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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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verschiedensten Gestalten und Zubereitungen und demzufolge unter den ver¬
schiedensten Namen auftritt, ein Bröselgötzen, ein Pfannenzudel, eine rauhe
Mahd, ein Röhrenkloß, ein Bandes, ein Polst, ein Stamper, ein Stopper u. s. w.
aufgetragen. Arme nähren sich auch Mittags nur von Kaffee und Kartoffeln und
Abends von Kartoffeln und Kaffee. Bei Wohlhabenderen folgt dem Mittags¬
essen um vier oder fünf Uhr ein Vesperbrot, und der Abend bringt entweder
eine Mehlsuppe oder eine Semmelmilch. Das gewöhnliche Getränk der Land¬
leute ist Wasser, daneben Milch, des Sonntags in der Erntezeit Bier. Brannt¬
wein wird verhältnismäßig nicht viel, Kaffee der obenbeschriebenen Qualität da¬
gegen so oft, als man ihn bekommen kann, häufig des Tages fünfmal, getrunken.

Der Charakter des gebirgischen Landmanns ist im Allgemeinen zu loben.
Er ist gottesfürchtig, ehrlich und schlicht, arbeitsam und gesellig, weshalb einsam
liegende Gehöfte selten sind und die Güter meist hart an einander grenzen.
Wie alle Bauern hat er einen starren Kopf und starke Abneigung vor Neue¬
rungen. Nicht so "gemiedlich" wie das Volk in den Städten, ist er doch ein
treuherziger und zuthulicher Mensch. Die sächsische Sauberkeit ziert auch ihn,
und blankgescheuertes Gefäß, blendend weiße Wäsche sind auch unter den Frauen
des Erzgebirgs hochgeachtete Dinge.

Des Abends nach der Arbeit kommen die Nachbarn in der Schenke zu¬
sammen, häufiger aber ist es jetzt, daß der Hausvater den Seinen aus dem
Kalender, einer Zeitschrift oder einem vom Pastor oder Schulmeister geliehenen
Buche etwas vorliest. Eigentliche Erholungszeiten für alle und Glanzpunkte
im bäuerlichen Leben bilden wie überall die ländlichen Feste.

Ist die Getreideernte beendigt, so veranstaltet der Wirth des Gehöfts am
Abend, wo der letzte Erntewagen eingefahren worden ist, seinen Leuten einen
Schmaus mit darauf folgendem Tanz, welche Festlichkeit "Stoppelhahn" ge¬
nannt wird. Darauf folgt, wenn alle Güter einer Gemeinde geerntet haben,
das allgemeine Erntefest, wobei die Kirche so wie die einzelnen Häuser sich mit
Kränzen von Aehren und Blumen schmücken. Dasselbe wird immer an einem
Sonntag gehalten und ist wie anderwärts mit einer kirchlichen Feier verbun¬
den. Abends giebts Tanz in der Schenke. Man kommt nun zum Dreschen,
man gelangt zu den letzten Garben, und endlich wird auch das "Gebreche", die
Halme, welche nach Wegschaffung der Garben auf der Stoppel zusammengerecht
worden sind, unter den Flegel gebracht. Plötzlich schweigt in der Scheuer der
Drescherschlag, und lautes Gelächter erschallt in die Dorfgasse hinaus. "Du
hast den Panzelhahn geschlagen", ruft einer der Leute, und "Schnaps her!
Schnaps her!" schreit die ganze Gesellschaft. Der Branntwein wird durch den
jüngsten der Drescher geholt und von allen getrunken -- auf Kosten dessen,
der den letzten Schlag gethan; denn der hat sich das Vergehen zu Schulden
kommen lassen, den Panzelhahn zu schlagen.


verschiedensten Gestalten und Zubereitungen und demzufolge unter den ver¬
schiedensten Namen auftritt, ein Bröselgötzen, ein Pfannenzudel, eine rauhe
Mahd, ein Röhrenkloß, ein Bandes, ein Polst, ein Stamper, ein Stopper u. s. w.
aufgetragen. Arme nähren sich auch Mittags nur von Kaffee und Kartoffeln und
Abends von Kartoffeln und Kaffee. Bei Wohlhabenderen folgt dem Mittags¬
essen um vier oder fünf Uhr ein Vesperbrot, und der Abend bringt entweder
eine Mehlsuppe oder eine Semmelmilch. Das gewöhnliche Getränk der Land¬
leute ist Wasser, daneben Milch, des Sonntags in der Erntezeit Bier. Brannt¬
wein wird verhältnismäßig nicht viel, Kaffee der obenbeschriebenen Qualität da¬
gegen so oft, als man ihn bekommen kann, häufig des Tages fünfmal, getrunken.

Der Charakter des gebirgischen Landmanns ist im Allgemeinen zu loben.
Er ist gottesfürchtig, ehrlich und schlicht, arbeitsam und gesellig, weshalb einsam
liegende Gehöfte selten sind und die Güter meist hart an einander grenzen.
Wie alle Bauern hat er einen starren Kopf und starke Abneigung vor Neue¬
rungen. Nicht so „gemiedlich" wie das Volk in den Städten, ist er doch ein
treuherziger und zuthulicher Mensch. Die sächsische Sauberkeit ziert auch ihn,
und blankgescheuertes Gefäß, blendend weiße Wäsche sind auch unter den Frauen
des Erzgebirgs hochgeachtete Dinge.

Des Abends nach der Arbeit kommen die Nachbarn in der Schenke zu¬
sammen, häufiger aber ist es jetzt, daß der Hausvater den Seinen aus dem
Kalender, einer Zeitschrift oder einem vom Pastor oder Schulmeister geliehenen
Buche etwas vorliest. Eigentliche Erholungszeiten für alle und Glanzpunkte
im bäuerlichen Leben bilden wie überall die ländlichen Feste.

Ist die Getreideernte beendigt, so veranstaltet der Wirth des Gehöfts am
Abend, wo der letzte Erntewagen eingefahren worden ist, seinen Leuten einen
Schmaus mit darauf folgendem Tanz, welche Festlichkeit „Stoppelhahn" ge¬
nannt wird. Darauf folgt, wenn alle Güter einer Gemeinde geerntet haben,
das allgemeine Erntefest, wobei die Kirche so wie die einzelnen Häuser sich mit
Kränzen von Aehren und Blumen schmücken. Dasselbe wird immer an einem
Sonntag gehalten und ist wie anderwärts mit einer kirchlichen Feier verbun¬
den. Abends giebts Tanz in der Schenke. Man kommt nun zum Dreschen,
man gelangt zu den letzten Garben, und endlich wird auch das „Gebreche", die
Halme, welche nach Wegschaffung der Garben auf der Stoppel zusammengerecht
worden sind, unter den Flegel gebracht. Plötzlich schweigt in der Scheuer der
Drescherschlag, und lautes Gelächter erschallt in die Dorfgasse hinaus. „Du
hast den Panzelhahn geschlagen", ruft einer der Leute, und „Schnaps her!
Schnaps her!" schreit die ganze Gesellschaft. Der Branntwein wird durch den
jüngsten der Drescher geholt und von allen getrunken — auf Kosten dessen,
der den letzten Schlag gethan; denn der hat sich das Vergehen zu Schulden
kommen lassen, den Panzelhahn zu schlagen.


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[0362] verschiedensten Gestalten und Zubereitungen und demzufolge unter den ver¬ schiedensten Namen auftritt, ein Bröselgötzen, ein Pfannenzudel, eine rauhe Mahd, ein Röhrenkloß, ein Bandes, ein Polst, ein Stamper, ein Stopper u. s. w. aufgetragen. Arme nähren sich auch Mittags nur von Kaffee und Kartoffeln und Abends von Kartoffeln und Kaffee. Bei Wohlhabenderen folgt dem Mittags¬ essen um vier oder fünf Uhr ein Vesperbrot, und der Abend bringt entweder eine Mehlsuppe oder eine Semmelmilch. Das gewöhnliche Getränk der Land¬ leute ist Wasser, daneben Milch, des Sonntags in der Erntezeit Bier. Brannt¬ wein wird verhältnismäßig nicht viel, Kaffee der obenbeschriebenen Qualität da¬ gegen so oft, als man ihn bekommen kann, häufig des Tages fünfmal, getrunken. Der Charakter des gebirgischen Landmanns ist im Allgemeinen zu loben. Er ist gottesfürchtig, ehrlich und schlicht, arbeitsam und gesellig, weshalb einsam liegende Gehöfte selten sind und die Güter meist hart an einander grenzen. Wie alle Bauern hat er einen starren Kopf und starke Abneigung vor Neue¬ rungen. Nicht so „gemiedlich" wie das Volk in den Städten, ist er doch ein treuherziger und zuthulicher Mensch. Die sächsische Sauberkeit ziert auch ihn, und blankgescheuertes Gefäß, blendend weiße Wäsche sind auch unter den Frauen des Erzgebirgs hochgeachtete Dinge. Des Abends nach der Arbeit kommen die Nachbarn in der Schenke zu¬ sammen, häufiger aber ist es jetzt, daß der Hausvater den Seinen aus dem Kalender, einer Zeitschrift oder einem vom Pastor oder Schulmeister geliehenen Buche etwas vorliest. Eigentliche Erholungszeiten für alle und Glanzpunkte im bäuerlichen Leben bilden wie überall die ländlichen Feste. Ist die Getreideernte beendigt, so veranstaltet der Wirth des Gehöfts am Abend, wo der letzte Erntewagen eingefahren worden ist, seinen Leuten einen Schmaus mit darauf folgendem Tanz, welche Festlichkeit „Stoppelhahn" ge¬ nannt wird. Darauf folgt, wenn alle Güter einer Gemeinde geerntet haben, das allgemeine Erntefest, wobei die Kirche so wie die einzelnen Häuser sich mit Kränzen von Aehren und Blumen schmücken. Dasselbe wird immer an einem Sonntag gehalten und ist wie anderwärts mit einer kirchlichen Feier verbun¬ den. Abends giebts Tanz in der Schenke. Man kommt nun zum Dreschen, man gelangt zu den letzten Garben, und endlich wird auch das „Gebreche", die Halme, welche nach Wegschaffung der Garben auf der Stoppel zusammengerecht worden sind, unter den Flegel gebracht. Plötzlich schweigt in der Scheuer der Drescherschlag, und lautes Gelächter erschallt in die Dorfgasse hinaus. „Du hast den Panzelhahn geschlagen", ruft einer der Leute, und „Schnaps her! Schnaps her!" schreit die ganze Gesellschaft. Der Branntwein wird durch den jüngsten der Drescher geholt und von allen getrunken — auf Kosten dessen, der den letzten Schlag gethan; denn der hat sich das Vergehen zu Schulden kommen lassen, den Panzelhahn zu schlagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/362>, abgerufen am 28.09.2024.