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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Neben der Wohnstube giebts noch ein einfenstriges Stübchen mit etwas
besserem Möblement für die Hausfrau und den Hausherrn. Von hier geht
man dann in die Küche, an welche der Backofen grenzt, und neben der eine
Treppe in den Keller hinabführt.

Auf der andern Seite der Hausflur tritt man durch eine Thür, die oft
zum Schutz gegen die Kälte mit Strohbändern umflochten ist, in den Stall,
und wieder an einer andern Stelle steigt man eine hölzerne Treppe in das obere
Stockwerk hinauf. Hier giebts zunächst einen großen Saal, wo Schränke den
Sonntagsanzug der Bauersleute bergen und wo gemeinhin auch eine Wäsch¬
rolle und die Häckerlingslade stehen. Links von hier ist die "Oberstube", der
Stolz der Hausfrau mit dem Glasschrank von Eichenholz, darin sich allerlei ländliche
Kleinodien, ein zinnerner Kaffeekessel, Teller mit Neimsprüchen im Volksgeschmack,
buntbemalte Geburtstagstasscn, seidene "Zulpe" (Saugbeutel für kleine Kinder)
und Aehnliches befinden. In der Mitte steht ein altvaterischer Tisch. An den
Wänden laden ein buntgemustertes Kanapee mit geschnitzter Lehne und gepol¬
sterte Stühle zum Sitzen ein. An der Wand hängen der Spiegel, an dem
ein paar Pfauenfedern schillern, und etliche bunte Bilder. In der angrenzen¬
den Schlafkammer ragen zwei gewaltige Himmelbetten bis zur Decke, deren
oberer Sims mit Blumen, mitunter auch mit Scenen aus der Bibel, z. B.
aus dem Buch Tobias, bemalt ist. Auf der andern Seite des Saales mündet
ein Gang, durch den man in die Kammern des Gesindes kommt.

Scheune und Tenne unterscheiden sich nicht von den Gebäuden dieser Art
im Niederlande. Dagegen trifft man öfter als dort außer dem Obst- und
Gemüsegarten neben dem Hause einige mit Buchsbaum eingefaßte Blumenbeete.
Auf seinen Feldern baut der erzgebirgische Bauer vor allem Roggen und Hafer
sowie Kartoffeln, häufig Flachs, seltner Hanf und Erbsen, sehr selten Gerste
und Weizen. Die wohlgepflegten Wiesen liefern reichliches Heu. Erst im
August beginnt in den höher gelegenen Strichen des Gebirgs die Getreideernte.

Die Kost ist einfach, aber ausreichend: früh "Kaffee" aus Cichorien, Run¬
kelrüben, Mohren oder Gerste, wovon man ein halb Dutzend "Schälchen", d. h.
Untertassen zu trinken und zu dem man entweder Kartoffeln oder einen "Filzen"
Brot verzehrt. Letzteres wird in den rauhern Gegenden um Annaberg, Marien¬
berg und Schwarzenberg viel aus Hafer, sonst durchgehends aus Roggen ge¬
backen. Später folgt ein zweites Frühstück, das in einer umfangreichen But¬
terschnitte oder einer Mehlsuppe besteht. Um die Mittagsstunde giebt es dann
entweder ein Fleischgericht oder eine Milch- oder Kartoffelspeise, eine mächtige
Schüssel mit Brei, Erbsen oder Linsen. Wochentags kommt nur Pökel- oder
Rauchfleisch auf den Tisch, Sonn- und Festtags Braten, gewöhnlich Kalbsbra¬
ten mit Backpflaumen, wie man behauptet, das Nationalgericht der Sachsen.
Häufig wird auch ein Gebäck aus Kartoffeln, Mehl und Milch, welches in den


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Neben der Wohnstube giebts noch ein einfenstriges Stübchen mit etwas
besserem Möblement für die Hausfrau und den Hausherrn. Von hier geht
man dann in die Küche, an welche der Backofen grenzt, und neben der eine
Treppe in den Keller hinabführt.

Auf der andern Seite der Hausflur tritt man durch eine Thür, die oft
zum Schutz gegen die Kälte mit Strohbändern umflochten ist, in den Stall,
und wieder an einer andern Stelle steigt man eine hölzerne Treppe in das obere
Stockwerk hinauf. Hier giebts zunächst einen großen Saal, wo Schränke den
Sonntagsanzug der Bauersleute bergen und wo gemeinhin auch eine Wäsch¬
rolle und die Häckerlingslade stehen. Links von hier ist die „Oberstube", der
Stolz der Hausfrau mit dem Glasschrank von Eichenholz, darin sich allerlei ländliche
Kleinodien, ein zinnerner Kaffeekessel, Teller mit Neimsprüchen im Volksgeschmack,
buntbemalte Geburtstagstasscn, seidene „Zulpe" (Saugbeutel für kleine Kinder)
und Aehnliches befinden. In der Mitte steht ein altvaterischer Tisch. An den
Wänden laden ein buntgemustertes Kanapee mit geschnitzter Lehne und gepol¬
sterte Stühle zum Sitzen ein. An der Wand hängen der Spiegel, an dem
ein paar Pfauenfedern schillern, und etliche bunte Bilder. In der angrenzen¬
den Schlafkammer ragen zwei gewaltige Himmelbetten bis zur Decke, deren
oberer Sims mit Blumen, mitunter auch mit Scenen aus der Bibel, z. B.
aus dem Buch Tobias, bemalt ist. Auf der andern Seite des Saales mündet
ein Gang, durch den man in die Kammern des Gesindes kommt.

Scheune und Tenne unterscheiden sich nicht von den Gebäuden dieser Art
im Niederlande. Dagegen trifft man öfter als dort außer dem Obst- und
Gemüsegarten neben dem Hause einige mit Buchsbaum eingefaßte Blumenbeete.
Auf seinen Feldern baut der erzgebirgische Bauer vor allem Roggen und Hafer
sowie Kartoffeln, häufig Flachs, seltner Hanf und Erbsen, sehr selten Gerste
und Weizen. Die wohlgepflegten Wiesen liefern reichliches Heu. Erst im
August beginnt in den höher gelegenen Strichen des Gebirgs die Getreideernte.

Die Kost ist einfach, aber ausreichend: früh „Kaffee" aus Cichorien, Run¬
kelrüben, Mohren oder Gerste, wovon man ein halb Dutzend „Schälchen", d. h.
Untertassen zu trinken und zu dem man entweder Kartoffeln oder einen „Filzen"
Brot verzehrt. Letzteres wird in den rauhern Gegenden um Annaberg, Marien¬
berg und Schwarzenberg viel aus Hafer, sonst durchgehends aus Roggen ge¬
backen. Später folgt ein zweites Frühstück, das in einer umfangreichen But¬
terschnitte oder einer Mehlsuppe besteht. Um die Mittagsstunde giebt es dann
entweder ein Fleischgericht oder eine Milch- oder Kartoffelspeise, eine mächtige
Schüssel mit Brei, Erbsen oder Linsen. Wochentags kommt nur Pökel- oder
Rauchfleisch auf den Tisch, Sonn- und Festtags Braten, gewöhnlich Kalbsbra¬
ten mit Backpflaumen, wie man behauptet, das Nationalgericht der Sachsen.
Häufig wird auch ein Gebäck aus Kartoffeln, Mehl und Milch, welches in den


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[0361] Neben der Wohnstube giebts noch ein einfenstriges Stübchen mit etwas besserem Möblement für die Hausfrau und den Hausherrn. Von hier geht man dann in die Küche, an welche der Backofen grenzt, und neben der eine Treppe in den Keller hinabführt. Auf der andern Seite der Hausflur tritt man durch eine Thür, die oft zum Schutz gegen die Kälte mit Strohbändern umflochten ist, in den Stall, und wieder an einer andern Stelle steigt man eine hölzerne Treppe in das obere Stockwerk hinauf. Hier giebts zunächst einen großen Saal, wo Schränke den Sonntagsanzug der Bauersleute bergen und wo gemeinhin auch eine Wäsch¬ rolle und die Häckerlingslade stehen. Links von hier ist die „Oberstube", der Stolz der Hausfrau mit dem Glasschrank von Eichenholz, darin sich allerlei ländliche Kleinodien, ein zinnerner Kaffeekessel, Teller mit Neimsprüchen im Volksgeschmack, buntbemalte Geburtstagstasscn, seidene „Zulpe" (Saugbeutel für kleine Kinder) und Aehnliches befinden. In der Mitte steht ein altvaterischer Tisch. An den Wänden laden ein buntgemustertes Kanapee mit geschnitzter Lehne und gepol¬ sterte Stühle zum Sitzen ein. An der Wand hängen der Spiegel, an dem ein paar Pfauenfedern schillern, und etliche bunte Bilder. In der angrenzen¬ den Schlafkammer ragen zwei gewaltige Himmelbetten bis zur Decke, deren oberer Sims mit Blumen, mitunter auch mit Scenen aus der Bibel, z. B. aus dem Buch Tobias, bemalt ist. Auf der andern Seite des Saales mündet ein Gang, durch den man in die Kammern des Gesindes kommt. Scheune und Tenne unterscheiden sich nicht von den Gebäuden dieser Art im Niederlande. Dagegen trifft man öfter als dort außer dem Obst- und Gemüsegarten neben dem Hause einige mit Buchsbaum eingefaßte Blumenbeete. Auf seinen Feldern baut der erzgebirgische Bauer vor allem Roggen und Hafer sowie Kartoffeln, häufig Flachs, seltner Hanf und Erbsen, sehr selten Gerste und Weizen. Die wohlgepflegten Wiesen liefern reichliches Heu. Erst im August beginnt in den höher gelegenen Strichen des Gebirgs die Getreideernte. Die Kost ist einfach, aber ausreichend: früh „Kaffee" aus Cichorien, Run¬ kelrüben, Mohren oder Gerste, wovon man ein halb Dutzend „Schälchen", d. h. Untertassen zu trinken und zu dem man entweder Kartoffeln oder einen „Filzen" Brot verzehrt. Letzteres wird in den rauhern Gegenden um Annaberg, Marien¬ berg und Schwarzenberg viel aus Hafer, sonst durchgehends aus Roggen ge¬ backen. Später folgt ein zweites Frühstück, das in einer umfangreichen But¬ terschnitte oder einer Mehlsuppe besteht. Um die Mittagsstunde giebt es dann entweder ein Fleischgericht oder eine Milch- oder Kartoffelspeise, eine mächtige Schüssel mit Brei, Erbsen oder Linsen. Wochentags kommt nur Pökel- oder Rauchfleisch auf den Tisch, Sonn- und Festtags Braten, gewöhnlich Kalbsbra¬ ten mit Backpflaumen, wie man behauptet, das Nationalgericht der Sachsen. Häufig wird auch ein Gebäck aus Kartoffeln, Mehl und Milch, welches in den Grenzboten III. 18K4. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/361>, abgerufen am 28.09.2024.