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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Teller bedeckt ist, und winken ihrer Mttgevatterin mit den Worten zu: "Prosit
aus die Lieberei!" Diese antwortet: "Wohl bekomms auf die Lieberei!" Der¬
artige Wechselreden von der "Lieberei" werden dann unter allerhand Scherzen
und Witzen eine Weile fortgesetzt, bis das Mädchen unversehens ein kleines
Geschenk, etwa eine Porzellanfigur, auf den Teller legt. Dies befriedigt jedoch
die jungen Leute nicht, und daher wird der Wortkampf fortgeführt, bis die
Jungfer eine Gabe bietet, welche zufriedenstellt, z. B. eine gemalte Tasse. Als
Gegengeschenk erhalt sie dann eine bunte Zuckerdüte. Auch in andern Orten
herrscht die Sitte, daß die weiblichen Gevattern während der Taufmahlzeit den
männlichen beschenken; hier aber hat dieser dafür die "Auflage", einen Beitrag
zur Schul- oder Armenkasse, der mittelst eines herumgehenden Tellers eingesam¬
melt wird, für jene zu bezahlen.

Seltsam ist die Art, wie man im Gebirge die Namen der Personen ge¬
braucht. Ein Mann, der Göttlich Richter heißt, wird Richterlieb genannt. Hat
dieser einen Sohn Karl, so heißt dieser im Volksmunde Richterliebtarl, und
dessen Sohn Gottfried wieder trägt den Namen Richterliebkarlfried. Andere
Beispiele sind "Hansenfritzenkarlsried", "Bachfritzkarl" und "Bauerhanscordel".
Wohnt jemand, um eine andere Form der Raumbildung zu erwähnen, in einer
Mühle, welche die "Sorge" heißt, so nennt man ihn, gleichviel welches sein
Vatersname ist, den Sorgenmüller, oder bestimmter, wenn sein Vorname August
ist, den Sorgenmüllergust. Sein Sohn aber, der Traugott heißen mag, wird
als der Sorgenmüilergusttraugvtt bezeichnet, auch wenn er sich nicht dem Müller-
gewerbe gewidmet hat. Ebenso ist der Sohn August des Schneiders Gottlieb
X der "Schneiderliebgust". Auch von andern Umständen und Verhältnissen
werden Spitznamen gebildet; hat jemand z. B. die Gewohnheit, fuchsfarbne
Pferde zu halten, so nennt man ihn selbst Fuchs und hängt daran seinen Tauf¬
namen, woraus dann etwa "Fuchsdavid" oder "Fuchslob" wird, seine Tochter
Amalie heißt dann "Fuchsdavidmale" oder "Fuchslobmale".

Um die Adventszeit erscheint der "Hans Ruprecht", ein in Pelz vermumm¬
ter, mit einer Ruthe und einem Sack voll Nüsse versehener Knecht mit dem
"Bornkinnel" (nicht Brunnenkind, wie Spieß meint, sondern neugebornes Christ¬
kind) einer in Weiß gekleideten Magd als Vorbote der Weihnachtszeit für die
Kinder. Wenn das Paar in die Stube tritt, fallen die letzteren auf die Knie,
sagen ein Gebet, gewöhnlich das Vaterunser her, und erhalten, nachdem sie
versprochen, künftig recht artig und fleißig zu sein, die mitgebrachten Nüsse,
worauf der Ruprecht sich mit der Zusage, zu Weihnachten wieder zu kommen,
murmelnd und brummend, wie er erschienen, wieder entfernt.

Am Nikolaustage bäckt man sogenannte "Nickelszöpfe", ein zopfartig ge¬
wundenes, nach unten sich zuspitzendes Gebäck von verschiedener Größe und
Güte, womit man vorzüglich die Kinder beglückt.


Teller bedeckt ist, und winken ihrer Mttgevatterin mit den Worten zu: „Prosit
aus die Lieberei!" Diese antwortet: „Wohl bekomms auf die Lieberei!" Der¬
artige Wechselreden von der „Lieberei" werden dann unter allerhand Scherzen
und Witzen eine Weile fortgesetzt, bis das Mädchen unversehens ein kleines
Geschenk, etwa eine Porzellanfigur, auf den Teller legt. Dies befriedigt jedoch
die jungen Leute nicht, und daher wird der Wortkampf fortgeführt, bis die
Jungfer eine Gabe bietet, welche zufriedenstellt, z. B. eine gemalte Tasse. Als
Gegengeschenk erhalt sie dann eine bunte Zuckerdüte. Auch in andern Orten
herrscht die Sitte, daß die weiblichen Gevattern während der Taufmahlzeit den
männlichen beschenken; hier aber hat dieser dafür die „Auflage", einen Beitrag
zur Schul- oder Armenkasse, der mittelst eines herumgehenden Tellers eingesam¬
melt wird, für jene zu bezahlen.

Seltsam ist die Art, wie man im Gebirge die Namen der Personen ge¬
braucht. Ein Mann, der Göttlich Richter heißt, wird Richterlieb genannt. Hat
dieser einen Sohn Karl, so heißt dieser im Volksmunde Richterliebtarl, und
dessen Sohn Gottfried wieder trägt den Namen Richterliebkarlfried. Andere
Beispiele sind „Hansenfritzenkarlsried", „Bachfritzkarl" und „Bauerhanscordel".
Wohnt jemand, um eine andere Form der Raumbildung zu erwähnen, in einer
Mühle, welche die „Sorge" heißt, so nennt man ihn, gleichviel welches sein
Vatersname ist, den Sorgenmüller, oder bestimmter, wenn sein Vorname August
ist, den Sorgenmüllergust. Sein Sohn aber, der Traugott heißen mag, wird
als der Sorgenmüilergusttraugvtt bezeichnet, auch wenn er sich nicht dem Müller-
gewerbe gewidmet hat. Ebenso ist der Sohn August des Schneiders Gottlieb
X der „Schneiderliebgust". Auch von andern Umständen und Verhältnissen
werden Spitznamen gebildet; hat jemand z. B. die Gewohnheit, fuchsfarbne
Pferde zu halten, so nennt man ihn selbst Fuchs und hängt daran seinen Tauf¬
namen, woraus dann etwa „Fuchsdavid" oder „Fuchslob" wird, seine Tochter
Amalie heißt dann „Fuchsdavidmale" oder „Fuchslobmale".

Um die Adventszeit erscheint der „Hans Ruprecht", ein in Pelz vermumm¬
ter, mit einer Ruthe und einem Sack voll Nüsse versehener Knecht mit dem
„Bornkinnel" (nicht Brunnenkind, wie Spieß meint, sondern neugebornes Christ¬
kind) einer in Weiß gekleideten Magd als Vorbote der Weihnachtszeit für die
Kinder. Wenn das Paar in die Stube tritt, fallen die letzteren auf die Knie,
sagen ein Gebet, gewöhnlich das Vaterunser her, und erhalten, nachdem sie
versprochen, künftig recht artig und fleißig zu sein, die mitgebrachten Nüsse,
worauf der Ruprecht sich mit der Zusage, zu Weihnachten wieder zu kommen,
murmelnd und brummend, wie er erschienen, wieder entfernt.

Am Nikolaustage bäckt man sogenannte „Nickelszöpfe", ein zopfartig ge¬
wundenes, nach unten sich zuspitzendes Gebäck von verschiedener Größe und
Güte, womit man vorzüglich die Kinder beglückt.


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[0364] Teller bedeckt ist, und winken ihrer Mttgevatterin mit den Worten zu: „Prosit aus die Lieberei!" Diese antwortet: „Wohl bekomms auf die Lieberei!" Der¬ artige Wechselreden von der „Lieberei" werden dann unter allerhand Scherzen und Witzen eine Weile fortgesetzt, bis das Mädchen unversehens ein kleines Geschenk, etwa eine Porzellanfigur, auf den Teller legt. Dies befriedigt jedoch die jungen Leute nicht, und daher wird der Wortkampf fortgeführt, bis die Jungfer eine Gabe bietet, welche zufriedenstellt, z. B. eine gemalte Tasse. Als Gegengeschenk erhalt sie dann eine bunte Zuckerdüte. Auch in andern Orten herrscht die Sitte, daß die weiblichen Gevattern während der Taufmahlzeit den männlichen beschenken; hier aber hat dieser dafür die „Auflage", einen Beitrag zur Schul- oder Armenkasse, der mittelst eines herumgehenden Tellers eingesam¬ melt wird, für jene zu bezahlen. Seltsam ist die Art, wie man im Gebirge die Namen der Personen ge¬ braucht. Ein Mann, der Göttlich Richter heißt, wird Richterlieb genannt. Hat dieser einen Sohn Karl, so heißt dieser im Volksmunde Richterliebtarl, und dessen Sohn Gottfried wieder trägt den Namen Richterliebkarlfried. Andere Beispiele sind „Hansenfritzenkarlsried", „Bachfritzkarl" und „Bauerhanscordel". Wohnt jemand, um eine andere Form der Raumbildung zu erwähnen, in einer Mühle, welche die „Sorge" heißt, so nennt man ihn, gleichviel welches sein Vatersname ist, den Sorgenmüller, oder bestimmter, wenn sein Vorname August ist, den Sorgenmüllergust. Sein Sohn aber, der Traugott heißen mag, wird als der Sorgenmüilergusttraugvtt bezeichnet, auch wenn er sich nicht dem Müller- gewerbe gewidmet hat. Ebenso ist der Sohn August des Schneiders Gottlieb X der „Schneiderliebgust". Auch von andern Umständen und Verhältnissen werden Spitznamen gebildet; hat jemand z. B. die Gewohnheit, fuchsfarbne Pferde zu halten, so nennt man ihn selbst Fuchs und hängt daran seinen Tauf¬ namen, woraus dann etwa „Fuchsdavid" oder „Fuchslob" wird, seine Tochter Amalie heißt dann „Fuchsdavidmale" oder „Fuchslobmale". Um die Adventszeit erscheint der „Hans Ruprecht", ein in Pelz vermumm¬ ter, mit einer Ruthe und einem Sack voll Nüsse versehener Knecht mit dem „Bornkinnel" (nicht Brunnenkind, wie Spieß meint, sondern neugebornes Christ¬ kind) einer in Weiß gekleideten Magd als Vorbote der Weihnachtszeit für die Kinder. Wenn das Paar in die Stube tritt, fallen die letzteren auf die Knie, sagen ein Gebet, gewöhnlich das Vaterunser her, und erhalten, nachdem sie versprochen, künftig recht artig und fleißig zu sein, die mitgebrachten Nüsse, worauf der Ruprecht sich mit der Zusage, zu Weihnachten wieder zu kommen, murmelnd und brummend, wie er erschienen, wieder entfernt. Am Nikolaustage bäckt man sogenannte „Nickelszöpfe", ein zopfartig ge¬ wundenes, nach unten sich zuspitzendes Gebäck von verschiedener Größe und Güte, womit man vorzüglich die Kinder beglückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/364>, abgerufen am 28.09.2024.