und Folgsamkeit zu begründen^ "Das neue System," fuhr Hardenberg fort,
"das einzige, wodurch Wohlstand begründet werden kann, beruht darauf, daß
jeder Einwohner des Staates, persönlich frei, seine Kräfte auch frei entwickeln
und benutzen könne, ohne durch die Willkür eines Andern daran behindert zu
werden; daß niemand einseitig eine Last trage, die nicht gemeinsam und mit
gleichen Kräften getragen werde; daß die Gleichheit vor dem Gesetz einem jeden
Staatsunterthan gesichert sei. und daß die Gerechtigkeit streng und pünktlich
gehandhabt werde; daß das Verdienst, in welchem Stande es sich befinde, un¬
gehindert emporstreben könne; daß in die Verwaltung Einheit, Ordnung und
Kraft gelegt werde; daß endlich durch Erziehung, durch echte Religiosität und
durch jede zweckmäßige Einrichtung Ein Interesse und Ein Sinn gebildet werde,
auf dem unser Wohlstand und unsre Sicherheit begründet werden könne."

Diese Rede hatte nur bei einigen der Berufenen Erfolg. Die Einsichtigeren
unter den Privilegien gaben zu, daß von einer Rückkehr zu den alten stän¬
dischen Korporationen kein Heil zu erwarten, aber auf den ganzen Reformpla"
einzugehen hatten nur sehr wenige Neigung. Die Partei der äußersten Rechten
dagegen verwarf mit trotzigem Ungestüm alles, was der Staatskanzler im
Auge hatte. Sie erhoben bittere Beschwerde, pochten laut auf ihr altes Recht
und bestürmten Hardenberg mit schriftlichen Vorstellungen um Rückkehr zu dem
Bisherigen. Der Minister antwortete darauf anfangs in versöhnlichem Tone
zuletzt aber ließ er diese Beschwerdeschriften, da sie immer maßloser und unver¬
ständiger wurden, unerwiedert. Die Notabeln erreichten unter sich selbst keine
Einigung, sie vertrugen sich nicht mit der Regierung, zuletzt ging man ohne
ein anderes Ergebniß als größere Verbitterung auseinander. Statt vertrauen
in die Provinzen zurückzubringen, verpflanzte man bei seiner Heimkehr die eigne
Unzufriedenheit und den gesteigerten Verdruß in die Gemüther der dort gebliebner
Standesgenossen.' Bald trat die Folge dieser Wühlerei der Feudalen in ver¬
schiedenen Bcschwerdcschriftcn der Rittergutsbesitzer zu Tage, die sich über den
Minister hinaus, an den König selbst wendeten. Die stärkste und frechste der¬
selben war die, welche die Stände des Lepus-Storkow-Bceskower Kreises, an
der Spitze den Grafen Finkenstein und den bekannten feudalen Heißsporn von
der Marwitz, an den König abgehen ließen. Der letztere übergab sie dem
Staatskanzler, welcher seine Meinung über deren Inhalt in verschiedenen Rand¬
bemerkungen aussprach. Dieser Protest gegen das ganze Reformwerk Harden-
bergs ist so charakteristisch und lehrreich, daß wir seinen Hauptinhalt mit den
kritischen Glossen Hardenbergs hier folgen lassen. Man weiß in der That nicht,
über was man mehr staunen soll, ob über die Thorheit oder über die Unver¬
schämtheit seiner Urheber.

Die Stände sagten: "Wir hatten eine Verfassung, die den Zeiten angemessen


die Provinzen auf die allgemeine Stimmung heilsam zu wirken und Vertrauen
und Folgsamkeit zu begründen^ „Das neue System," fuhr Hardenberg fort,
„das einzige, wodurch Wohlstand begründet werden kann, beruht darauf, daß
jeder Einwohner des Staates, persönlich frei, seine Kräfte auch frei entwickeln
und benutzen könne, ohne durch die Willkür eines Andern daran behindert zu
werden; daß niemand einseitig eine Last trage, die nicht gemeinsam und mit
gleichen Kräften getragen werde; daß die Gleichheit vor dem Gesetz einem jeden
Staatsunterthan gesichert sei. und daß die Gerechtigkeit streng und pünktlich
gehandhabt werde; daß das Verdienst, in welchem Stande es sich befinde, un¬
gehindert emporstreben könne; daß in die Verwaltung Einheit, Ordnung und
Kraft gelegt werde; daß endlich durch Erziehung, durch echte Religiosität und
durch jede zweckmäßige Einrichtung Ein Interesse und Ein Sinn gebildet werde,
auf dem unser Wohlstand und unsre Sicherheit begründet werden könne."

Diese Rede hatte nur bei einigen der Berufenen Erfolg. Die Einsichtigeren
unter den Privilegien gaben zu, daß von einer Rückkehr zu den alten stän¬
dischen Korporationen kein Heil zu erwarten, aber auf den ganzen Reformpla»
einzugehen hatten nur sehr wenige Neigung. Die Partei der äußersten Rechten
dagegen verwarf mit trotzigem Ungestüm alles, was der Staatskanzler im
Auge hatte. Sie erhoben bittere Beschwerde, pochten laut auf ihr altes Recht
und bestürmten Hardenberg mit schriftlichen Vorstellungen um Rückkehr zu dem
Bisherigen. Der Minister antwortete darauf anfangs in versöhnlichem Tone
zuletzt aber ließ er diese Beschwerdeschriften, da sie immer maßloser und unver¬
ständiger wurden, unerwiedert. Die Notabeln erreichten unter sich selbst keine
Einigung, sie vertrugen sich nicht mit der Regierung, zuletzt ging man ohne
ein anderes Ergebniß als größere Verbitterung auseinander. Statt vertrauen
in die Provinzen zurückzubringen, verpflanzte man bei seiner Heimkehr die eigne
Unzufriedenheit und den gesteigerten Verdruß in die Gemüther der dort gebliebner
Standesgenossen.' Bald trat die Folge dieser Wühlerei der Feudalen in ver¬
schiedenen Bcschwerdcschriftcn der Rittergutsbesitzer zu Tage, die sich über den
Minister hinaus, an den König selbst wendeten. Die stärkste und frechste der¬
selben war die, welche die Stände des Lepus-Storkow-Bceskower Kreises, an
der Spitze den Grafen Finkenstein und den bekannten feudalen Heißsporn von
der Marwitz, an den König abgehen ließen. Der letztere übergab sie dem
Staatskanzler, welcher seine Meinung über deren Inhalt in verschiedenen Rand¬
bemerkungen aussprach. Dieser Protest gegen das ganze Reformwerk Harden-
bergs ist so charakteristisch und lehrreich, daß wir seinen Hauptinhalt mit den
kritischen Glossen Hardenbergs hier folgen lassen. Man weiß in der That nicht,
über was man mehr staunen soll, ob über die Thorheit oder über die Unver¬
schämtheit seiner Urheber.

Die Stände sagten: „Wir hatten eine Verfassung, die den Zeiten angemessen


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[0415] die Provinzen auf die allgemeine Stimmung heilsam zu wirken und Vertrauen und Folgsamkeit zu begründen^ „Das neue System," fuhr Hardenberg fort, „das einzige, wodurch Wohlstand begründet werden kann, beruht darauf, daß jeder Einwohner des Staates, persönlich frei, seine Kräfte auch frei entwickeln und benutzen könne, ohne durch die Willkür eines Andern daran behindert zu werden; daß niemand einseitig eine Last trage, die nicht gemeinsam und mit gleichen Kräften getragen werde; daß die Gleichheit vor dem Gesetz einem jeden Staatsunterthan gesichert sei. und daß die Gerechtigkeit streng und pünktlich gehandhabt werde; daß das Verdienst, in welchem Stande es sich befinde, un¬ gehindert emporstreben könne; daß in die Verwaltung Einheit, Ordnung und Kraft gelegt werde; daß endlich durch Erziehung, durch echte Religiosität und durch jede zweckmäßige Einrichtung Ein Interesse und Ein Sinn gebildet werde, auf dem unser Wohlstand und unsre Sicherheit begründet werden könne." Diese Rede hatte nur bei einigen der Berufenen Erfolg. Die Einsichtigeren unter den Privilegien gaben zu, daß von einer Rückkehr zu den alten stän¬ dischen Korporationen kein Heil zu erwarten, aber auf den ganzen Reformpla» einzugehen hatten nur sehr wenige Neigung. Die Partei der äußersten Rechten dagegen verwarf mit trotzigem Ungestüm alles, was der Staatskanzler im Auge hatte. Sie erhoben bittere Beschwerde, pochten laut auf ihr altes Recht und bestürmten Hardenberg mit schriftlichen Vorstellungen um Rückkehr zu dem Bisherigen. Der Minister antwortete darauf anfangs in versöhnlichem Tone zuletzt aber ließ er diese Beschwerdeschriften, da sie immer maßloser und unver¬ ständiger wurden, unerwiedert. Die Notabeln erreichten unter sich selbst keine Einigung, sie vertrugen sich nicht mit der Regierung, zuletzt ging man ohne ein anderes Ergebniß als größere Verbitterung auseinander. Statt vertrauen in die Provinzen zurückzubringen, verpflanzte man bei seiner Heimkehr die eigne Unzufriedenheit und den gesteigerten Verdruß in die Gemüther der dort gebliebner Standesgenossen.' Bald trat die Folge dieser Wühlerei der Feudalen in ver¬ schiedenen Bcschwerdcschriftcn der Rittergutsbesitzer zu Tage, die sich über den Minister hinaus, an den König selbst wendeten. Die stärkste und frechste der¬ selben war die, welche die Stände des Lepus-Storkow-Bceskower Kreises, an der Spitze den Grafen Finkenstein und den bekannten feudalen Heißsporn von der Marwitz, an den König abgehen ließen. Der letztere übergab sie dem Staatskanzler, welcher seine Meinung über deren Inhalt in verschiedenen Rand¬ bemerkungen aussprach. Dieser Protest gegen das ganze Reformwerk Harden- bergs ist so charakteristisch und lehrreich, daß wir seinen Hauptinhalt mit den kritischen Glossen Hardenbergs hier folgen lassen. Man weiß in der That nicht, über was man mehr staunen soll, ob über die Thorheit oder über die Unver¬ schämtheit seiner Urheber. Die Stände sagten: „Wir hatten eine Verfassung, die den Zeiten angemessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/415>, abgerufen am 28.09.2024.